Gerade ist „Alles steht Kopf 2“ in den Kinos gestartet. Der erste Teil gehört zu meinen Lieblingsfilmen und auch die „Brettspielumsetzung“ des Themas ist eines meiner absoluten Lieblingsspiele. Bis auf das Thema gibt es zwischen „Cerebria“ und „Alles steht Kopf“ zwar keine Parallelen, aber mit dem Vergleich bringt man die Grundidee des Spiels schnell rüber. Anders als viele der Neuheiten, über die ich schreibe, befindet sich „Cerebria“ bereits seit drei Jahren in meiner Sammlung. Warum ich es so großartig finde, beschreibe ich in diesem Artikel.
Gerade wenn man neue Brettspielbegeisterte kennenlernt, gehört die Frage nach dem Lieblingsspiel zu einer der Klassiker-Fragen. Meist nennt man dann mehrere Titel, da ja für unterschiedliche Situationen unterschiedliche Spiele die besten sind.
Denke ich an die großen Brettspielerlebnisse, die einen mehrere Stunden an den Tisch fesseln, so befinden sich da unter anderem Anachrony, Underwater Cities und eben auch Cerebria im Kampf um den ersten Platz. Mit der Fractures of Time-Erweiterung kam Anachrony noch einen Schritt näher an den ersten Platz heran, doch die Tatsache, dass Cerebria vor kurzem als erstes meiner Spiele ein Deluxe-Inlay aus Holz bekommen hat und die letzte Partie wieder einmal ein großartiges Spielerlebnis bot, hat mir dann klar gemacht, dass der erste Platz unterbewusst doch recht klar vergeben war.
Die Identität – Glück und Trauer
Doch was passiert eigentlich in einer Partie Cerebria? Die beiden gegensätzlichen Seiten Bliss (Glück) und Gloom (Trübsal/Traurigkeit) versuchen die Identität, die aktuell im Aufbau ist, zu beeinflussen und die Oberhand zu gewinnen. Jede Seite wird hat vier Spirits, die von den Spielenden gesteuert werden.
Auf dem knallig-bunten Spielplan gibt es neben dem Zentrum, in dem die Identität aufgebaut wird, noch drei weitere Ortsarten, die von den Spielenden genutzt und beeinflusst werden. Umgeben ist die Identität vom Origin-Board, das „Willpower“ (WP; die Hauptressource) in fünf Sphären fasst. Im Hauptbereich des Spielplans findet man dann jeweils fünf Frontiers und fünf Realms. In diesen beiden Gebietsarten kämpfen Bliss und Gloom jeweils um die Mehrheit.
Diese beanspruchen sie für sich, indem sie dort ihre Emotionen platzieren. Es gibt einfache und starke Emotionen. Wie stark diese jeweils sind wird über Essenzmarker angezeigt, die in den entsprechenden Slots auf den Karten platziert werden. Jede Emotion hat zudem einen Effekt, der beim Ausspielen aktiviert wird oder dauerhaft gilt, und gehört zu einem von vier Vibes (Farben). Die Seite, die in Summe die höhere Intensität mit ihren Emotionen gespielt hat, hält die Kontrolle über ein Frontier/Realm. Zusätzlich kann in einem Realm noch ein Fragment der eigenen Seite platziert werden, das als Festung den eigenen Einfluss dort weiter verstärkt.
Optionen ohne Ende
Die Entscheidung, welche drei Aktionen und möglichen zusätzlichen Aktionen man ausführen möchte, erfordert viel Nachdenken. Die erste Entscheidung über Aktionen fällt eigentlich schon beim Spielaufbau, wenn man den fünf Aktionsarten Vibe-Token zuweist. Jede Aktion hat eine Grundfähigkeit, die mit weiteren Vibe-Token bis zu drei Mal aufgewertet werden kann. Vor jeder Aktion darf man eine Karte abwerfen, um die gewählte Aktion aufzuwerten.
Doch zurück zu den Aktionen: Jede Aktion kostet eine bestimmte Anzahl an WP.
Die wichtigste Aktion ist wahrscheinlich die Bewegungsaktion. Mit ihrer Hilfe bewegt man sich in der Welt von Cerebria, um an möglichst vielen Stellen Einfluss zu nehmen. Die meisten Aktionen setzen voraus, dass man an dem Ort ist, auf den man Einfluss nehmen möchte.
Den Einfluss verstärkt man durch das Platzieren der Emotionen. Diese werden mit der „Invoke“-Aktion beschworen. Neben WP benötigt man hierfür auch noch mindestens eine Essenz, die auf der Emotion platziert wird. Mit Upgrades lassen sich mehr Essenz oder Essenz aus dem allgemeinen Vorrat verwenden.
Wird der Einfluss des gegnerischen Teams zu groß, kann man die Emotionen der Gegenseite auch schwächen und entfernen. Mit der Quell-Aktion nimmt man Essenz von den gegnerischen Emotionen. Verbleibt keine Essenz auf der Emotion, wird sie entfernt. Wichtige Vorrausetzung hierfür ist, dass man eine Karte des Vibes besitzt, wie ihn auch die gegnerische Emotion hat.
Hat das gegnerische Team in einem Realm nicht die Kontrolle, kann man sich dort mit einer Festung die Mehrheit sichern. Hierzu platziert man ein kleines Fragment des eigenen Teams auf dem entsprechenden Feld des Realms. Hat man bereits ein kleines Fragment, kann man dieses in ein großes aufwerten. Die Fragmente dienen als Festungen und erhöhen den Einfluss um einen bzw. zwei Punkte. Ähnlich wie mit den Emotionen kann man auch gegnerische Festungen angreifen.
Die letzte Aktion der fünf Spirit-Aktionen ist das Aufwerten. Hat eine Emotion so viel Essenz, dass ihr Grenzwert zum Aufwerten erreicht ist, kann man die Emotion gegen ihr starkes Gegenstück austauschen. Diese haben in der Regel höhere Intensitätswerte und stärkere Effekte.
Auf den asymmetrischen Seiten der Spirits gibt es zu den Standardeffekten noch weitere Effekte, die jeweils einzelne Upgrades der Aktionen verändern.
Fünf Aktionen reichen nicht
Zusätzlich zu den fünf Spirit-Aktionen gibt es noch fünf weitere Realm-Aktionen. Diese kann man unabhängig vom Standort der eigenen Figur ausführen. Deren Effekte sind grundsätzlich einfacher und bringen WP, Essenz, Handkarten oder erlauben das Bewegen von Emotionen.
Alle bisher genannten Aktionen kosten einen der drei Aktionspunkte, die man pro Zug zur Verfügung hat.
Mehr WP erhält man mit der Absorb-Aktion, die man einmal pro Zug ausführen darf. Aus der Sphäre, die sich am nächsten zum eigenen Spirit befindet, darf man zwei WP nehmen. Kontrolliert man angrenzende Frontiers, steigt die Anzahl auf bis zu vier WP. Jede dieser Sphären bietet zudem einen weiteren Effekt.
Die letzte Möglichkeit Aktionen auszuführen sind die Ambition-Token. Hat man diese freigeschaltet, kann man sie ausgeben, um das Origin-Board ein Feld weiter zu drehen, einen beliebigen Vibe-Token als Upgrade zu platzieren oder – für zwei Ambition – eine zusätzliche Aktion zu erhalten.
Wo gibt´s denn die Punkte?
Die Hauptquelle für Punkte ist die Identität in der Mitte des Spielplans. Jedes Mal, wenn eine Sphäre des Origin-Boards leer wird, löst dies eine Revelation aus. Nun werden die Aspirations gewertet. Jedes Team hat einen Stapel aus neun Aspirations, die verdeckt sind. Nur das Team kennt die oberste Karte. Zudem gibt es dieselben neun Aspirations als offene Auslage in der Mitte, die der Reihe nach gewertet werden.
Bei den Aspirations geht es immer darum, die Mehrheit von oder bei irgendetwas (Realms, Frontiers, Essenz, Vibes, …) zu haben. Wer die eigene Team-Aspiration und/oder offene Aspiration gewinnt, darf Fragmente in der Identität platzieren. Ein kleines, wenn man eine Aspiration erfüllt hat, und ein großes, wenn man beide erfüllt hat.
Eine Festung, die neben der leeren Sphäre steht, wird ebenfalls der Identität hinzugefügt.
Jedes Team hat Intentions. Erfüllt man eine der vier Bedingungen das erste Mal in einem Zug, so gibt es einen Punkt. Jedes weitere Mal, das man eine weitere Bedingung im selben Zug erfüllt bringt zwei Punkte. Diese Punkte werden auf der Punkteleiste abgetragen und können Einmalbonusse freischalten.
Die Identität
Welche Seite den größten Einfluss auf die Identität genommen hat, klärt sich am Spielende. Dies wird ausgelöst, wenn eine Seite kein passendes Fragment mehr hat, um es während einer Revelation zu platzieren, wenn die letzte offene Aspiration gewertet wurde, oder wenn ein Team zwanzig Punkte mit den Intentions erzielt hat.
Nun werden die Fragmente in der Identität gewertet. Jedes kleine Fragment gibt drei und jedes große Fragment bringt fünf Punkte. Das „Dach“, das platziert wird, wenn man kein passendes Fragment mehr besitzt und so das Spielende auslöst, bringt vier Punkte.
Die Seite, die die meisten Punkte sammeln konnte, gewinnt die Partie.
Infos zu Cerebria – The Inside World
Personenzahl: 1-4 Personen (2 Teams) Alter: ab 15 Jahren Spielzeit: 120 Minuten Schwierigkeit: Expertenspiel Langzeitmotivation: riesig Mechaniken: Area Control, Team/Coop-Spiel, Worker Movement Spielidee: Viktor Peter, Richard Amann Illustrationen: Pedro A. Alberto, Toby Allen, Villő Farkas, Jamie Sichel Verlag: Mindclash Games Offizielle Website: Cerebria – The Inside World Erscheinungsjahr: 2018 Sprache: englisch Kosten: 65 Euro |
Fazit
Fangen wir hier mal mit dem Elefant im Raum bzw. auf dem Spieltisch an. Der Spielplan, die Teamboards und die einzelnen Spirits brauchen sehr viel Platz. Theoretisch hätte alles definitiv auch kompakter gestaltet werden können. Gerade dadurch macht das Spiel visuell aber einfach Eindruck. Die langsam wachsende Identität, das Origin-Board mit der WP und die wunderschön gestalteten Emotionen mit den transparent gefärbten Essenzen verzaubern einen ein ums andere Mal, wenn man Cerebria spielt.
Das Spielmaterial ist insgesamt von großartiger Qualität und für den Preis bekommt man hier wirklich viel geboten. Die Punktemarker könnten allerdings etwas größer sein.
Optisch gibt es für mich einen großen Mangel, der allerdings nicht wirklich beim Spielmaterial zählt, sondern sich eher auf die Bewertung der Anleitung auswirkt. Die Icons sind einfach schlecht. Bei der Hälfte der Emotionen kann ich mir bis heute deren Effekte nicht aus den Icons herleiten und muss sie in der Übersicht nachschlagen. Die meisten Kombinationen kommen nur einmal vor oder sind sich so ähnlich, dass eine klare und vor allem schnelle Unterscheidung kaum möglich ist. Die Übersicht mit allen Emotionen und Fähigkeiten ist zwar gut gestaltet, aber bei der Größe der Karten hätte man hier von vornherein eine bessere Lösung wählen sollen.
Abgesehen von diesem Punkt, der den Spielfluss gerade am Anfang immer wieder stört, ist die Anleitung wirklich super geschrieben. Alle Punkte werden in logischer Reihenfolge mit klaren Beispielen beschrieben. Wenn man etwas nachlesen muss, findet man die entsprechenden Stellen ohne Probleme.
Gerade am Anfang wird man viel Zeit damit verbringen, Dinge nachzuschlagen, weil einfach so viel zu beachten ist. An manchen Stellen mag es etwas kleinschrittig wirken, doch im Großen und Ganzen fügt sich hier alles super zusammen. Durch die Zwischenziele in Form der Aspirations hat man von Anfang an immer eine Idee, in welche Richtung man seine Aktionen ausrichten möchte. Trotzdem ist der Einstieg natürlich nicht mal so nebenbei zu schaffen.
Der Fluss des Spiels ist sicher nicht für jeden etwas. Die einzelnen Züge können schon viel Zeit in Anspruch nehmen. Zu viert kann es passieren, dass man zwischen zwei Revelations gar nicht am Zug ist. Da man als Team spielt, ist das aber auch nicht so schlimm, da man in der Planung trotzdem mitwirkt.
Lässt man sich darauf ein, belohnt das Spiel mit einer unglaublich faszinierenden Tiefe.
Wann man eine Revelation auslöst, erfordert sorgfältige Planung. Hier lohnt sich auch immer einen Blick auf die nächste offene Aspiration zu werfen, wenn absehbar ist, dass man bei der aktuellen nicht gewinnen wird. Da die anderen Sphären nach der ersten Revelation bereits „angebrochen“ sind, werden folgende Revelations immer schneller ausgelöst. Gerade gegen Ende des Spiels, wenn auch immer mehr Intentions gewertet werden, zählt wirklich jede Aktion. Der Duell-Charakter des Spiel tritt hier perfekt hervor.
Auch die Wertung bleibt spannend. Theoretisch kann man zu jeder Zeit ausrechnen, wie es steht. Da gegen Ende in einem Zug auch mal fünf oder sieben Punkte mit den Intentions gemacht werden können, muss man auch hier genau aufpassen, dass man dem gegnerischen Team hier nicht den Sieg liegen lässt. Meist liegen die Endpunktestände irgendwo im Bereich zwischen 30 und 50 Punkten und es ist immer knapp.
Wer ein Expertenspiel sucht, das mit einem einzigartigen Thema, abseits vom Euro-Einheitsbrei, hohem Denk- und Optimierungspotential und sehr angenehmer Interaktion punkten kann, ist bei Cerebria an der richtigen Adresse. Hinter dem süßen Artwork verbirgt sich ein beeindruckendes Area-Control-Spiel mit riesigem Wiederspielwert, das für den Mechanismus unüblich zu zweit (oder in zwei Teams) perfekt funktioniert.
EGO
Auch wenn man sich nicht gegenseitig bekämpfen will, bietet Cerebria mit dem Solo- und Koop-Gegner „EGO“ eine spannende Herausforderung. Für die Menschen verändern sich die Regeln nicht.
EGO wird über ein Kartendeck gesteuert. Zwei Karten bilden hier immer die Aktion die ausgeführt wird. Die erste wird immer am Ende von EGOs vorherigem Zug aufgedeckt. So kann man mit den drei möglichen Aktionen von EGO planen. Man sogar die Wahrscheinlichkeiten mit bedenken, wenn man EGOs Ablagestapel im Blick behält.
Bei seinen Aktionen orientiert sich EGO an der offenen Aspiration. Gewinnt er diese aktuell, arbeitet EGO auf seine verdeckte Aspiration hin, die dann aufgedeckt wird.
Während einer Revelation kann EGO WP einsetzen, um das Ergebnis der Spielenden in der entsprechenden Wertungskategorie zu seinen Gunsten zu senken. Ansonsten funktioniert die Revelation wie man es aus dem Mehrpersonenspiel kennt.
Ein starker Gegner
EGO ist einer meiner liebsten Sologegner. Hat man das dahinter stehenden Konzept, nach welchen Präferenzen EGO Aktionen ausführt, sind die einzelnen Züge schnell abzuhandeln. Während der ersten Partien wird man hier noch etwas länger brauchen und öfter nachschlagen müssen. Solo als Erstpartie zu spielen wird so noch zu einer doppelten Herausforderung.
Man erkennt klar die Handschrift David Turczis in den Abläufen der Aktionen. Das Halb-Vorhersehbare erlaubt es, sich gut auf den Gegner einstellen zu können, auch wenn man nicht mit 100%-iger Sicherheit planen kann. Die einzelnen Aktionen von EGO sind „stärker“ als die Aktionen, die den Spielenden zur Verfügung stehen.
Durch die Einflussnahme während einer Revelation über die gesammelte WP werden auch weniger effektive Aktionen von EGO gut ausgeglichen. Gerade am Anfang muss man wirklich hart darum kämpfen, Fuß zu fassen, da es für EGO ein Leichtes ist, Emotionen und Festungen zu entfernen. Die Schwierigkeit lässt sich über verschiedene kleine Stellschrauben sehr fein anpassen, wobei der Standard für mich schon der Sweetspot ist.
Im kooperativen Modus funktioniert EGO ebenfalls gut, wobei mit dieser Spielmodus am wenigsten gefällt. Zu zweit macht das Spiel eine bessere Figur, wenn man gegeneinander spielt.
Den Großteil meiner Partien von Cerebria habe ich solo gespielt, so dass ich das Spiel auch wärmsten expertigen Solospielenden empfehlen kann. Zusammen mit Chronossus aus Anachrony ist EGO für mich einer der herausragenden Sologegner, die auf realistische und logisch nachvollziehbare Weise einen menschlichen Gegner imitieren ohne dabei vom eigenen Spiel abzulenken.
Vorschau | Produkt | Bewertung | Preis | |
---|---|---|---|---|
|
Schmidt Spiele 49447 Die Quacksalber von Quedlinburg, Das Duell,... * |
14,99 EUR |
||
|
Schmidt Spiele 49341 Die Quacksalber von Quedlinburg, Kennerspiel... * |
31,99 EUR |
||
|
Schmidt Spiele 40630 Mit Quacks & Co. nach Quedlinburg,... * |
24,29 EUR |
* = Affiliate Link. Bei einem Kauf über einen der Links erhalten wir einen Teil des Kaufpreises als Provision. Für Euch ergeben sich keine Mehrkosten, Ihr könnt unser Portal jedoch dadurch unterstützen. Letzte Aktualisierung am 18.03.2025 / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API. Bilder von Amazon PA-API.