Einen Stapel Spielkarten, mehr braucht es manchmal nicht, um selbst erfahrene Gesellschaftsspieler zu begeistern. Das taktische Kartenspiel The Mind von Wolfgang Warsch, erschienen beim Nürnberger Spielkarten-Verlag, konnte die kritische Jury des Spiel des Jahres e.V. überzeugen und landete als Nominée auf jener Liste aus drei Spielen, von denen eines den begehrten Kritikerpreis Spiel des Jahres 2018 gewinnen wird. Auch wir konnten dem genial einfachen Spielprinzip nicht wiederstehen und haben uns The Mind für eine Rezension auf den Spieltisch geholt. Ob das Kartenspiel den Vorschusslorbeeren gerecht werden kann erfahrt ihr im nachfolgenden Beitrag zu dem einzigen Kartenspiel auf dem Markt, das eure telepathischen Fähigkeiten weckt.
Genial einfach ist noch zu schwierig
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Rezension, steh das kooperative Kartenspiel The Mind – Lasst uns eins werden…! auf der Nominierungsliste für die Auszeichnung Spiel des Jahres 2018.
Knapp neun Euro verlangen die bekannten Onlinehändler für das Kartenspiel The Mind aus dem Hause Nürnberger Spielkarten-Verlag. Für einen derart geringen Einsatz bekommen selbst gestandene Spieler eine Herausforderung präsentiert, die ihresgleichen sucht. Klar, dass auch die Kritiker des Spiel des Jahres e.V. dem genial einfachen Spielprinzip nicht widerstehen konnten. In der Begründung der Jury heißt es:
„Wie soll das gelingen? Eine Frage, die sich jeder vor seiner ersten Partie „The Mind“ stellt. Dann folgt die Überraschung: Es funktioniert! Ohne Absprachen oder Gesten schafft es das Team, die gemeinsame Aufgabe zu erfüllen. Verblüffend! Faszinierend! Genial! Wolfgang Warsch synchronisiert die Spielewelt. Emotionale Momente bereichern dabei die zunehmende Verschmelzung von Geist und Materie. Eine erstaunliche Erfahrung, die jeder Spieler mal gemacht haben sollte.“
Was Wolfgang Warsch mit einem simplen Grundgedanken erreicht, macht aus The Mind mehr als nur ein gutes Kartenspiel. Statt wie bei vielen Gesellschaftsspielen die sozialen Kompetenzen der Teilnehmer in den Vordergrund zu stellen, spricht Warsch bei The Mind ein Kommunikationsverbot aus. Damit wird aus The Mind die konsequente Weiterentwicklung jener Idee, die schon dem erfolgreichen Kartenspiel The Game zugrunde lag: Spieler büßen einen wesentlichen Teil eines ureigenen menschlichen Bedürfnisses nach Kommunikation ein. Wie sehr sich der Charakter eines Kartenspiels verändern kann, wenn man Spielhandlungen erfühlen muss, weil man sie nicht besprechen darf, wird erst deutlich, wenn man sich auf eine Partie The Mind einlässt.
Zahlen von 1 bis 100 in aufsteigender Reihenfolge auszuspielen kann nur dann eine Herausforderung sein, wenn man sich als Spieler nicht auf geplante Handlungen der Mitspieler verlassen kann. The Mind ist ein kooperatives Sozialexperiment, das dann besonders zündet, wenn das Regelwerk – und damit die Grundidee – tatsächlich beachtet wird. Wir haben in den sozialen Medien und in Kommentaren zu The Mind oftmals gelesen, dass Spieler Gesten und Mimik bewusst nutzen, um Absprachen zu treffen oder zumindest vage Andeutungen über sinnvolle Spielhandlungen zu machen. Unsere ausdrückliche Empfehlung ist allerdings, auf jegliche Art der Kommunikation zu verzichten – ganz so wie Wolfgang Warsch es für The Mind vorsieht.
Spielspaßformel: Mehr Partien, mehr Unterhaltung
Es gibt Legacy-Brettspiele, die man bestenfalls in der immer gleichen Besetzung spielt. Und es gibt das Kartenspiel The Mind, für das diese Regel ebenfalls gilt. Natürlich macht das kooperative Kartenspiel auch mit wechselnden Mitspielern Spaß – sein volles Potenzial entfaltet The Mind jedoch, wenn die Spieler die Möglichkeit bekommen, sich kennenzulernen. Von Runde zu Runde entwickelt jeder Spieler ein Gefühl für das wahrscheinlichste Verhalten seiner Mitspieler: Wer zögert wann wie lange? Was bedeutet das unbewusste Stirnrunzeln eines bestimmten Mitspielers? Was denke ich, denken meine Mitspieler über mich und meine Handlungsmöglichkeiten? Und: Warum fühlt sich eine Partie The Mind so verdammt seltsam an?!
Die größte Stärke von The Mind spielt sich im Verborgenen ab: es sind die angestoßenen kognitiven und emotionalen Prozesse, die das Kartenspiel von Wolfgang Warsch zu einem grandiosen Titel machen, dessen Qualität man leicht unterschätzen kann. Ein Spiel, das mit jeder gespielten Partie besser, und auch unterhaltsamer, wird, gehört völlig zurecht zu den preisverdächtigen Titeln der aktuellen Spielesaison.
The Mind – Lasst und eins werden…! entfaltet von Beginn an eine fast schon kontemplative Wirkung. Das beginnt bereits bei der mentalen Vorbereitung, dem Synchronisieren. Wenn Mitspieler vor Rundenbeginn dazu angehalten werden ihre Handflächen auf den Spieltisch zu legen, um sich miteinander zu verbinden, klingt das auf dem Papier seltsam – vielleicht sogar überflüssig. In der Spielpraxis dagegen ist es genau dieser Vorgang, der die inneren Prozesse der Teilnehmer ins Rollen bringt. Jeder Spieler versucht auf seine Weise ein Gespür für die zwischen den Zügen vergangene Spielzeit zu entwickeln. Gleichzeitig ist jeder darauf bedacht, die individuellen Reaktionen und Verhaltensweisen seiner Mitspieler zu beobachten. Nahezu jeder unbewusste Prozess kann sich in einer Spielhandlung manifestieren. Und nicht immer ist den handelnden Spielern bewusst, wie sie gehandelt haben. Offensichtlich ist es, wenn ein Spieler deutlich erkennbar seine Karten verschiebt oder angespannt auf seinem Stuhl hin und her rutscht. Weniger offensichtlich sind zögerndes Verhalten, das Zucken des Mundwinkels oder eine unbedachte Handbewegung.
Das Spiel plätschert meist flüssig dahin und entfaltet dabei eine ungeheure Sogwirkung. Aus ihrer meditativen Ruhe wird die Spielerrunde meist dann gerissen, wenn völlig unerwartete – und insgesamt eher seltene – Erfolge durch das Ausspielen passgenauer Karten erzielt werden. Etwa, wenn eine perfekte Zahlenabfolge gelegt wird.
Weil des Öfteren kritische Spielsituationen auftreten, die das Vorankommen behindern, sollte mit dem Einsatz von Wurfsternen nicht gegeizt werden. Wurfsterne sind die Jokerkarten von The Mind und ermöglichen allen Spielern ihre jeweils niedrigste Karte abzuwerfen. Der Ablagestapel bleibt davon unbeeinträchtigt. Sich zusätzliches Leben oder Wurfsterne zu verdienen ist daher unerlässlich für das Erreichen höherer Level.
Das simple Grundkonzept sollte nicht über die gelungene optische Gestaltung der Spielkarten hinwegtäuschen. Die Illustrationen der Karten von The Mind – Lasst uns eins werden… sind hervorragend, charmant und ein Teil im Puzzle der Qualität. Für gelegentliches Schmunzeln sorgen auch die Kartentexte auf den Levelkarten, die Spielern bei erfolgreicher Gleichschaltung ihrer Geistesressourcen sogar telepathische Kräfte bescheinigen.Handeln bis der Finanzberater kommt
Bilder zu The Mind
Infobox
Spielerzahl: 2 bis 4 Spieler
Alter: ab 8 Jahren
Spieldauer: 15 bis 35 Minuten
Schwierigkeit: mittel
Langzeitmotivation: mittel
Verlag: Nürnberger-Spielkarten Verlag
Autor: Wolfgang Warsch
Grafik: Oliver Freudenreich
Erscheinungsjahr: 2018
Sprache: deutsch
Kosten: 10 Euro
Fazit
Man könnte 100 Spieler nach einer Partie The Mind zu ihren emotionalen Eindrücken befragen und würde wahrscheinlich 100 verschiedene Statements zu hören bekommen. Zu dem Kartenspiel aus dem Hause NSV entwickelt jeder ein individuelles Gefühl, auch weil Spieler sich während einer Partie bewusst darüber werden, was Zeit bedeuten kann und wie sich das eigene Verhalten durch vermeintliche zeitliche Grenzen beeinflussen lässt. Mit The Mind hat Wolfgang Warsch ein grandioses Werk geschaffen, das bei Spielern lange nachwirkt. Mit jedem Erfolg entwickelt sich das Gefühl über die Existenz eines erweiterten Kollektivbewusstseins weiter – so weit, dass Spieler tatsächlich an telepathische Begabungen glauben. Die Zeit verliert schrittweise ihre Funktion als überprüfbare Tatsache und wird zu einem Gefühl.
Auf eindrucksvolle Weise schafft es The Mind Emotionen bei den Mitspielern zu wecken. Was andere Spiele häufig durch dichte Hintergrundgeschichten und Storywendungen zu erzwingen versuchen, schafft dieses schlicht-geniale Kartenspiel von ganz allein – mit jeder ausgespielten Karte.
The Mind erinnert an die Abläufe von The Game und ist dennoch so anders. Ungläubig treten Spieler der Idee eines kommunikationslosen Kartenspiels gegenüber, bei dem sogar übergeordnete Spielziele erreicht werden müssen. Wenn dann kleine und große Erfolge eintreten, hält kaum einen Mitspieler auf seinem Meditationskissen: The Mind schlägt ein wie eine Gedankenbombe. Es verbindet sich mit eurem Geist – und ihr könnt nichts dagegen tun!