Brettspiele werden bekanntlich in unterschiedliche Genres einsortiert, an denen sich Fans einfach und schnell orientieren können. Doch auch bezüglich des Schwierigkeitsgrades existieren diverse Bezeichnungen und Titel, die einem potenziellen Käufer anzeigen sollen, ob der ausgewählte Brettspieltitel zu ihm passt. Die Rede ist von sogenannten Expertenbrettspielen. Doch was genau qualifiziert einen Brettspieltitel eigentlich zu einem Expertenspiel? Was kann man als Brettspieler mit derartigen Bezeichnungen anfangen: Helfen Sie bei der Auswahl oder ist ex nur ein geschickter Marketing-Schachzug? Diesen und noch einigen Fragen mehr, versuche ich im nachfolgenden Artikel auf den Grund zu gehen.
Kennerspiel des Jahres vs. Deutscher Spielepreis
Der Preis für das Kennerspiel des Jahres existiert erst seit 2011. Die Beurteilungskriterien orientieren sich am Spielepreis Spiel des Jahres. Wesentlich sind also die Spielidee, die Regelgestaltung, das Spielmaterial und die grafische Ausarbeitung. Zusätzlich richtet sich das Kennerspiel des Jahres an Brettspieler, die eine gewisse Erfahrung im Umgang mit Brettspielsystemen und Regelwerken haben. Um Expertenspiele also zu kategorisieren scheint die Spielerfahrung eine tragende Rolle zu spielen. Aber was ist im Jahre 2011 passiert, dass ein neuer Kritikerpreis vergeben werden musste?
Bevor es das Kennerspiel des Jahres gab, richtete sich die Auszeichnung des Vereins Spiel des Jahres e.V. eher an Familienspiele als an Nischenspiele, die sich thematisch teilweise deutlich vom Mainstream abgrenzen. Zudem erhielt auch der Deutsche Spielepreis im Jahr 2011 eine Auffrischungskur und ging mit einem neuen Logo und vielleicht auch einer veränderten Bewertungsidee an den Start. Betrachtet man die ersten Plätze des Deutschen Spielepreises ab der Mitte des Millennium und vergleicht die Siegertitel mit den Vorjahren, so fällt auf, dass deutlich mehr Brettspiele mit strategischem Anspruch geehrt wurden. Darunter beispielsweise Agricola von Lookout Games, das vom Spiel des Jahres e.V. aufgrund der Komplexität sogar einen Sonderpreis gewann. Es musste also etwas dran sein an der Trennung zwischen „normalem Brettspiel“ und Expertenspiel. Mit der Einführung der Auszeichnung Kennerspiels des Jahres haben also auch Veteranen ganz offiziell einen möglichen Orientierungspunkt für komplexe Brettspiele erhalten. Auf diesen Zug ist auch die Jury vom Deutschen Spielepreis aufgesprungen, denn seit 2011 dominieren dort ebenfalls Brettspiele, die auf erheblich komplexere Spielmechanismen setzen.
Brettspielen hatte von nun an nicht mehr nur unterhaltenden Charakter, sondern wollte Spieler aus aller Welt auf eine eher sportlich-ambitionierte Weise motivieren – auch im Rahmen von taktisch anspruchsvollen kompetitiven Settings. Damit traten Brettspiele endlich wieder in Konkurrenz zu digitalen Unterhaltungsprodukten.
Umfangreiches Regelwerk
Die Anfänge der Brettspiele reichen einige Tausend Jahre in der Zeitgeschichte zurück. Zu Beginn basierten Gesellschaftsspiele auf einfachen Regelwerken, die sich auf Würfelsysteme oder vergleichsweise simple Zugmechanismen stützten. Mit der Erfindung der militärischen Planspiele im 19 Jahrhundert, quasi dem Vorgänger der heutigen Table-Top-Games, wurden Brettspielern immer mehr taktische Aktionen eingeräumt. Regelwerke wurden umfangreicher, Spielzüge komplexer und Spielpartien länger. Die Abläufe in einem Expertenspiel werden grundsätzlich auch über ein entsprechend dickes Regelbuch erläutert. Dabei ist allerdings nicht nur die Erfahrung im Umgang mit Brettspielen wesentlich, sondern auch das Maß an Geduld, das für die Einarbeitung in neue Spiele aufgewendet werden muss. Brettspiel-Veteranen fällt es sichtlich leichter, sich in neue Spielsysteme einzufinden, denn nur die wenigsten Spieleautoren erfinden das Rad neu. Oftmals kehren bewährte Regeln in veränderter Form zurück: Gut ist, was erfolgreich war.
Erfahrene Brettspieler greifen auf das fundierte Regelwissen zurück und haben eigene Techniken entwickelt, um sich möglichst effektiv in unbekannte Brettspielkonzepte einzuarbeiten. Familien- oder Kinderspiele arbeiten dagegen ebenso mit allgemeinverständlichen Regeln wie Brettspiele, die sich an reine Gelegenheitsspieler wenden.
Auf ein unzählige Seiten umfassendes Regelwerk können Verlage heutzutage glücklicherweise verzichten. Internetvideos und Let’s Plays bringen selbst Anfängern komplexe Regeln auf unterhaltsame Weise und leicht verständlich näher. Die Grenze zwischen Experten-Brettspiel und Normalo-Brettspiel verschwimmt dadurch zunehmend.
Trotzdem bleiben Expertenspiele kleine Herausforderungen. Wer sich schon einmal in Spiele der Ctulhu-Reihe oder einen TabletTop-Hybriden eingearbeitet hat, ohne direkt auf Videos zurückzugreifen, der weiß was Komplexität bedeuten kann.
Bei aller Unterscheidung müssen auch Expertenspiele unterhaltsam sein. Die Entwicklung von Experten-Brettspielen orientiert sich derzeit eher am Grundsatz „Easy to learn, hard to master“. Komplexe Spiele bringen Neulingen zunächst auf leicht nachvollziehbare Weise die Grundregeln bei, um diese dann schrittweise um weitere Spielaktionen zu erweitern. Die Erfahrung von Brettspielern kommt dann zum Tragen, wenn es darum geht effiziente Spielstrategien zu entdecken und auf die unterschiedlichen Spielsituationen anzuwenden. Diese Entwicklung ist durchaus zu begrüßen, denn Brettspieler sind von Natur aus gesellig und auch Profis spielen liebend gern mit Einsteigern zusammen. Ein Glück also, dass kooperative Brettspiele ziemlich trendig sind – so bekommen Frischlinge nicht nur auf die Mütze.