Retro ist das neue Alt. Kein Wunder also, dass Retro-Gaming ein Thema ist, das auf der diesjährigen Gamescom ein fester Bestandteil ist. In der Family & Friends Zone darf nach Herzenslust auf altgedienten Spielsystemen gezockt werden. Ob der Sega Megadrive, Nintendos NES oder NEO GEO: Retrokonsolen liegen voll im Trend. Wer denkt, die antiken Spielsysteme punkteten ausschließlich durch nostalgischen Charme, der irrt gewaltig, denn Retro-Gaming macht enorm viel Spaß.
Tanzen bedeutet Zocken
Wenn zwei schwitzende Spieler vor einem antiken Spielautomaten herumhüpfen, mag das zunächst ein wenig verwirren. Wer dem Spektakel jedoch länger als 30 Sekunden zuschaut, der merkt schnell, dass Retro-Gaming auch sportlich aktive Spieler unterhalten kann. In bewegten Bilder sieht das Ganze dann in etwa so aus wie in diesem Video. Michael von der Musikspiel-Community „Vier Pfeile“ ist mit dem Musikspielautomaten Dancing Stage Evo Mix 2 von Konami nach Köln gereist, um unerfahrenen Tänzern die richtigen Moves beizubringen und Tanzmatten-Experten so richtig einzuheizen. Wie es aussieht, wenn ein echter Profi auf Konamis Tanzmatte abrockt, zeigte uns Kyle Ward, der Gründer der us-amerikanischen Firma Step Revolution, die eben diese Musikspiele entwickelt. Laut Michael ist das Spielen von Musikspielen zwar anstrengend, aber leicht erlernbar. „Es ist vergleichbar mit Lesen“, so Michael. „Man muss nicht jedes einzelne Wort sehen, um den Text zu verstehen.“ Wir haben unsere Trainingsanzüge leider nicht im Gepäck gehabt: Selbst ausprobiert haben wir das Tanzspiel Dancing Stage Evo Mix 2 also nicht, aber bereits das Zuschauen war enorm unterhaltsam.
Virtuelle Welten auf Brettspieltischen
Zu ersten Mal als Aussteller auf der Gamescom vertreten ist die Retrogaming Community Insert Game aus Solingen in NRW. Carmelo D’Alú, der Gründer der Gemeinschaft, schwärmt von seinem Hobby. Zwar spiele er auch moderne Games, so richtig Laune machen aber nur „echte Retro-Games“, die über einen einzigartigen Look und ein Gameplay, das nicht kopierbar ist, verfügen. Es sind die Pixel und Sprites, in Kombination mit einem unverwechselbaren Spielgefühl, die Retrospiele auch heutzutage noch zu echten Toptiteln machen. Die Retro-Gaming-Community Insert Game existiert seit mittlerweile drei Jahren und finanziert sich über Mitgliedsbeiträge und freiwilligen Spenden. „Nur Spielen und Turniere veranstalten reiche nicht aus“, sagt Carmelo. Und so haben die Retro-Fans aus Solingen alle Hände voll zu tun, um ihr Hobby einer breiten Masse zugänglich zu machen. Dass auch die Sozialen Medien und insbesondere ein eigener Twitch-Channel dafür genutzt wird, ist für die Solinger selbstverständlich.
Die Unterschiede zwischen traditionellen Retro-Games und modernen Spielen, die den altbewährten Look nur kopieren, liegen im Detail. Einem Gelegenheitsspieler würden die Unterschiede wahrscheinlich kaum auffallen, denn Grafik oder Sound werden nahezu perfekt kopiert.
„Viel wichtiger als eine gute Optik sind die Gameplayelemente der Retrospiele“, so Carmelo von Insert Game. Anhand des Klassikers Twinkle Star Sprites, der ursprünglich für die Videospielkonsole Neo Geo erschien und danach als Ableger für Segas Dreamcast und die Sega Saturn umgesetzt wurde, verdeutlicht Carmelo seinen Einwand: „Twinkle Star Sprites wird erst durch die spürbaren Slowdowns perfekt spielbar.“ Slowdowns sind Verlangsamungen des Spielablaufs, um dem Spieler zu ermöglichen, beweglichen Objekten erfolgreich auszuweichen. Das beeinträchtige nach Carmelos Meinung nicht nur das Spielgefühl, sondern auch den Spielablauf und die Schwierigkeit. Ohne Slowdowns spielen sich Pixel-Games wie das genannte Twinkle Star Sprites einfach viel schwieriger. Als weiteren Faktor, den angehende Retrospieler beachten sollten, nennt Carmelo das sogenannte Inputlag. Neuauflagen von Retrokonsolen können problemlos an moderne Bildschirme angeschlossen werden. „Bei echten Retrokonsolen seien die technischen Hürden wegen des Inputlags höher, wenn man auf die gewohnte Qualität aus der Vergangenheit nicht verzichten möchte“, so Carmelo D’Alú. „Einfach anschließen funktioniert zwar oft, aber die Qualität leidet manchmal deutlich.“ Liebhaber nostalgischer Spielsysteme sollten aus technischer Sicht demnach LCD-Bildschirme mit mehr als zwei Frames vermeiden. „Spürbar wird das Inputlag vor allem bei schnellen Spielen wie zum Beispiel Beat’em ups wie Street Fighter“, fügt Carmelo mit einem Lächeln an, das verrät, dass echte Fans auf diese Details achten.
Dass das Sammeln antiker Spielsysteme ein teures Freizeitvergnügen werden kann, belegen die Kaufpreise, die Retroliebhaber für ihr Hobby bereit sind zu zahlen. Zwischen 800 und 2000 Euro koste ein Spielautomat und in den Räumlichkeiten der Solinger Retro-Community steht davon mehr als einer. Den Trend zu Neuauflagen von echten Retro-Konsolen begrüßen die Fans übrigens, denn sie bieten ihrem Hobby eine öffentliche Plattform. Wer selbst Hand an den Joystick legen möchte, ist herzlich eingeladen, die Community in Solingen zu besuchen.