Die Dekadenz ist endlich auch im Brettspielsektor angekommen. Im Brettspiel Mercado von Rüdiger Dorn schlüpfen Spieler in die Rollen von reichen Bürgern, die sich ihre Zeit auf Märkten verdingen. Wer sich jemals die Frage gestellt hat, was man mit seinem Geld tun würde, wenn man davon Unmengen hat, bekommt hier eine Antwort präsentiert.
Spenden? Fehlanzeige. Soziale Projekte unterstützen? Fehlanzeige. Kunstobjekte erwerben, um sich daran zu ergötzen? Ja, das kommt der Sache schon viel näher. Gesellschaftsspiel ist für Mercado der ideale Begriff, denn in gewisser Weise wird ein wichtiges gesamtgesellschaftliches Grundthema berührt: Verschwendung. Mit dem zu protzen was man hat – oder was man sich zu leisten bereit ist – gehört zu den Kernelementen des Investitionsspiels aus dem Hause KOSMOS. Weil man seinen Krempel aber erst einkaufen muss, um damit auch angeben zu können, schlendern Spieler bei Mercado gemütlich über den Markt, werfen mit Münzen um sich und erstehen allerlei nutzlosen Kram. Nicht falsch verstehen: die Spielidee von Mercado ist spannend.
Wer schon immer wissen wollte, wie sich das anstrengende Leben in Reichtum und Dekadenz anfühlt, sollte die nachfolgende Rezension zum Brettspiel Mercado auf keinen Fall verpassen.
Shopping Queens der Upper Class
Beutel gehören derzeit zum „heißen Scheiß“ der Brettspielszene. Auch bei Mercado werden Spieler zu Beginn mit ihrem persönlichen Münzsack ausgestattet, der fortlaufend als Ressourcenspender fungiert. In den Beuteln liegen Münzen in unterschiedlichen Farben, um damit auf dem Markt die Waren der Händler zu erstehen. Das Problem: an den unterschiedlichen Marktständen verlangen die eigenwilligen Händler bestimmte Kombinationen aus den Münzen. Ein Glück, dass jeder Händler seine Waren nur gegen individuelle Ressourcenkombinationen abgibt: es macht die Shoppingtour für Spieler erheblich spannender.
Das kann so manchen Geldsack in den Wahnsinn treiben, denn im Münzbeutel geht es alles andere als ordentlich zu. Silberne, goldene, türkisfarbene und rötliche Münzen fliegen nach Belieben im Münzsack herum – ganz so als hätten man es als reicher Bürger gar nicht nötig, seine Gelder zu sortieren. Wo so viel Geld zu finden ist, ist auch Falschgeld nicht weit. Und so gesellen sich zu den verschiedenen Münztypen wertlose Falschgeldmünzen, mit denen Spieler rein gar nichts kaufen können.
Endlich am Zug, ziehen aktive Spieler insgesamt drei Münzen aus ihrem Beutel. Natürlich blind, damit der Glücksfaktor auch so richtig zum Tragen kommt. Fällt Spielern Falschgeld in die Hände, wird dieses umgehend auf dem Spielertableau abgelegt und verringert die verfügbaren Ressourcen um einen Teil. Die restlichen Münzen können bei den Händlern als Anzahlungen für die gewünschten Waren hinterlegt werden. Anders als im richtigen Leben kauft bei Mercado niemand auf Pump: die Waren gehen erst als Eigentum in den Besitz der Spieler über, wenn sie den gesamten – und damit passenden – Betrag an den Händler gereicht haben. Um die Shoppingtour nicht zu sehr zu vereinfachen, müssen nicht verwendete Münzen, mit Ausnahme des Falschgeldes, am Ende des Zuges zurück in den Beutel gelegt werden. So weit, so einfach.
Die strategische Komponente wird spürbar, wenn Spielern die Münzen ausgehen. Wer erfolgreich einen der Gegenstände erwerben konnte, legt die dafür verwendeten Geldstücke auf sein Spielerbild – und damit außerhalb des direkten Zugriffsbereichs. Münzen, die auf dem Porträt liegen können nämlich in der nächsten Runde nicht zum Einkaufen genutzt werden. Alle anderen Mitbieter erhalten ihre bis zum Kauf investierten Münzen allerdings zurück. Auf diese Weise verschieben sich die Ressourcenverhältnisse ständig. Das ist spannend. Das wirkt ausgleichend.
Je weniger Münzen zur Verfügung stehen, umso mehr drängt sich die Entscheidung auf, ob man eine Runde aussetzen sollte, um die Geldstücke zurück zu erhalten. Verzichtet ein Teilnehmer auf seine Rundenaktivität, darf er die Münzen von seinem Spielerbild wieder in seinen Beutel legen. Wer die Rezension bisher aufmerksam gelesen hat, merkt sofort, was das bedeutet: auch das Falschgeld findet auf diese Weise seinen Weg zurück in den Münzbeutel.
Wer so bemüht darum ist, seine Ressourcen möglichst effizient zu verwalten, muss natürlich auf eine besondere Weise belohnt. Das Regelwerk von Mercado stellt selbstverständlich sicher, dass der jeweils Höchstbietende ein dickes Stück vom Kuchen abbekommt. Die zusätzliche Belohnung kommt in Form eines Siegels daher, das fortan erlaubt, einmalig zwei weitere Münzen aus dem Beutel zu ziehen. Spieler können damit ihre Einkaufsmöglichkeiten zeitweise erweitern.
Des Reichen größter Feind: das Finanzamt – und Verzicht
Gespielt wird eine Partie bei Mercado übrigens solange bis ein Spieler das Wertungsbrett einmal umrundet hat. Anschließend wird die laufende Runde bis zum Ende gespielt, dann folgt die Vergabe der „Trostpunkte“, um die Plätze auf dem Treppchen zu ermitteln.
Wer einen Gegenstand oder Duft sein Eigen nennt, erhält dafür eine bestimmte Anzahl an Siegpunkten. Spieler rücken ihre Spielfigur nun auf dem Wertungsbrett um die entsprechende Anzahl vor. Eine weitere strategische Komponente kommt durch die erworbenen Luxusgüter ins Spiel: je nach gekauftem Gegenstand werden diverse Boni ausgelöst. Diese können beispielsweise in zusätzlichen Siegeln bestehen, dem Spieler Siegpunkte gewähren oder den Beutel mit Jokermünzen befüllen.
Letztere lassen sich dann ganz klassisch als Universalmünze einsetzen, um Einkäufe zu vereinfachen. Sogar Falschgeldmünzen können mit dem passenden Bonus aus dem Geldsack verschwinden. Da kommt bei beiden Geldsäcken Freude auf.
Bei Mercado ist es strategisch clever, die richtigen Gegenstände zur richtigen Zeit zu erstehen. Die verschiedenen Boni sowie die Möglichkeit, seine bisher geblockten Münzen zu einem selbst gewählten Zeitpunkt zurück ins Spiel zu bringen. Insgesamt reichen taktische Handlungen bei der zugrundeliegenden Spielmechanik natürlich nicht aus, um siegreich zu sein. Eine ordentliche Portion Glück gehört bei Mercado natürlich zwingend dazu.
Positiv an dieser Mischung aus Taktik und Glück ist jedenfalls, dass sie in beide Richtungen funktioniert. Einerseits können Spieler den Glücksfaktor mithilfe einer guten Strategie abmildern; andererseits kann ein glückliches Händchen so manche taktische Schwäche ausgleichen. Dadurch bleibt Mercado spielerisch fair.
Für wen ist Mercado besonders geeignet?
Das taktische Kaufspiel Mercado lockt mit seiner einsteigerfreundlichen Spielmechanik vor allem Familienspieler an den Tisch. Dank der stets nachvollziehbaren Spielhandlungen kommen sogar Kinder gut mit den grundlegenden Regeln zurecht. Mercado hat grundsätzlich alles, was ein ideales Familienspiel ausmacht: tolles Material, ordentliche Illustrationen, einfache Spielregeln, eine überschaubare Anzahl an Spielhandlungen und eine angemessene Spieldauer.
Der Schritt von Anleitungsstudium zur ersten Handlung dauert nur wenige Minuten. Die Grundlage sind schnell nachvollzogen; die gute Anleitung trägt ihren Teil zu einem schnellen Spielstart bei. Spielern offenbaren sich während ihres Zuges nur zwei wesentliche Optionen: Münzen ziehen und auslegen oder den Beutel auffüllen.
Dadurch ist die Downtime für die übrigen Spieler sehr gering. Es dauert nur wenige Momente, bis der aktive Spieler seine drei verfügbaren Münzen angelegt und eventuell noch einen Bonus ausgelöst hat. Mercado bietet Brettspielern ein flüssiges Spielerlebnis – auch, weil man als zweitplatzierter Bieter Vorteile aus einem Zusatzsiegel schlagen kann. Das taktische Brettspiel von Rüdiger Dorn bietet eine unaufgeregte Spielerfahrung für 2 bis 4 Spieler ab ca. 10 Jahren. Es eignet sich durchaus als abendfüllendes Brettspiel, weil man gern mehrere Partien hintereinander bestreitet.
Dennoch nutzt sich Mercado vergleichsweise zügig ab, was auch daran liegt, dass mit der bespielbaren Rückseite des Wertungsbretts lediglich eine minimale Variante verfügbar ist. Diese spielt hauptsächlich mit den verschiedenen Boni, bleibt ansonsten allerdings unauffällig.
Bilder zu Mercado von Rüdiger Dorn
Infobox
Spielerzahl: 2 bis 4 Spieler
Alter: ab 10 Jahren
Spieldauer: 30 bis 45 Minuten
Schwierigkeit: mittel
Langzeitmotivation: mittel
Verlag: KOSMOS
Autor: Rüdiger Dorn
Grafik: Fiore GmbH
Erscheinungsjahr: 2018
Sprache: deutsch
Kosten: 35 Euro
Fazit
Insgesamt ist Mercado von Rüdiger Dorn ein unterhaltsames Kaufspiel, das eine Glücksmechanik mit einigen eher simplen taktischen Einflussmöglichkeiten vermischt. Das Spielprinzip funktioniert tadellos. Mercado spielt sich flüssig und kann nahezu jeden Spielertypus für eine Partie begeistern. Vielspieler werden langfristig die Herausforderung vermissen, weil selbst ausgeklügelte Strategien gegen den immensen Glücksfaktor nicht ankommen. Alle anderen erhalten mit dem Brettspiel vom Verlag KOSMOS einen Titel, der regelmäßig auf den Spieltisch wandert.
Mercado punktet vor allem mit seinen einfachen Grundregeln, die sogar Gelegenheitsspieler in Windeseile verstanden haben. Die hervorragende Anleitung hilft dabei, einen schnellen Einstieg in das Brettspiel von Rüdiger Dorn zu finden. Der Spielablauf geizt nicht mit Überraschungsmomenten: Spieler werden zu überraschenden Siegern, weil sie sich bei einem möglichen Schlussspurt mit dem glücklicheren Händchen durchsetzen. Statt durch komplizierte Wertungen, gewinnt bei Mercado der Spieler, der als erster die Ziellinie auf dem Wertungsbrett überschreitet. Das mag vorausschauendes Taktieren zwar überflüssig machen, ist aber dennoch spannend, weil sich die Positionen auf dem Spielbrett schlagartig verändern können. Auch bei der Ermittlung der Gewinner bleibt Mercado seinem Hand zur Simplizität treu.
Strategisch gestaltet sich Mercado eher seicht. Die Mischung aus glückslastigen und taktischen Spielfaktoren lässt einfach nicht mehr zu. Das ist nicht unbedingt als Manko anzusehen, weil die Partien stets flüssig vor sich hinplätschern. Große Jubelrufe gibt es selten; Aufreger allerdings auch: Mercado spielt sich angenehm und entspannt.
Wer seinen Beutel und damit seine Ressourcen im Griff hat, darf dennoch darauf hoffen, dass einige geplante Spielstrategien sich auszahlen. Das liegt unter anderem daran, dass die Fortschritte auf dem Wertungsbrett – und damit der Erhalt einiger Boni – sich planen lässt. Zumindest grob.
Festzuhalten ist weiterhin, dass Mercado mit jedem zusätzlichen Spieler an Spannung gewinnt. Bei der Vollbesetzung mit vier Spielern ist der Konkurrenzkampf untereinander deutlich spürbarer – und auch spannender – als in einer minimalistischen Zwei-Spieler-Partie.
Variantenreich ist Mercado auf den ersten Blick nicht. Das Spielbrett verfügt über zwei bespielbare Seiten, die sich in Details unterscheiden. Was dennoch clever ist: die Start- und Zielposition lässt sich frei wählen, sodass sich das Wertungsbrett mit jeder Partie ein wenig anders spielt. Immerhin.
Insgesamt ist Mercado von Rüdiger Dorn ein gutes Beispiel für ein gelungenes Familienspiel. Das taktische Kaufspiel entbrennt kein Feuerwerk der Begeisterung, zündet aber dennoch. Wer ein Brettspiel für entspannte Spielrunden sucht, wird bei diesem Titel aus dem Hause KOSMOS fündig.