Es gibt Dinge, die passen zusammen wie Pommes und Currywurst: Bier und Spiele zum Beispiel. Das Hopfengetränk als Thema für ein Brettspiel zu nutzen ist nicht neu, Wolfgang Warsch hat es dennoch getan und lädt Spieler in „Die Tavernen im tiefen Thal“, erschienen bei Schmidt Spiele, dazu ein, die eigene Kneipe zu verwalten. Was die Gäste an den Tischen wollen ist klar: Bier. Am liebsten viel davon. Das Brettspiel richtet sich an Familienspieler, lockt jedoch durch Varianten auch Vielspieler an die Theke. Spaß haben werden alle, wenn auch nicht gleich viel. In der nachfolgenden Brettspiel-Rezension verraten wir, wie sich „Die Tavernen im tiefen Thal“ im Test schlägt.
Das Thema klingt so frisch wie ein Schwerarbeiter sich nach zwölfstündiger Maloche und fünf Feierabendbierchen fühlt. Dennoch: Wolfgang Warsch schafft es mit dem strategischen Brettspiel „Die Tavernen im tiefen Thal“ das Interesse bei den Spielern zu wecken.
Nicht zuletzt liegt das an dem enorm modularen Spielaufbau und einigen innovativen Mechaniken – allen voran an dem cleveren Deckbau-Kniff.
Geld oder Bier: Das ist hier die Frage
Schon der grundlegende Einstieg das das Brettspiel weiß zu fesseln: aus unzähligen Einzelteilen bastelt sich jeder Spieler – nicht frei, sondern nach Vorgaben – seine persönliche Kneipe zusammen, in der fortan möglichst viele Gäste bedient werden sollen. Das ist im ersten Modul, dem Basisspiel, bereits gelungen, führt in den Folgemodulen (es gibt insgesamt vier zusätzliche Module zur Erweiterung des Basisspiels) zu kleineren Begeisterungsstürmen.
Jedes „Gedeck“ des Spielers besteht aus seiner Taverne, einem Start-Deck aus Gästekarten sowie drei Tavernenkarten. Dann kann das acht Runden andauernde Saufgelage auch schon beginnen. Und weil es sich mit einigen Goodies besser in eine Runde startet, werden jeweils zum Rundenbeginn kleinere Boni ausgeschüttet.
Ein hübscher Marker sorgt dafür, dass die Übersicht auch mit drei Promille noch bewahrt werden kann. Die zusätzlichen Startboni sind nicht spielentscheidend, können grundlegende taktische Überlegungen aber zumindest beeinflussen: so erhalten Spieler einen Thekengast oder eine zusätzliche Tavernenkarte an die Hand.
Mit ihren Spielertokens rücken Wirte zudem auf der Klosterleiste vor, um gegebenenfalls weitere Boni freizuschalten. Das ist nicht zwingend, kann sich aber lohnen – doch darüber entscheiden neben dem Spieler selbst auch die Würfel. „Die Tavernen im tiefen Thal“ mischt nämlich einen Deckbau-Mechanismus mit Dice-Placement. Wolfgang Warsch orientiert sich mit seiner Spielidee damit an vorherrschenden Trends: statt einen Mechanismus als Highlight zu nutzen, sorgen verschiedene Grundmechaniken für abwechslungsreiche Spielhandlungen.
Liebe Gäste, bitte langsam
Bierdurstige Kneipengäste – möglichst mit dicker Geldbörse – möchte jeder Wirt in seiner Taverne an den Tischen sitzen haben. Bei „Die Tavernen im tiefen Thal“ ist das nicht anders und so ziehen die Spieler als erste aktive Rundenhandlung gleichzeitig solange Karten von ihrem Deck, bis alle Tische mit Gästen belegt sind. Gäste sind also vor allem zu Beginn Fluch und Segen zugleich: sind die Tische nämlich belegt, endet die Phase für den Spieler umgehend! Wirte wünschen sich allerdings einige „Ausbauten“ in Form von Tavernenkarten, die in einem festgelegten Bereich angelegt werden, und dort in der aktuellen Runde für Vorteile sorgen. Der Lieferant kann dann mehr Bier bringen, die Kellnerin sorgt für einen zusätzlichen (dann grünen) Würfel. Maximal drei zusätzliche Würfel können pro Spieler ins Spiel kommen, sodass sich daraus drei Zusatzaktionen ergeben – stark. Und auch zusätzliche freie Tische für Gäste gibt es, sodass mehr Münzen generiert werden können.
Dieses kleine Spannungsmoment zu Beginn jeder Runde funktioniert hervorragend und lockert das Spielgeschehen durch freigesetzte Emotionen auf.
Weil „Die Tavernen im tiefen Thal“ ein Mix aus Deckbau und Dice-Placement ist, kommt nach den Karten die Würfel ins Spiel. Jeder Spieler wirft seine vier weißen Würfel – und gegebenenfalls seine grünen Bonuswürfel – und legt diese auf den „Bierdeckel“. Dann folgt der Draft: jeder Spieler nimmt sich einen der Würfel und reicht die übrigen an seinen Nachbarn weiter. Das geht solange, bis jeder vier Würfel von den Bierdeckeln entnommen hat. Aus der Auswahl ergeben sich dann die Platzierungsoptionen. Spieler setzen ihre Würfel nun auf jene Felder, von denen sie sich die größten Effekte versprechen: das können zusätzliche Gelder oder Bier sein, aber auch Tavernenaufwertungen oder Fortschritte auf der Klosterleiste.
Bier, Schnaps und Barden
Wolfang Warsch stellt Spielern zwar unterschiedliche strategische Alternativen zur Verfügung, überfordert jedoch nicht durch eine schier unendliche Auswahl an Optionen, wie man es von komplexen Worker-Placement-Brettspielen kennt. Das könnte man als Manko bezeichnen, „Die Tavernen im tiefen Thal“ ist allerdings als abendfüllendes Familienspiel entworfen, nicht als vielstündiges Optimierungsspiel mit ausufernd langen Denkpausen. Seine Rolle als Hybrid erfüllt der Titel aus dem Hause Schmidt Spiel hervorragend. Und mit den optionalen Modulen finden ohnehin weitere taktische Kniffe ihren Weg in das Spiel.
Gänzlich frei in ihren Entscheidungen sind Spieler nicht, das Regelwerk führt mit festgelegten Bedingungen an das Würfel-Platzieren heran – durch eine benötigte Augenzahl, die sich allerdings durch eine angelegte Tavernenkarte „Tellerwäscher“ manipulieren lässt. Sind alle Würfel gesetzt, kann serviert werden: Alle Spieler räumen dazu die Würfel aus ihrer Kneipe, um Geld, Bier, Aufwertungen oder Klosterleistensprünge zu erhalten. Mit dem Geld sowie dem Bier darf dann in der Kartenauslage eingekauft werden, um das eigene Deck zu erweitern.
Welche Karten sinnvoll sind, entscheidet der Spieler: Sollen direkt mehr Gäste in das Deck? Brauche ich eine spezielle Tavernenkarte? Oder kaufe ich lieber teure Aufwertungen, die mit im Verlauf des Spiels mehr Ressourcen bringen? Ausprobieren und Erfahrungen sammeln ist der Weg der Wahl, nicht zuletzt, weil die angestrebte Balance zwischen Deckbau und Tavernenaufrüstung (ein Upgrade bringt immerhin auch einen Adligen mit einem Gegenwert von zehn Siegpunkt in das Deck) sich erst zum Ende des Spiels in Punkten niederschlägt.
Bei der Deckerweiterung bringt Warsch einen weiteren Kniff ins Spiel: Neue Karten werden stets auf den Nachziehstapel gelegt, stehen dem Spieler also in der nächsten Runde mit Sicherheit zur Verfügung. Auch das lässt sich natürlich strategisch nutzen, so wie viele Mikro-Aktionen in diesem Brettspiel. Adlige sind dabei beliebte und unbeliebte Gäste: sie bringen zwar zehn Siegpunkte am Spielende, liefern während der Partie jedoch nur geringe Geldbeträge. Wolfgang Warsch begrenzt dieses Ressourcen-Manko dadurch, dass alle Adligen sich stets an einen Tisch setzen (Karten aufeinanderlegen). Ungenutztes Bier oder Geld kann aufgespart, also eingelagert werden, allerdings nur bis zur Kapazität der – natürlich ausbaubaren – Lager.
Das geht nun acht Runden lang so weiter, dann werten die Spieler ihre Punkte aus. Nach der Ermittlung der „besten Taverne im tiefen Thal“, möchte man meistens umgehend erneut spielen – vielleicht unter Rückgriff auf eines der Module. Das zweite Modul macht das „Gäste-Gedeck“ komplett und bringt Schnaps auf den Tisch, mit dem Gaukler zu Sonderaktionen motiviert werden können. Modul 3 erweitert „Die Tavernen im tiefen Thal“ um eine Rufleiste, die bei der Endauswertung zu zusätzlichen Siegpunkten führen kann. Ein Barde erweitert zudem die Auslage der kaufbaren Tavernenkarten. Das vierte Modul reicht das Spiel um eine teilweise zufällige Startbedingung an, bei Modul 5 wird dagegen ein Gästebuch genutzt, in das jeder Gast sich bei seinem „Kauf“ einträgt – das führt zu weitere Boni.
Bilder zu Tavernen im tiefen Thal
Infobox
Spielerzahl: 2 bis 4 Spieler
Alter: ab 10 Jahren
Spieldauer: 50 bis 70 Minuten
Schwierigkeit: mittel
Langzeitmotivation: hoch
Verlag: Schmidt Spiele
Autor: Wolfgang Warsch
Grafik: Jörg Kiefer
Erscheinungsjahr: 2019
Sprache: deutsch
Kosten: 38 Euro
Fazit
Wolfgang Warsch beweist mit „Die Tavernen im tiefen Thal“, dass er imstande ist, ein „echtes Kennerspiel“ zu erdenken. Hinter dem vermeintlichen Wust aus Mechanismen verbirgt sich ein durchaus komplexes Gesamtsystem, dessen Einzelteile hervorragend ineinandergreifen – und Spieler zu strategischen Überlegungen animieren. Ihm gelingt das bei dem Brettspiel aus dem Hause Schmidt Spiele auf mehreren Ebenen: das Material ist eine Augenweide und in ausreichender Menge vorhanden, sodass man als Käufer durchaus das Gefühl hat „für sein Geld wirklich etwas zu bekommen“. Die Ausstattung ist tadellos, vor allem die zusätzlichen Module sorgen dabei für Langzeitunterhaltung. Auch bezüglich der Illustrationen überzeugen „die Tavernen“: viele Details polieren das Brettspiel optisch auf und holen den Spieler von Beginn an ab, um ihn dann in das Thema hineinzuziehen. Auch auf der spielmechanischen Seite funktioniert das Kneipen-Thema gut, weil Wolfgang Warsch die Elemente sinnvoll interagieren lässt. Geld scheffeln, Bier liefern lassen, das Hopfengetränk in Maßen oder in Massen servieren: alles folgt einem geordneten Ablauf, der stetig dafür sorgen soll, dass die Spieler ihre Decks verbessern und damit ihr Siegpunktekonto füllen. Die Balance zwischen Geld und Bier funktioniert thematisch sowie regeltechnisch und stellt Spieler immer wieder vor Entscheidungen – räumt des Glück jedoch weit weniger Raum ein, als in Warschs „Vorgänger-Kennerspiel“ Quacksalber von Quedlinburg. Die Tatsache, dass hinzu gekauft Karten tatsächlich in der nächste Runde zum Einsatz kommen, ist ein vergleichsweise kleiner Regelkniff, allerdings mit großen Auswirkungen.
Auch Emotionen kommen nicht zu kurz, meistens in der Kartenziehphase. Kaum etwas ist ärgerlicher als aus einem umfassenden Deck in kurzer Folge Gäste zu ziehen, die im Handumdrehen alle Tisch besetzt und damit die Spielerphase beenden. Umgekehrt ist es aberwitzig, weiter Karten ziehen zu dürfen, um die Taverne auszustatten, während alle anderen Mitspieler zähneknirschend warten. Die strategischen Voraussetzungen verändern sich – natürlich auch glücksabhängig – mit jeder neuen Runde. Hervorragend!
Direkt schließt sich mit dem Würfelwurf ein weiteres Zufallselement an, das – mal Frust, mal Freude auslösend, weitere Spielaktionen ermöglicht. Durch den angereihten Dice-Draft ergibt sich zwischen den Spielern indirekte Interaktion, denn natürlich kann man versuchen, seine Gegner durch die Würfelauswahl zu ärgern. Spürbar wird das vor allem zu Spielbeginn, wenn die passenden „Einser, Zweier oder Sechser“ ausbleiben oder von Mitspielern vorher aussortiert werden. Je später das Spiel, desto größer wird auch die Auswahl an Alternativen. Die zentralen Fragen bleiben jedoch: Mehr Geld? Mehr Bier? Oder lieber ein Ausbau?
Weil die Lager zu Beginn klein sind, werden Ressourcen zu einem Großteil ausgegeben. Sparfüchse sind klar im Nachteil, allerdings wirkt sich jede Aktion auch tatsächlich vorteilhaft aus – mal mehr, mal weniger. Vor allem das Ausbau-Element entfaltet mit steigender Spielerfahrung besondere Reize. Darüber hinaus ist es durch die unzähligen Puzzle-Teile thematisch und optisch toll gelöst.
Die feinen Abstufungen im Regelwerk sorgen dafür, dass das Brettspiel „Die Tavernen im tiefen Thal“ eine breite Zielgruppe anspricht: Familienspieler werden mit der Grundversion ausreichend gefordert, Module bringen Hochprozentiges und „Tavernenbewohner“ ins Spiel, um neue Aktionen ausführen. Langfristig ist das auch notwendig, denn vor allem in der Basisversion wird deutlich, dass die taktischen Freiheit arg limitiert sind, zumindest, wenn man seine Siegpunkte – bei all den spürbaren Glücksfaktoren – tatsächlich zu optimieren gedenkt. Die Varianz tut dem Spielgefühl gut, sodass auch Familienspieler, die an „Die Tavernen im tiefen Thal“ Gefallen finden, sich mit den Modulen beschäftigen sollten. Die Punktekonten explodieren mit den Modulerweiterungen regelrecht, die Spielzeit bewegt sich dennoch im Rahmen des Basisspiels.
Der Einstieg ist das Brettspiel gestaltet sich teilweise zäh, nicht wegen komplizierter Regeln, sondern weil schlicht eine Übersicht fehlt, die den Spielern vor Augen hält, was wann zu tun ist. Der eigentlich unnötige Rückgriff auf das Regelwerk schafft zwar Abhilfe, ist aber umständlich. Vor allem Gelegenheitsspieler tun gut daran, sich mit einem erfahrenen Wirt an die Theke zu setzen, um sich in das Tavernen-Thema einführen zu lassen.
Ansonsten ist der Mechanik-Mix samt spürbarem Glücksfaktor ein Volltreffer, zumal sich keiner der Wirte auf das Glück allein verlassen muss – im Verlauf von insgesamt acht Spielrunden gleichen die Kräfteverhältnisse sich aus. Es entstehen faire und nachvollziehbare Ergebnisse. „Die Tavernen im tiefen Thal“ hat sich als grandioses Brettspiel herausgestellt, das auch mit zwei Spielern wunderbar funktioniert. Auch wenn der Jahrgang beim Bier kaum eine Rolle spielt: Dieser Warsch aus dem Jahr 2019 ist ein echter Qualitätstrunk.