Aus einer persönlichen Sensibilisierung heraus achte ich immer wieder auf Barrierefreiheit und damit Inklusion im Alltag, denn all zu oft lauern, auch in einer Zeit in der Integration groß geschrieben wird, „Behindernisse“ auf Betroffene. Bei kleineren Unternehmen, wie der Taverne von nebenan, ist es ärgerlich, wenn man seine Mahlzeit im Biergarten einnehmen muss, weil unüberwindbare Stufen vor dem Eingang lauern, und manchmal auch ein Grund demnächst ein besser zugängliches Lokal zu wählen, doch von Global Playern und Großveranstaltungen erwarte ich einen bewussten Umgang mit diesem sensiblen Thema.
Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, mich im folgende Beitrag mit der Barrierefreiheit und dem Inklusionsverständnis der Gamescom 2016 in Köln zu beschäftigen. Um aufzuzeigen, dass eine Behinderung kein Grund sein darf Großveranstaltungen zu meiden. Vielmehr muss ein Umdenken bei den Veranstaltern hin zur Inklusion stattfinden.
Die Gamescom – ein kurzer Überblick
Die Gamescom ist weltweit die größte Messe für interaktive Unterhaltung, insbesondere für Computer- und Videospiele. Seit 2009 findet sie jährlich im August, auf dem Gelände der Koelnmesse statt und zieht deutlich über 300.000 Besucher in ihren Bann. Zusätzlich besuchen über 100.000 Besucher das Gamescom City-Festival in der Kölner Innenstadt. Hier erwartet Fans ein buntes Bühnenprogramm mit nationalen und internationalen Stars, Gaming-Angeboten und Verpflegungshighlights.
Die Barrierefreiheit der Gamescom – mein eigener Eindruck
Kann man am Fachbesucher- und Medientag noch frei durch die Gänge flanieren und die Aufzüge nutzen, sieht dies am darauffolgenden Tag schon deutlich anders aus. Es wimmelte in jedem Gang der Messe vor Interessierten, Cosplayern und Gamern. Jeder Messebesucher will schnellst möglich an seinem favorisierten Stand ankommen, um einen guten Platz in der Schlange der Wartenden zu ergattern, denn nur so kann man ohne lange Wartezeiten Spiele testen oder spannende Informationen erhalten. Schon nach kurzer Öffnungszeit der Messe werden Engstellen in den Gängen deshalb für Gehende zur Qual und für Rollstuhlfahrer und Gehbehinderte zu einer Barriere, die es zu überwinden gilt. Hier wird vor Ungeduld wild gedrängelt und geschubst; auch wenn die Sicherheitskräfte der Koelnmesse in das Geschehen eingreifen und durch geschicktes Absperren von Wegen versuchen, die Menschenmassen in eine gemeinsame Gangrichtung zu lenken. Bei den hohen Besucherzahlen der Gamescom lässt es sich nicht vermeiden, dass es immer wieder zu den beschriebenen Rempeleien kommt. Diesen Situationen versuchen viele Fußgänger zu entgehen, in dem sie die vorhandenen Aufzüge nutzen. Dabei gibt es augenscheinlich diejenigen, die Rücksicht auf ihre, auf den Fahrstuhl angewiesenen, Mitmenschen nehmen und diesen bereitwillig den Vortritt lassen, und andere, die wiederum schnell hinein hechten und sich gemächlich auf eine andere Ebene der Messe transportieren lassen, ohne dabei die Konsequenzen derer zu beachten, die nicht so einfach auf die Treppen ausweichen können.
Ähnliche Situationen machen sich mir immer wieder auf meinem Weg über das Messegelände bemerkbar. Gibt es zu meist diejenigen, die freundlich ausweichen, wenn ihnen ein Rollstuhlfahrer entgegenkommt oder sich Zeit nehmen und im Gedränge nicht darauf bestehen jeden fahrenden Messebesucher mit einem genervten Spruch zu überholen, zeigt sich in einigen Ausnahmefällen leider genau gegenteiliges Verhalten. Ich frage mich, liegt das an der bereits in unserer Kindheit fehlenden Sensibilisierung im Umgang mit „Gehandicapten“?
In den Warteschlangen vor den Ständen kann ich derweil nur selten einen „Rollifahrer“ ausfindig machen und als ich mit einem der wenigen spreche, äußert dieser etwas, was ich bis dahin nie bedacht habe: „Ich kann nicht mehr lange sitzen, mein Hintern tut weh!“. Auf uns Gehende wirkt ein Rollstuhl meist bequem, doch können wir uns, wenn wir zu lange auf einer Stelle sitzen, anders verlagern oder aufstehen. Für viele Rollstuhlfahrer ist dies nicht möglich und deshalb kann eine lange Wartezeit, wie es auf der Gamescom an den Messeständen zumeist üblich ist, zu einer schmerzhaften Tortur werden. Ob der Befragte an diesem Tag noch an sein Ziel kam oder vorher aufgeben musste, diese Frage kann ich nicht beantworten, ich wünsche es ihm jedoch und frage mich, sehe ich deshalb kaum Leute im Rollstuhl an einem der vielen PCs spielen? Ist Inklusion immer noch ein Fremdwort in unserer Gesellschaft und haben Behinderungen auf einer Gaming-Messe keine Daseinsberechtigung?
Barrierefreies Gaming
Dem gegenüber stehen Organisationen wie die der AbleGamers. Auf deren Homepage man ein Zitat findet, welches sich meiner Meinung nach jedes Entwicklerstudio zu Herzen nehmen sollte: „I believe thatthere is nothing more powerful for people with disabilities than freedom that only videogames can provide.“ (Ich glaube daran, dass es nichts kraftspendenderes für Menschen mit Behinderungen gibt, als die Freiheit die Videospiele bieten).
Oder Gamern wie Dennis Winkens, der nach einem Radunfall vom Hals an gelähmt und auf seinen Rollstuhl angewiesen ist, es sich aber trotzdem nicht nehmen lässt, an einem rasanten Racing-Game-Duell auf der Gamescom teilzunehmen. Seine Einschränkungen überbrückt er dabei durch einen über den Mund steuerbaren Joystick. Außerdem hielt der Verein Aktion Mensch auf der Gamescom einen Vortrag zum Thema barrierefreies Gaming: „Spiel ohne Grenzen. Barrierefreiheit: Wie inklusiv ist Gaming?“.
Doch wurden alle guten Ideen zum Thema Barrierefreies Gaming auf der diesjährigen Gamescom bereits umgesetzt oder besteht hier noch Handlungsbedarf, hin zur Inklusion?
Die Antwort auf diese Frage wollen mir nur wenige Betroffene beantworten – zu groß scheint die Scheu vor dem Auffallen. Dennoch erklärten sich drei junge Männer bereit mir ein kurzes Interview zu geben.
Aus dem Leben: Stefan mit seinem Cousin auf der Gamescom
Selbst viele Worte können die Eindrücke der Personen nicht ersetzen, die sich zwangsläufig mit dem Thema Barrierefreiheit auseinandersetzen müssen. Nicht etwa, weil sie es beruflich tun, sondern weil es zu ihrem Leben, zu ihrem Alltag gehört, sich Herausforderungen zu stellen, die andere manchmal gar nicht bemerken. Wir haben nachgefragt, bei Stefan zum Beispiel, der mit seinem Cousin die Gamescom 2016 in Köln besucht hat.
Stefan: Ja klar! Ich bin schon zum zweiten Mal hier.
Ich sehe, du wartest auf einen Aufzug, darf ich dir ein Paar Fragen zum Thema Barrierefreiheit und Inklusionsverständnis der Gamescom stellen?
Stefan: Es gibt hier überall Rampen und Aufzüge. Ich komme überall hin; das hat letztes Jahr auch schon gut geklappt.
Hast du das Gefühl, dass du jeden Ort der Messe problemlos erkunden kannst und jederzeit Ansprechpartner findest, die dir im Problemfall weiterhelfen?
Stefan: Wenn ich ein Spiel ausprobieren will, dann ist das bisher auch immer möglich gewesen. Ich habe keine Probleme bemerkt. Wenn man mir anbieten würde, dass ich nicht so lange warten muss, dann würde ich das auch annehmen. Wir sind gerade erst angekommen und mein Cousin ist zum ersten Mal dabei. Wir werden sehen wie es diesmal wird.
Wenn du ein Game ausprobieren möchtest, hast du das Gefühl, dass das ohne Hürden möglich ist? Gibt es zum Beispiel Sitzplätze die auf deinen Rollstuhl ausgerichtet sind und kannst du die langen Schlangen an Wartenden umgehen?
Ein kurzer Blick in das Twitterprofil von Stefan Lässt vermuten, dass der Tag genau so positiv weiter ging, wie er begann. So beschreibt er seine auf der Gamescom verbrachten Tage als „verdammt geil“. Toll!
Positive Zeichen auch von Carsten und Patrick
Nun könnte Stefan ja ein Glückstreffer gewesen sein, der auf der Gamescom 2016 zur richtigen Zeit in der richtigen Warteschlange stand. Also mussten wir weitere Meinungen einfordern, wie die von Carsten und Patrick beispielsweise.
Das zweite Kurzinterview führte ich mit Carsten und Patrick. Die beiden jungen Männer, fielen mir durch ihre Begeisterung mitten in der gut gefüllten Messehalle 5.2 auf.
Carsten: Nö, eigentlich gar nicht. Wir sind bis jetzt eigentlich überall hingekommen, wo wir hinkommen wollten. Nur der Tumult, da kommt man kaum durch mit dem Rollstuhl. Rampen und so gibt es auf jeden Fall genug und wenn man will, dann kann man sich auch Hilfe von den Messemitarbeitern holen.
Wie erlebt ihr die Gamescom; ist sie für euch barrierefrei gestaltet oder lauern immer wieder „Behindernisse“ auf euch? Was haltet ihr von der Anzahl an Fahrstühlen und Rampen auf dem Messegelände?
Carsten: Nicht immer. Also das wirklich nicht bei jedem Stand! Wenn wir sehen, das passt und fragen: „können wir mal testen“, dann können wir durch einen gesonderten Eingang zu den Games kommen. Da warten wir dann so zehn Minuten. Das kommt halt darauf an wie voll es an dem Stand so ist.
Und wie erlebt ihr die Gaming-Möglichkeiten? Sind alle Spiele für euch bisher ohne Hindernisse erreichbar gewesen?
Carsten: Ich hätte es so gerne so, dass alle Stände barrierefrei sind. Man kann bei den meisten Ständen nicht über die Stufen kommen. Da fragt man sich schon öfter mal „willste dir das echt antun?“
Muss sich irgendetwas grundlegend verändern, damit das Erlebnis Gamescom 2016 für euch noch besser wird?
Carsten: Naja, die springen einem schon oft vor den Rollstuhl. Hier ist ja auch überall so ein Tumult. Das ist nicht so toll, aber was sollen wir dagegen tun. Ich denke halt, wir haben Zeit… Wir gehen in Ruhe überall hin und dann ist das okay.
Wie reagieren andere Messebesucher auf euch? Wird Rücksicht genommen?
Patrick: Resident Evil 7! Bei Tekken waren wir ja schon und bei Dragonball 2 auch.
Carsten: Blizzard war auch cool. Da konnte man sofort vor die Bühne rollen. Das war gar kein Problem. Wir mussten nur eben Bescheid sagen. Bei Blizzard sind die sehr freundlich.
Was habt ihr denn schon erlebt und wollt ihr noch etwas Spezielles ausprobieren oder anschauen?
Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich bei Stefan, Carsten und Patrick bedanken. Ihr habt mir sehr offen meine Fragen beantwortet. Es war mir eine Freude euch zu interviewen.
Eine Meinung: Verbesserungen erwünscht
Als persönliches Fazit, habe ich nun den Eindruck gewonnen, dass das Ziel der Barrierefreiheit auf der Gamescom und im Gaming-Sektor noch lange nicht erreicht ist, sich die Messeveranstalter
jedoch sichtlich bemühen, ein inklusives Konzept auf die Beine zu stellen. Augenscheinlich sind die Gamescom und die Koelnmesse sehr fortschrittlich in ihren Bemühungen der
Inklusion, doch hapert es oft an anderer Stelle: bei den Ständen der Spielehersteller. Es ist bedenklich, wenn ein Mensch mit Behinderung darüber nachdenkt, sich einen Messebesuch „nicht anzutun“
weil er nicht jedes Spiel barrierefrei erreichen kann. Überall lauern Stufen auf die Besucher der Messe. Zumeist sind die Messestände treppenförmig aufgebaut und die unterste Ebene ist nur über
eine oder sogar mehrere Stufen erreichbar. Das ist nicht nur schlecht durchdacht, sondern schließt diese Personengruppe geradezu aus.
Auch Spielstationen, die nicht vom Rollstuhl aus erreichbar sind und wenig Sitzgelegenheiten innerhalb der Messehallen empfinde ich als kontraproduktiv. Besonders für Messebesucher die durch
ihre körperlichen Einschränkungen schnell erschöpft sind, wären diese von großer Relevanz. All dies sind Punkte, die einer Messe dieser Größenordnung nicht passieren sollten. Inklusion muss ein
stets präsentes Thema sein.
Ich werde auf zukünftigen Veranstaltungen weiterhin die Augen für euch offen halten und hoffe, dass das Thema Barrierefreiheit irgendwann keine übergeordnete Rolle mehr spielen muss und jeder seine Gamingsessions frei von Hindernissen genießen kann.
Um zur Eingangsfrage zurückzukommen: Ist Barrierefreiheit auf der Gamescom nun Traum oder Wirklichkeit?
Es ist ein bisschen von beidem.