Dreh- und Angelpunkt ist die Hamburger Kneipe „Der goldene Handschuh“. Der verurteilte Serienmörder Fritz Honka hat hier seine Opfer kennengelernt und mit nach Hause genommen. Der Roman erzählt Abschnitte aus seinem Leben, ebenso von weiteren Personen, die hier einkehrten, ob reich oder alt. Der Autor Heinz Strunk erhielt den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis für sein Werk.
Wahre Begebenheit
Der Protagonist dieses Buches ist Fritz Honka. Er war ein deutscher Serienmörder, der vier Frauen umbrachte und nach seiner letzten Tat von der Polizei festgenommen und 1976 verurteilt wurde. Seine schwere Kindheit und Jugend, exzessiver Alkoholkonsum und aufgestauter Hass auf Frauen bewegten ihn zu seinen Taten. Das Buch beschreibt Episoden aus seinem Leben, aber auch die von Nebenfiguren, die nichts direkt mit Fritz Honka zu tun hatten.
Start im goldenen Handschuh
Das Buch ist in drei Hauptabschnitte unterteilt, die ihrerseits drei Abschnitte in Fritz Honkas Leben beleuchten: „Ich lernte auf St. Pauli eine ältere Frau kennen“, „City Nord“ sowie „Dies ist kein Alptraum, dies ist ein Todeskampf“.
Der Roman berichtet davon, wie der Protagonist in seiner Stammkneipe „Der goldene Handschuh“ einkehrt, der Ausgangsort seiner Eskapaden. Wie andere Stammbesucher dieser Kneipe, die 24 Stunden und jeden Tag im Jahr geöffnet hat, erhielt er von anderen mehr oder weniger liebevoll den Namen „Fiete“, wie er im weiteren Verlauf des Romans genannt wird.
„Jetzt hat ihn der Schmiersuff befallen, der einem den ganzen Kopf und das ganze Denken zuschmiert und zukleistert, ebenso ist er müde. Er geht nach hinten zu den Schimmligen, um eine Runde zu schlafen. Die Schimmligen heißen nicht nur so, sie sehen auch so aus.“
Auszug aus „Der goldene Handschuh“, Teil I
Hauptsächlich konsumiert Fiete Alkohol in rauen Mengen und schleppt Frauen fortgeschrittenen Alters mit nach Hause. Die Frauen sind Stadtstreicherinnen ohne Wohnung und suchen im Goldenen Handschuh nach Gelegenheiten, in einer warmen Wohnung unterzukommen. So lässt Fiete die Frauen bei sich wohnen, allerdings müssen sie für Kost und Logis Sex mit ihm haben, ebenso auch den Hausputz übernehmen. Zuhause werden auch raue Mengen Alkohol konsumiert, weshalb manche Situationen eskalieren, wenn eine Frau nicht das macht, was Fiete möchte.
Der Roman beinhaltet zudem Nebengeschichten von Personen, die nicht unbedingt etwas mit Fiete zu tun haben, allerdings früher oder später ebenso im Goldenen Handschuh anzutreffen sind. So wird von der gut situierten von Dohrens –Familie berichtet, die vermögend und einflussreich ist, aber auch ihre Makel, Macken und Probleme hat. Am interessantesten finde ich die Erlebnisse des Juniors, Wilhelm Heinrich der Dritte, der ein jugendlicher Außenseiter mit Noonan-Syndrom ist. Diese Krankheit bewirkt ein deformiertes Gesicht, weshalb der Junge Probleme hat, Freunde zu finden. Als er einem Tier in Not zu Hilfe eilt, beeindruckt dies ein Mädchen, das sich mit ihm anfreundet.
Anschauliche Beschreibung und äußerst vulgäre Sprache
Der Autor geizt im Buch nicht mit anschaulichen und vulgären Begriffen, die den Leser ekeln und erschauern lassen. Aber so äußern sich manche Menschen dieses Milieus nunmal. Wer damit kein Problem hat, wird reine Freude an dem Roman haben. Es kann sogar passieren, dass der Leser Sympathien für die Charaktere entwickelt, weil sie nicht nur so konkret beschrieben sind, sondern auch ihre Fehler und Makel in den Fokus gerückt werden.
„Der Schiefe hält seinen Schädel in den Händen wie eine aufgeschnittene Melone, bevor er ihn auf den Ellenbogen ablegt. Im Moment des Ablegens ist er weg. Wenn der Schlaf kommt, dann plötzlich und kurz. Er schläft nie länger als eine Stunde. Er wacht auf, als ein Schimmliger ihm die Schuhe auszuziehen versucht.“
Auszug aus „Der goldene Handschuh“, Teil I
So erhalten die Stammbesucher der Kneipe ihre Spitznamen wie die Schimmligen, Soldaten-Norbert, Leiche, Fanta-Rolf und Anus. Fanta-Rolf ist ein Zuhälter, der für seine Arbeit einen klaren Kopf behalten möchte und daher nur Fanta trinkt. Leiche bewegt sich sehr wenig und Anus hat keine Ahnung, was „Anus“ überhaupt heißt. Mir entfuhr hin und wieder ein breites Grinsen beim Lesen.
Gedanken und Träume
Es wird der personale Erzähler eingesetzt, also in der dritten Person berichtet. Dies finde ich hier auch sehr passend, da nicht nur Fiete sondern auch die Gedanken der anderen Charaktere von Belang sind. Ich finde es interessant zu wissen, was die Stadtstreicherinnen, die bei Fiete wohnen, fühlen. Denn auch wenn sie abgestiegen sind und ihre Gefühle in Alkohol ertränken wollen, so sind es dennoch Menschen, die irgendwo noch Hoffnung und Wünsche haben. Auch wenn manchmal die Hoffnung und das Warten auf den Tod durchblitzt.
„Seine Augen sind halb geschlossen, man weiß nie genau, ob er was mitkriegt oder nicht. Er schläft mehr als er wach ist, seine Schenkel sind wundgerieben vom In-die-Hose-Pissen. Manchmal rüttelt ihn der Kellner, ob noch Leben in ihm ist.“
Auszug aus „Der goldene Handschuh“, Teil I
Natürlich interessiert den Leser auch die Gedanken von Fiete. Man hat einen reichen Einblick in seine Gedankenwelt, Vergangenheit und Träume. Auch Phantasien blitzen durch und lassen den Leser erahnen, was im weiteren Verlauf passieren kann.
Starker Einstieg, langatmiger Mittelteil
Während das Buch im ersten Teil sehr stark beginnt, finde ich persönlich die Handlung im zweiten Teil etwas langatmig. Die Nebenfiguren der von Dohrens-Familie haben mich eigentlich nicht sonderlich interessiert. Lediglich die Erlebnisse von Wolfgang Heinrich dem Dritten haben mich angesprochen. Es wird hier allerdings ein anderer Abschnitt in Fiete Leben beschrieben und sie ist wichtig für den dritten Teil, der den Höhepunkt beinhaltet
Infobox
eBook (ePUB): 256 Seiten
Verlag: Rohwolt
Sprache: Deutsch
EAN: 9783644050815
Autor: Heinz Strunk
Erscheinungsjahr: 2017
Kosten: 9,99 Euro
Fazit
Der Roman Der goldene Handschuh ist anregend geschrieben. Der Text liest sich flüssig und die Schreibweise empfinde ich als angenehm. Dass das Buch von vulgären Ausdrücken nur so trieft, stört mich persönlich nicht. Manche zarte Seelen können damit eventuell nicht umgehen.
Den Mittelteil empfinde ich als etwas langatmig, aber er ist wichtig, um die Intention und Entwicklung vom Protagonisten etwas nachvollziehen zu können. Außerdem darf man nicht vergessen, dass es sich um einen Tatsachenroman handelt und der Autor somit nicht so viel Möglichkeiten bei der Erzeugung von Spannung hat. Literarisch ist der Roman überaus ansprechend.
Ich bin jetzt sehr auf die Verfilmung des Romans und vor allem auf die Umsetzung der Charaktere gespannt.