Rotkäppchen, Dracula, Robin Hood und Arthus von Camelot zählen zu den bekanntesten Figuren, die alte Volksmärchen und moderne Popkultur gleichermaßen nutzen. So unterschiedlich all die Geschichten um diese Charaktere auch sein mögen, bei Woodlands fügen sie sich perfekt zusammen. Daniel Fehr erzählt mir seinem Legespiel spannende Märchen, die Erwachsene und Kinder enorm fordern werden. In fortschreitenden Szenarien begeben Spieler sich auch märchenhafte Reisen, bei denen der Weg die Spielaufgabe dominiert und das erfolgreiche Puzzeln das Ziel darstellt. Woodlands von Ravensburger entführt mutige Brettspieler in tiefe Wälder, in denen Fantasiewesen zu Hause sind, die jeder Spieler aus seiner Kindheit kennt. Genau das macht das Legespiel so attraktiv: es ist eine Reise zurück in die eigene Kindheit, auf eine Weise, die man dem Brettspiel auf den ersten Blick nicht zutrauen würde.
In der nachfolgenden Rezension zu Woodlands erläutern wir, weshalb das fordernde Legespiel von Daniel Fehr ein märchenhafter Trip durch das Tal von Frust und Freude ist.
Es war einmal in einem Wald, weit weit entfernt…
Ein kleines Mädchen, einen blutsaugenden Vampir, einen überheblichen Bogenschützen und den einzigen wahren König zusammen in eine Pappschachtel zu stecken ist mutig. Was dabei herauskommt könnte kontrastreicher kaum sein: Woodlands ist ein märchenhaftes Abenteuer für 2 bis 4 Spieler ab. 10 Jahren schickt.
Wälder haben seit Anbeginn der Zeit eine eigene Mystik. Stets umweht ein Hauch von Gefahr die dichtbewachsenen Landstriche. Und wie so viele Wälder, will auch die von Daniel Fehr erdachte Version möglichst schnell durchquert werden. Bestenfalls ohne Umwege. Um die Wanderung durch das Tannendickicht ansprechend zu präsentieren, arbeitet Woodlands mit einem romanhaften Erzählstruktur, bei dem insgesamt vier Geschichten spielbar sind, die ihrerseits in mehrere Kapitel unterteilt sind. Was klingt wie ein spielbares Märchen, ist genau das.
Spieler agieren bei Woodlands zwar gegeneinander, allerdings spielt dabei jeder für sich. Ausgestattet mit identischen Sets aus zwölf Plättchen mit je 3 x 3 Feldern. Ein zusätzlicher Clou: sowohl Vorder- als auch Rückseite sind einsetzbar. Während die einfache Variante Wälder und Wege kennt, bahnen erfahrene Spieler sich ihren Weg zusätzlich durch Gewässer und Dornensträucher. Alle Spieler führen ihre Handlungen dabei gleichzeitig aus. Dazu werden neun Plättchen ausgewählt, um die geforderten Zielfaktoren möglichst genau zu treffen. Rotkäppchen sicher zu ihrer Großmutter zu bringen gehört zu den wohl populärsten Zielvorgaben. Damit der Waldspaziergang auch herausfordernd genug wird, liegt entlang der Wege so mancher Giftpilz herum, den Spieler beispielsweise besser meiden. Erwünscht ist hingegen das Aufsammeln von Edelsteinen oder genießbaren Pilzen. Die zusätzlichen Gegenstände bescheren Spielern idealerweise Extrapunkte, etwa wenn ein Edelstein-Set komplettiert wurde oder der Schlüssel eine Schatztruhe öffnet. Diese Details verleihen dem Spielgeschehen zusätzlich Spannungsmomente, denn es geht nicht nur darum, möglichst schnell den Wald zu durchqueren, sondern die Wanderung zudem an den Boni auszurichten.
Double Trouble: Schwierig und auf Zeit
Das fröhliche Setting darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Woodlands mit fortschreitendem Spielverlauf enorm knackige Herausforderungen an die Spielerschaft stellt. Zusätzlich erschwert werden die Kombinationsaufgaben durch den Stressfaktor Zeit: sanft, aber aufdringlich sorgt die ablaufende Sanduhr für den Extrakick, sobald der schnellste Spieler diese in Verwendung genommen hat. Dieser Kniff sorgt bisweilen für einen stark erhöhten Kortisolspiegel, der die Wanderung durch den märchenhaften Wald noch fordernder macht als ohne knappe zeitliche Ressourcen. Jedes Kapitel dauert nach Aktivierung genau eine Sanduhrfüllung.
Das ist für Hardcore-Optimierer kein Problem, stellt gemütliche Wegplaner jedoch des Öfteren vor Schwierigkeiten. Und genau das kann vor allem bei unerfahrenen Mitspielern oder gar Kindern für frustrierende Situationen sorgen. Immerhin: wer schnell ist und in Führung liegt, muss Zusatzaufgaben erledigen, die den übrigen Spielern die Möglichkeit zur Aufholjagd geben. Bei all der hektischen Betriebsamkeit rückt die eindrucksvolle Präsentation der Märchen teilweise leider in den Hintergrund. Das ist schade, weil die redaktionelle Aufarbeitung der Geschichten ein echtes Highlight ist.
Wer sich auf das Brettspiel Woodlands einlässt, muss Ausdauer haben wie ein Märchenerzähler. Spieler sind viele Stunden beschäftigt bis sämtliche Kapitel der vier Geschichten durchgespielt sind. Von Rotkäppchen bis hin zu Dracula: mit jedem Märchen wird es spürbar knackiger.
Das Einstiegsszenario um Rotkäppchen sorgt aufgrund seiner einfachen Struktur für schnelle Erfolge. Sogar Kinder bringen das mutige Mädchen mit der signalfarbenen Kopfbedeckung problemlos durch den Wald. Dennoch sollte man sich von den seichten Anfängen nicht zu sehr blenden lassen. Mit jeder Geschichte nimmt das Märchenabenteuer Fahrt auf. Solange, bis der Optimierungswahn Spieler in all seiner Komplexität an die persönlichen Spielfelder fesselt. Hier ein unnötiger Schlenker, dort zu viel Gier nach einem Bonusgegenstand – und schon war es das mit einer effizienten Runde.
Happy End mit Hindernissen
Jede gute Geschichte endet irgendwann, am besten mit einem Happy End. Bei Woodlands ist das nicht immer der Fall. Kapitel, in denen die Punkte ausbleiben, kommen vor – hin und wieder. Das lässt sich angesichts der steigenden Komplexität kaum vermeiden. Insbesondere, weil Wegfindungsprobleme direkt mit den spielerischen und kombinatorischen Fähigkeiten der einzelnen Mitspieler verknüpft sind. Was dem einen Waldabenteurer enorm leicht fällt, stellt sich für andere als unlösbare Aufgabe heraus. Fairness ist schwer zu beschreiben bei diesem Legespiel, denn die Voraussetzungen für den Spielerfolg bringen in erster Linie die Spieler mit. Je besser die eigene Vorstellungskraft und Kombinationsgabe, desto leichter findet sich ein lukrativer Weg entlang der Zielvorgaben.
Der Wiederspielwert von Woodlands ist hoch. Einerseits durch doppelseitige Landschaftsplättchen, die Teile des Waldes undurchdringlich machen, andererseits durch zusätzliche Meisterfolien, die über die Kapitelfolien gelegt werden, um den Schwierigkeitsgrad weiter zu erhöhen.
Man wünscht sich für Woodlands, dass die Regelerklärungen bezüglich einiger Details weniger verwaschen wären, um nicht in die Bedrängnis jener Kritik zu geraten, die Tom Felber vom Spiel des Jahres e.V. im Rahmen der diesjährigen Preisverleihungen angebracht hat:
„Leider verstärkt sich der Eindruck, dass immer mehr auch sehr gute Spiele mit der heißen Nadel auf den letzten Drücker auf einen Veröffentlichungstermin hin gestrickt werden müssen, ohne dass der Verständlichkeit und Vollständigkeit der Spielregeln genügend Beachtung geschenkt worden ist.“
Tom Felber
Leider ist die redaktionelle Aufarbeitung des Regelwerks nicht vollends gelungen. Ob das an kritischen zeitlichen Ressourcen lag oder an der Annahme, die gegebenen Erklärungen seien ausreichend trennscharf, bleibt ungewissen. Fakt ist: kommt unnötige Verwirrung auf, leidet im schlimmsten Fall der Spielspaß, weil komplexe Mechaniken von den Spielern nicht so umgesetzt werden können wie der Autor sich gedacht hat. Auf der Empfehlungsliste „Spiel des Jahres 2018“ ist Woodlands dennoch gelandet – trotz teilweise schwacher Regeln völlig zurecht.
Das ist aufgrund des hohen Unterhaltungswerts von Woodlands zwar Kritik auf hohem Niveau, dennoch dürfen Verlage eines nicht vergessen: der Spielspaß fängt beim Regelstudium an.
Bilder zu Woodlands
Infobox
Spielerzahl: 2 bis 4 Spieler
Alter: ab 10 Jahren
Spieldauer: 20 bis 50 Minuten
Schwierigkeit: mittel
Langzeitmotivation: mittel
Verlag: Ravensburger
Autor: Daniel Fehr
Grafik: Felix Mertikat
Erscheinungsjahr: 2018
Sprache: deutsch
Kosten: 30 Euro
Fazit
Die Grundannahme könnte kaum einfacher sein: man nimmt sich ein enorm populäres Setting, etwa Volksmärchen, und baut darauf ein Brettspiel mit hohem Knuddelfaktor auf, das Kinder und Erwachsene
gleichermaßen begeistern kann. Mit Woodlands von Ravenburger hat der Spieleautor Daniel Fehr etwas in dieser Art versucht: und der Plan soll, bis auf einige kleinere Einschränkungen,
aufgehen.
Was das fabelhafte Legespiel schafft, ist Kindern und Erwachsenen ein gemeinsames Spielerlebnis zu bieten. Was Woodlands dagegen mäßig gelingt, ist, den grundsätzlich einfachen
Spielablauf anschaulich in eine Regelerklärung zu verpacken. Immer wieder tauchen Situationen auf, in denen einzelnen oder allen Spielern das Verständnis für Detailregeln abgeht. Deutlich wird
das insbesondere bei Szenarien, in denen mit der Vergabe von Minuspunkten gearbeitet wird. Nicht nur, dass Minuspunkte für Kinder ein echter Motivationskiller sind, sondern auch, dass bei aller
Detailversessenheit so manche „Strafhandlung“ nur schwer in das Spielgeschehen eingebettet werden kann. Es macht je nach Szenario einen Unterschied, ob vordefinierte Figuren auf dem Spielfeld
liegen oder ob sie auf dem Spielfeld liegen und man darüber schreiten muss oder gar, ob sie auf den Wegen liegen und einen der Spieler erreichen könnten: klar? Wahrscheinlich nicht!
In derartige Regelkonfusion verfallen Spieler bei Woodlands häufiger. Damit kommt man zwar zurecht, ideal ist das – vor allem für ein Spiel, das auch Kinder ansprechen soll – aber nicht. Ohne ist Woodlands eines dieser Brettspiele, die bei Ravensburger eher auf Erwachsene zugeschnitten sind, trotz märchenhafter Thematik. Kinder ab ca. 10 bis 12 Jahren werden einen guten Zugang zu Woodlands finden, wenn ein erfahrener Spieler ihnen zur Seite steht. Dann aber macht das Märchenabenteuer mächtig viel Spaß. Nicht zuletzt, weil die dem Spiel zugrundeliegenden Geschichten echte Pluspunkte bezüglich der Präsentation darstellen. Inhaltlich, optisch und materialtechnisch bewegt sich das Legespiel auf höchstem Niveau. Die Motivation steigt von Partie zu Partie. Herausfordernde Szenarien zu meistern hält selbst erfahrene Spieler längerfristig bei Laune.
Die Idee des fordernden Legespiels von Daniel Fehr ist grandios: man streift durch knuffige Märchen-Szenarien, die mit jeder Partie schwieriger zu meistern sind. Rotkäppchen, Dracula, Arthus und Robin Hood sind jene ikonischen Figuren, die Woodlands zu einer spielbaren Geschichte machen. Je nach gewählter Story gestaltet sich das Brettspiel aus dem Hause Ravensburger entweder einfach oder schwieriger. Den Einstieg bildet das Rotkäppchen-Szenario, das an dieser Stelle auch für Familienspielrunden mit Kindern empfohlen sei.
Eine gute Kombinationsgabe und räumliches Vorstellungsvermögen helfen ungemein, um die Szenarien durchspielen zu können. Auch wenn die Erläuterungen zu Woodlands sich harmlos anhören, hat es das Legespiel in sich. Das gilt vor allem für Spieler, die sich während der einzelnen Kapitel von den Konkurrenten absetzen können. Bei Woodlands gilt: je besser man spielt, desto herausfordernder wird das Spielerlebnis. Das ist toll, weil dieser Umstand auch der Fairness dient. Punkterückstände werden durch spannende Wendungen im letzten Moment gedreht, Aufholjagden finden tatsächlich statt und machen Woodlands bis zur letzten Minute spielenswert.
Für den Fall, dass sich nach wiederholten Märchenabenteuer Routine einstellt, hat Ravensburger direkt vorgesorgt. Beiliegende Erweiterungen sorgen für enormen Wiederspielwert und erhöhen die Lebensdauer des Lebespiels von Daniel Fehr signifikant. Schon bezüglich der Nachhaltigkeit ist das ein echter Pluspunkt. Woodlands ist ein Brettspiel, das wie geschaffen ist für den typischen Fan-Service: regelmäßig neue Märchenerweiterungen auf den Markt zu werfen wirkt wie ein fester Plan, den Autor und Verlag sich zurechtgelegt haben müssen. Alles andere wäre fast schon eine Verschwendung der netten Spielidee. Gänzlich neu ist die Idee hinter Woodlands übrigens nicht. Erfahrene Spieler werden schnell Ähnlichkeiten zu Looney Quest entdecken, bei dem bezüglich der Wegfindung das zeichnerische Können der Spieler im Mittelpunkt steht. Insgesamt hat sich Woodlands von Daniel Fehr als spaßiger Titel herausgestellt, der trotz leichter Regelschwächen durch starke Spielmomente überzeugt.