Die Elder-Scrolls-Reihe zählt im Gaming-Sektor mit zum Besten, was Entwickler im Bereich der Rollenspiele auf den Markt gebracht haben. Inzwischen dürfen auch all jene Hand an das Franchise legen, die weder mit einem Gamepad noch mit Tastatur und Maus etwas anfangen können. Der britische Verleger hat ein Miniaturenspiel unter dem Titel The Elder Scrolls: Call to Arms veröffentlicht. Neben einer Basisbox gibt es mehrere Fraktionspakete mit Figuren. Ob und für wen sich das Spiel lohnt, verraten wir im nachfolgenden Review zu The Elder Scrolls: Call to Arms.
Überall in der Welt von Elder Scrolls singen Barden in den Tavernen von Monstern, Abenteuern, der vergangenen Zeit und mutigen Helden, die sich den Bedrohungen stellen. All die großen und kleinen Geschichten können Fans ab sofort auch auf dem heimischen Spieltisch erleben – auf lange Sicht oder auch nur als Überbrückung bis ein neuer Serienteil zu The Elder Scrolls erscheint. Angekündigt hatte Bethesda eine Fortsetzung bereits, ein kurzer Trailer war allerdings alles, was die Entwickler bislang gezeigt haben. Das wäre dann der mittlerweile sechste Teil der Reihe, deren Anfänge im Jahr 1994 und in einer Arena liegen.
The Elder Scrolls: Schon früh zu wahrer Größe
Seine wahre Größe zeigte Elder Scrolls dann zwei Jahre später mit dem Nachfolger Daggerfall, der für die damalige Zeit eine verblüffend große Spielwelt bot. The Elder Scrolls ist ohnehin ein Franchise der Superlative: immer größer, immer besser, immer abenteuerreicher wurden die Spiele im Laufe der Jahre. The Elder Scrolls 5: Skyrim wird stetig mit Mods unterstützt, die das Rollenspiel auf eine optische und inhaltliche Ebene hieven, die ihresgleichen sucht. Seit 2014 dürfen Fans The Elder Scrolls sogar in einer reinen Online-Welt erleben – auf unterhaltsame Weise auch ganz alleine, für ein Spiel, das im Kern ein MMORPG ist, ist das ein Novum.
Mit Elder Scrolls: Legends schaffte es die Marke erstmals in den Grenzbereich zwischen Videospiel und Kartenspiel, die Konkurrenz, allen voran Hearthstone, schien jedoch übermächtig zu sein. Nun war es an Modiphius, The Elder Scrolls als „echtes analoges Spiel“ umzusetzen. Dass das gelingen kann, haben die Briten bereits bei Fallout bewiesen. The Elder Scrolls: Call to Arms baut durchaus auf dem postapokalyptischen Spiel auf, verfolgt mit der klassischen Fantasy jedoch ein völlig anderes Grundthema.
Fans können auf zwei unterschiedliche Spielmodi zurückgreifen: Entweder sie verdingen sich die Zeit mit schnellen Scharmützeln oder im Delve-Modus, bei dem ein Spieler allein, wahlweise kooperativ mit Freunden, antreten. Die Papp-KI folgt dabei stets den Befehlen des Würfels, der zusammen mit einer Befehlskarte anzeigt, welche Handlungen die Gegner ausführen müssen. Das funktioniert hervorragend, entbehrt aber nicht einer gewissen Unberechenbarkeit – wobei man darin durchaus auch den Vorteil des Systems sehen kann. Während der Skirmish-Modus eher in die Kategorie „Nice to have“ zu zählen ist, ist der Quest-Modus. Insgesamt stehen Spielern zwölf Szenarien bei Elder Scrolls: Call to Arms offen – jeweils sechs im Battle-Modus sowie sechs in Delve-Modus.
Das Regelbuch wird seinem Namen mehr als gerecht. 100 Seiten umfasst das Werk, das kleinteilig alle Grund- und Detailregeln enthält. Hinzu kommen weitere Anpassungen durch das Quest-Buch. Hilfreich: Der Basisbox liegt mit dem Heftchen „Flucht von Helgren“ ein Tutorial bei., das die grundlegendsten aller Regeln vermittelt. Das Beiwerk richtet sich vornehmlich an all jene, die im Tabletop-Segment völlig neu sind. Wer das umfangreiche Regelwerk erst durchblickt hat, kann in die Geschichten eintauchen und sich auf das Handwerk der taktischen Kriegsführung kümmern. Am Ende dreht sich bei diesem Miniaturenspiel alles um strategisch kluge Handlungen. Wer bereits Fallout: Wasteland Warefare gespielt hat, findet sich übrigens besser zurecht, denn The Elder Scrolls: Call to Arms nutzt Mechanismen aus dem Konzept von James Sheahan.
In den Handel ist The Elder Scrolls: Call to Arms mit der Core-Box und drei Miniaturen-Packs gestartet. Das Basisset enthält dabei die obligatorischen Regelwerke, das Kampagnenbuch sowie Karten und Tokens. Zum Spielen notwendig sind zudem allerdings auch die Miniaturenmonster, die als Gegner dienen und derzeit keine spielbare Fraktion darstellen. Als Skelettbogenschütze oder Draugr in den Kampf zu ziehen ist daher momentan noch nicht möglich. Die Figuren dienen also als verlängerter Arm der Papp-KI. Darin enthalten ist zudem ein Drachengeborener.
Das grundlegende Kampfsystem ist nachvollziehbar aber durchaus anspruchsvoll. Jeder Charakter hat fünf Werte: Beweglichkeit, Stärke, Ausdauer, Weisheit und Intelligenz. Ganz klassisch wird bei den verschiedenen Spielhandlungen auf die unterschiedlichen Werte gewürfelt. Ein W20-Würfel entscheidet dabei über den Erfolg oder Misserfolg einer Aktion. Bei Angriffen kommen zudem sechsseitige Würfel zum Einsatz, um den Schaden zu ermitteln.
Wie viel Elder Scrolls steckt in Call to Arms?
Neben einem spannenden spielerischen Grundgefühl dürfte vor allem Fans wichtig sein, wie sehr das neue Tabletop den Spirit der Elder-Scrolls-Reihe einfangen kann. Selbst eingefleischte Liebhaber von Oblivion, Skyrim und Co können aufatmen: In The Elder Scrolls: Call to Arms steckt spürbar eine ganze Menge „The Elder Scrolls“. Modiphius hat diesbezüglich bei der Umsetzung hervorragende Arbeit geleistet. Das fängt bei den Regelbüchlein an, in denen immer wieder Zitate oder Skizzen zu finden sind.
Auch spielerisch setzt sich das fort, insbesondere durch den dominierenden Rollenspielteil des Miniaturen-Abenteuer. Ausgehend von den Charakterkarten als Basis, rüsten Spieler ihre Recken aus. So legen sie Waffen und Rüstungen an und versorgen ihre Helden mit Zaubersprüchen und anderen hilfreichen Gegenständen, die über die Quick-Slots verfügbar sind: das hält sich eng an die Videospielvorlage und sorgt in der „analogen Tischvariante“ für ein stimmiges Elder-Scrolls-Feeling. Immer wieder gibt es kleinere Story-Momente, die die Atmosphäre der Vorlage einfangen, etwa, wenn Quest-Karten zum Einsatz kommen, denn darauf findet sich vieles, das man aus dem Videospiel bereits kennt.
Der Entdeckerdrang der Spieler wird ebenso wie im Videospiel gefördert. Überall verteilt kann man Schatztruhen finden, die ihren Inhalt einfach offenbaren oder erst aufgebrochen werden müssen – Schlösserknacken lässt grüßen.
Was der Stimmung nicht ganz zuträglich ist, ist die Komplexität des Spiels an sich. Ja, wer mit den Regeln irgendwann vertraut ist, profitiert von den unzähligen Handlungsmöglichkeiten und der spielerischen Freiheit, die man bereits im Videospiel kennen und schätzen gelernt hat.
Für Einsteiger ist es allerdings eine enorme Hürde, sich in The Elder Scrolls: Call to Arms zurecht zu finden. Immer wieder gilt es, zwischen den einzelnen Textwerken zu wechseln, immer wieder müssen Regeln nachgeschlagen werden, das fordert Spieler – und erfordert Geduld. Es dauert, bis man da Gameplay verinnerlicht hat, die Zugreihenfolge abspulen kann und mit den wichtigsten Grundbegriffen firm ist. Das ist der Zeitpunkt, an dem das Tabletop zu The Elder Scrolls sein wahres Potenzial entfalten kann: Man sprintet auf den Gegner zu, attackiert, zieht sich zurück und nutzt seine taktischen Aktionen clever, um Gegner auszuschalten.
Was abschrecken könnte ist zunächst der – von eingefleischten Fans geschätzte – Miniaturen-Bau. Die Figurenpacks enthalten allerlei Kleinteile mit dem dezenten Hinweis „Requires some assemly“, man muss also zusammenbauen und das nicht zu knapp. Unzählige Körperteile wollen aneinander gefügt werden, insbesondere bei den dünnen Knochenärmchen der Skelette ist das eine nicht zu unterschätzende Hürde. Einfach auspacken und loslegen ist nicht, wie The Elder Scrolls: Call to Arms funktioniert. Es ist ein genretypisches Tabletop mit all den Vorzügen und Nachteilen, die derartige Spiele mit sich bringen. Der Einsatz wird jedenfalls belohnt. Wer sich die Zeit für den Zusammenbau nimmt, den detaillierten Figuren womöglich noch einen farblichen Anstrich verpasst, kann ganz tief eintauchen in die Welt der Videospielreihe „The Elder Scrolls“.
Was derzeit über Modiphius erhältlich ist, ist längst nicht alles, was der britische Verleger zu der neuen Marke veröffentlichen will. Derzeit verfügbar sind lediglich die Untoten samt Drachengeborenem sowie die beiden Fraktionspakete zu den Sturmmänteln und der Imperial Legion. Damit kratzt man derzeit nur an der Oberfläche dessen, was das Franchise bereithält. Dass zukünftig mehr zu erwarten ist, verrät bereits ein Blick in das Regelbuch des Basis-Sets. Von den unterschiedlichen Rassen von Tamriel ist darin die Rede – weil das derzeit keinerlei Auswirkungen auf das aktuelle Spielerlebnis hat, ist davon auszugehen, dass neue Rassen – etwa die Orsimer oder Khajit – den Weg ins Tabletop finden. Erkennbar ist das unter anderem daran, dass die Rassen nicht nur erwähnt und kurz vorgestellt werden, sondern bereits Fähigkeitenregeln festgelegt worden sind.
The Elder Scrolls: Call to Arms ist daher als Auftakt zu einer langfristigen Kooperation zwischen Bethesda und Modiphius zu sehen. Dass die Zeit für „The Elder Scrolls“ abläuft, ist eher unwahrscheinlich. Schon jetzt ist klar, dass beispielsweise der Online-Ableger auch für die Next-Gen-Konsolen erscheinen wird – das verlängert nicht nur den Lebenszyklus des Spiels und verkürzt die Wartezeit auf Elders Scrolls 6, sondern hält das Franchise insgesamt lebendig. Auch für Tabletop-Spieler, die gerade erst in ihr Abenteuer starten, dürfte das eine gute Nachricht sein.
Infobox
Spieler: Solo und kooperativ
Alter: ab 14 Jahren
Spieldauer: rund 60 bis 120 Minuten
Schwierigkeit: hoch
Langzeitmotivation: mittel
Verlag: Modiphius Entertainment
Autor: Mark Latham
Erscheinungsjahr: 2020
Sprache: englisch
Kosten: Corebox 31 Euro, Miniaturen-Packs jeweils rund 22 Euro
Fazit
Auch mit The Elder Scrolls: Call to Arms ist es, wie mit anderen Tabletops. Man muss sich erst in die Materie hineinfinden, um das Potenzial zu entdecken, das in derartigen Spielen schlummert. Tabletop-Fans im Allgemeinen, erst recht allerdings Elder-Scrolls-Fans wird mit Modiphius‘ Werk eine der seltenen Gelegenheiten geboten, die Marke auch mal offline oder abseits des Bildschirms erleben zu können. Was man dafür aufbringen muss sind Geduld und ein Wille, sich seine Party aus Figuren zunächst etwa mühsam zusammensetzen zu müssen.
Am Ende ist The Elder Scrolls: Call to Arms eher ein Miniaturenspiel für erfahrene Tabletop-Strategen, auch wenn es sich für Einsteiger durchaus lohnen könnte, die Zeit in den Titel zu investieren. Sind die Grundvoraussetzungen geschaffen, setzt der Spaß früh ein: Die Planung beginnt bei der Zusammenstellung einer schlagkräftigen Truppe, reicht über das Movement bis hin zum Aufspüren von Schätzen – alles eingebettet in die besondere Welt von The Elder Scrolls. Fakt ist: Als reiner Euro-Gamer oder mit einer Abneigung gegen Tabletop-Spiele wird es schwierig, mit „Call to Arms“ warm zu werden. Erleichtert wird der Einstieg, wenn ein erfahrener Spieler am Tisch sitzt. Verfügbar ist The Elder Scrolls: Call to Arms nur in englischer Sprache, generell ist das kein Hindernis, für einige Spieler aufgrund der Textlastigkeit möglicherweise ein Hemmnis.
Ansonsten gibt es jede Menge Rollenspiel inklusive cooler Elder-Scrolls-Details, wie etwa dem Sammelsurium aus bekannt Zaubersprüchen, die man den „Händen des Charakters“ zuordnet. Das auf ESO ausgerichtete Vokabular des Tabletop entfaltet zusätzliche Sogwirkung und trägt zur Atmosphäre bei. The Elder Scrolls: Call to Arms ist definitiv kein Spiel, das man zwischendurch aus dem Regal holt und auf den Tisch legt. Die Vorbereitungszeit ist enorm, die Anforderungen an die Spieler sind hoch – dafür bietet das Tabletop die Gelegenheit, ganz tief in die Welt von The Elder Scrolls einzutauchen. Mehr noch: Man kann seine persönliche Elder-Scrolls-Welt erschaffen, wenn man entsprechende Ambitionen hegt. Wer die Komplexität von Warming-Tabletops nicht scheut, bekommt mit Modiphius‘ Ausarbeitung ein derzeit konkurrenzloses „analoges Elder-Scrolls-Spiel“. Dieses Tabletop ist ein Abenteuer, allerdings eines, auf das man sich einlassen, für das man arbeiten muss.