Der offizielle Startschuss für die SPIEL.digital ist gefallen, die Online-Messe läuft, von nun an bis Sonntag um 23.59 Uhr. Aus Sicht des veranstaltenden Friedhelm Merz Verlags kann man den Start als gelungen bezeichnen, auch wenn er holprig war. Der Ansturm der Fans hat die Plattform zunächst in die Knie gezwungen. Zeitweise ging nichts, inzwischen geht vieles, längst aber nicht alles. Aber: Ein Shitstorm blieb aus – und das ist ein gutes Zeichen.
– ein Kommentar von André Volkmann
Der Zusammenbruch eines Servers als „self-fulfilling prophecy“ der IT-Branche hat auch die SPIEL.digital nicht verschont. Pünktlich zum Start um 10 Uhr zwangen die Besuchermassen die Technik in die Knie. Inzwischen hat man die gröbsten Probleme im Griff, an Details bei Benutzermanagement und den medialen Verknüpfungen innerhalb und zwischen den Plattformen wird gearbeitet. Bei allem, was man beklagen kann am Stolperstart: Es hätte schlimmer kommen können.
Wer im Internet jemals ein halbwegs populäres Launch-Event mitgemacht hat, weiß, wie störrisch die Internettechnik manchmal sein kann. Dass es nun auch die SPIEL in ihrer digitalen Form getroffen hat, ist nicht überraschend – am Ende auch ein weitaus geringeres Problem, als so mancher auf Konfrontation eingestellter User herausschreit. Längst läuft nicht alles rund und natürlich gibt es Verbesserungsbedarf, da kann man ganz viel meckern. Oder man kann einfach mal ganz verrückt sein und sich freuen: Für die Organisatoren, die stolz sind auf ihr digitales Angebot; für sich selbst, weil man die Möglichkeit hat, etwa Neues auszuprobieren; für die großen und vor allem kleinen Verlage, die ihre Neuheiten trotz Corona-Krise hunderttausenden Fans präsentieren zu können.
SPIEL.digital gelingt Online-Debüt
Inzwischen hat sich die Lage stabilisiert, man filtert sich durch das Sammelsurium aus Inhalten, in der Hoffnung, etwas von Interesse zu entdecken. Das Stimmungsbild unter den Fans ist durchaus gemischt: Mal sieht man ganz viel Freude, mal ganz viel Frust, oft liegen die Meinungen derzeit irgendwo dazwischen. Aus verschiedenen Gründen. Einige Fans sehen ihre Erwartungen nicht erfüllt, weil sie sich im Vorfeld ein völlig anderes Bild von einer reinen Online-Messe zurechtgelegt haben. Andere Fans werden mit der Benutzeroberfläche nicht warm, gelangen kaum oder nur über Umwege an das, was sie interessiert. Wieder andere sind schier überfordert mit dem multimedialen Angebot, das auf sie einprasselt. Und wer hat am Ende recht? Ganz klar: Alle und keiner. Einen richtigen Trend kann man nur schwer ausmachen, weil insgesamt der große Shitstorm ausbleibt, fällt das Fazit aber vermutlich zugunsten der Organisatoren aus.
Von „Live“ und „aktuell“ muss man sich nicht stressen lassen. Wer die SPIEL.digital genießen will, muss das so tun, als wäre er auf der physischen Messe vor Ort in Essen: Einfach mal durchklicken, nicht nur suchen. Man muss Geduld mitbringen. Wenn im Livestream so mancher Influencer minutenlang in der Spieleschachtel kramt, den roten Faden verliert und schwafelt statt informiert, dann liegt das nicht zuletzt daran, dass es ein Programm ist gemacht von Fans für Fans, nicht von Profis für Endkunden. Mitunter ist das der charmante Teil einer derartigen Messe-Konzepts. Man bekommt kein auf allen ebenen durchgeplantes TV-Programm, nicht Hochglanz-Videos aus dem Hightech-Studio, sondern handgemacht aus dem Hinterzimmer – und genau deshalb manchmal hingezimmert und nicht konzeptioniert.
Wenn man es so nennen will, ist die SPIEL.digital ein harter Schlag mit der ganz groben Content-Keule und weil die Aufmerksamkeitsspanne im Internet ohnehin vergleichsweise gering ist, potenzieren sich allzu ausgedehnt konzeptionierte Inhalte zu einem Konsumproblem. Also gilt mal wieder: Geduld ist gefragt.
Das liegt primär aber nicht an der SPIEL.digital selbst, sondern an der Art und Weise, wie man heute Inhalte nutzt: Schnell, auf den Punkt gebracht, zielgerichtet – also das genaue Gegenteil von „Lass dich überraschen“. Man muss sich Zeit nehmen für die SPIEL.digital und deren Inhalte – und auch daran denken, dass man bis Sonntagnacht Zeit hat, um sich alles in Ruhe anzuschauen. Und ohnehin: Jetzt stundenlang Influencer „binge watchen“ ist von allen möglichen Optionen vermutlich die schlechteste, die Inhalte bleiben der Plattform doch auch nach Messeschluss erhalten. Also kann der Aufruf nur lauten: Seid interaktiv, nutzt Spielangebote, sucht Gleichgesinnte. Die SPIEL.digital gibt genau das her.
Das Gebotene hängt stark von den Akteuren ab. Einige ragen heraus, der Verlag Pegasus Spiele zum Beispiel. Dessen virtueller Hub ist aufgeräumt und bietet Verknüpfungen zu allen wesentlichen Inhalten des Verlags. Die SPIEL.digital ist daher keine Notlösung des Friedhelm Merz Verlags, sondern eine gemeinsame Notlösung von allen Beteiligten. Weil man längst nicht alle Inhalte einfach digitalisieren kann, erleiden Konzepte dann mitunter Schiffbruch, andere hingegen spielen ihre Stärken aus: Virtuelles Brettspielen etwa, das funktioniert nämlich ziemlich gut.
Die Organisatoren haben Wertschätzung und Lob verdient für ihr Projekt, das in dieser Form eigentlich gar nicht vorgesehen war, aber umgesetzt wurde, weil man Fans mehr als einen Messe-Ausfall bieten wollte. Am Ende hat der Friedhelm Merz Verlag mit der SPIEL.digital vieles richtig und auch gut gemacht. Dass das Gesamtpaket nicht jedem Geschmack gerecht werden kann, liegt daran, dass völlig unterschiedliche Konsumenten auf ein Angebot treffen, das zwar vielfältig, aber nicht vielschichtig ist. Und ob Brettspiele sich als reine Präsentationsprodukte eigenen, ist dann noch eine andere Frage. Anderen beim Videospiele spielen zugucken, ist mitunter nicht jedermanns Sache, dabei sieht man dann zumindest reichlich Action. Anderen dabei zu zugucken, wie sie Pöppel über den Tisch schieben, das ist eine meditative Erfahrung, die man mögen kann oder eben nicht.
Es kommt auf jeden einzelnen Nutzer, jede einzelne Nutzerin, an, sich das aus der SPIEL.digital herauszuziehen, was Mehrwert verspricht. Die Macher haben dafür eine geeignete Plattform geschaffen, in aller Eile und dafür mit einem mehr als soliden Ergebnis. Dass nicht alle vor Begeisterung jubeln, liegt vermutlich auch daran, dass die Erfahrung im Umgang mit digitalen Brettspielinhalten fehlt . Und der Umgang mit einer Online-Messe erst recht.
Egal, ob man die SPIEL.digital nun mag oder nicht oder noch unentschlossen ist, der O-Ton bei vielen Fans ist eindeutig: Am liebsten finden die Internationalen Spieletage in 2021 wieder vor Ort in Essen statt. Bis es aber soweit ist, sollte man sich über das freuen, das einem in diesen schwierigen Zeiten zur Verfügung gestellt wird. Also seid verdammt nochmal dankbar für das Angebot – wenigstens ein bisschen.