Ursprünglich war Die Säulen der Erde nicht viel mehr als ein historischer Roman von Ken Follett, der im mittelalterlichen England des 12. Jahrhunderts spielt. Als Grundlage für seine literarische Ausarbeitung zog Follett den Bau der Kathedrale von Salisbury heran – um dann rund um diese Handwerksgeschichte eine spannende, teilfiktive Rahmenhandlung zu bauen. Der durchschlagende Erfolg des Romans hat aus „Die Säulen der Erde“ fast schon ein Franchise gezaubert, zu dem es zwar keine Potter’schen Kaffeebecher, Schlafanzüge oder Badelatschen zu kaufen, wohl aber einen Fernsehfilm anzuschauen, ein Brettspiel durchzuackern und seit kurzem auch ein Videospiel zu spielen gibt.
Verantwortlich für die Versoftung des Romans ist das deutsche Entwicklerstudio Daedalic Entertainment aus Hamburg, das gleichzeitig auch als Publisher von Videospielen fungiert. Wir haben unsdas Spiel Ken Folletts: Die Säulen der Erde auf der Xbox One angeschaut und verraten im nachfolgenden Spieletest warum Daedalic sich mit seinem Werk nicht hinter Abenteuer-Spezialisten wie Telltale Games verstecken muss.
Mehr als ein Buch, weniger als ein „echtes“ Game
Die Idee, einen erfolgreichen Roman in ein Videospiel zu verwandeln ist nicht gänzlich neu, aber doch ein Projekt mit Seltenheitswert. Schaut man sich die eher durchwachsenen Ergebnisse von Buchverfilmungen an, so könnte man als die Idee von Daedalic Entertainment zumindest skeptisch beäugen. Dem Hamburger Entwicklerstudio ist mit dem Abenteuerspiel Ken Folletts: Die Säulen der Erde allerdings ein Achtungserfolg gelungen. Obwohl es angesichts der Referenzen von Daedalic letztendlich vielleicht gar nicht so überraschend ist, dass Ken Die Säulen der Erde auch als Videospiel ein akustischer und optischer Leckerbissen ist – immerhin stammen von den Hamburger so grandiose Titel wie Edna bricht aus oder die Spielereihe Deponia.
Mittelalterlich ausgedrückt ist Ken Folletts: Die Säulen der Erde ein waschechter Bastard. Der Vater ist ein Roman, die Mutter ein Videospiel – und der Sohn ist irgendetwas dazwischen. Die Säulen der Erde, in Falle unserer Spieletests für die Xbox One, als vollwertiges Game zu bezeichnen, ist angesichts des eher seichten Spielablaufs ein wenig hochgegriffen. Das Spiel ist eher eine Art interaktiver Roman, der in Episodenform erscheint. Ganz so, wie die Konkurrenz von Telltale Games es mit ähnlichen Abenteuerspielen bereits vorgemacht hat. Die Kooperation zwischen Daedalic Entertainment, Bastei Lübbe und Ken Follett zielt im Kern darauf ab, den Erfolgsroman für Videospieler erlebbar und teilweise veränderbar zu machen. Das erste Buch ist am 15. August 2017 erschienen, die weiteren Kapitel erscheinen dann wahrscheinlich Ende 2017 sowie im ersten Quartal 2018.
Das erste Buch trägt den Titel „Aus der Asche“ und hangelt sich inhaltlich entlang der Romanvorlage. Relativ spoilerfrei kann man die Handlung wie folgt zusammenfassen. Tom Builder, ein arbeitsloser Baumeister, wandert mit seiner Familie durch den winterlichen Wald rund um die fiktive Stadt Kingsbridge, als bei seiner Frau Agnes plötzlich die Wehen einsetzen. Die bringt einen gesunden Jungen zur Welt, stirbt selbst jedoch nach der Geburt. Ganz unväterlich setzt Tom den Säugling aus, der daraufhin von einem Priester gefunden wird und zum Klostervorsteher Phillip, später Vorstand der Gemeinde von Kingsbridge, gebracht wird. Zwischenzeitlich werden Tom und die vogelfreie Ellen ein Paar. Letztere ist die Mutter von Jack, einem talentierten Baumeister.
Wenn schon Musik, dann bitte ein Orchester
Als überragend kann man die musikalische Untermalung von Ken Folletts: Die Säulen der Erde bezeichnen. Statt auf dudeligen Unterhaltungssound, setzt Daedalic Entertainment auf orchestrale Klänge, die vom FILMharmonic Orchestra in Prag eingespielt wurden. Über 60 Musiker standen dem Komponisten Tilo Alpermann zur Verfügung, der unter anderem für den tollen Soundtrack zu The Night of the Rabbit verantwortlich war. Rein atmosphärisch kommt der Orchesterklang dem Spiel zugute. Einzig die Gesangseinlagen des Berliner Chor Vos Nostra strapazieren Ohren und Nerven von Hobby-Philharmonisten auf Dauer, dürften für Liebhaber choraler Gesänge jedoch ein weiterer Pluspunkt auf der Tonleiter von Die Säulen der Erde sein.
Dass Daedalic Entertainment auch abseits der musikalischen Untermalung einiges an Arbeit stemmen musste, merkt man dem Spiel an.
Bei der Recherche für das Grundgerüst griffen die Entwickler auf eben jene Werke zurück, die bereits Ken Follett für die Ausgestaltung seiner Romanvorschlage benutzt hat: darunter nicht nur historische Bildbände und mittelalterlich Erzählungen, sondern auch detaillierte Architekturbücher. Vor allem letztere waren für die spielerische Konzeption – und das dadurch aufkommende Spielgefühl – von entscheidender Bedeutung. Immerhin fühlt man sich als Spieler nur dann wie ein echter Baumeister, wenn die Figur und die Bauwerke die handwerklichen und architektonischen Herausforderungen auch transportieren können. Die Detailverliebtheit von Die Säulen der Erde ist für den Spieler spürbar und trägt zur gelungenen Atmosphäre der Spielwelt bei.
Das kann man von den eher aufgesetzt wirkenden Figuren jedoch nicht immer behaupten. Wenn Tom Builder zum Spielbeginn für seine Familie auf Wassersuche geht, ist die erste Reaktion angesichts der steifen Bewegungen überraschend, weil diese Art der Animation völlig gegensätzlich zu den tollen Hintergrundgrafiken der Spielwelt ist. Hat man sich an die Gelenksteifigkeit der Figuren erst gewöhnt und akzeptiert den Stilmix aus Aquarell und Comiclook, so kommt mit der Geschichte von Ken Folletts: Die Säulen der Erde schnell Freude auf.
Familiäre Zusammenführung in Etappen
Jack, Aliena und Phillip sind die drei Hauptfiguren, deren Schicksale der Spieler im ersten Buch übernimmt. Während der Spieler die Figuren schrittweise kennenlernt, wird er regelmäßig mit Entscheidungen konfrontiert, die sich auch spielerisch auswirken. Obwohl die grundlegende Handlung durch die Romanvorlage festgelegt ist, sorgen Handlungsalternativen immer wieder für kleinere, manchmal auch bedeutendere überraschende Wendungen. Ebenso überraschend fällt teilweise leider auch die Anbahnung der Handlungsalternativen aus. Während einige Spielszenen echte Spannung aufkommen lassen, sind es vor allem langatmige Monologe, die den Spieler vor eine Geduldsprobe stellen, um diesem dann plötzlich eine wichtige Entscheidung oder ein Quick-Time-Event abzuverlangen. Glücklich sind die, die dann nicht mit dem anderen Auge auf den zweiten Bildschirm geschaut haben.
Das Gameplay kann man als durchwachsen bezeichnen. Mit der aktiven Figur erkundet man optisch eindrucksvolle Umgebungen und interagiert auf bekannte Weise mit den verfügbaren Objekten. Wer nicht lange Suchen will, kann sich alle Hotspots durch einen Druck auf die Schultertaste direkt anzeigen lassen. Das ist zwar komfortabel, entschlackt das ohnehin dürftige Gameplay jedoch noch weiter. Ein wenig mehr Mut hätten die Entwickler beim Einbau von spielerischen Elementen ruhig zeigen dürfen – auch wenn die tolle Geschichte klar im Vordergrund stehen soll.
Weil die Geschichte im Fokus steht, ist es sinnvoll – und manchmal spielerisch wertvoll – sich mit der Romanvorlage von Ken Follett zu beschäftigen. Zwar ist die Handlung auch in völliger Unkenntnis der Romanhandlung verständlich und in sich schlüssig, Spielern entgeht jedoch die Chance, Andeutungen im Spiel wiederzuerkennen, die für Unkundige unbemerkt bleiben. Dass Daedalic Entertainment ganz bewusst auf genretypische Rätseleinlagen verzichtet hat, liegt an der ernsten Grundstimmung der Geschichte.
Bereits die Familiensituation im verschneiten Wald, die der Geschichte nur als Prolog dient, verdeutlicht wohin das die Erzähler im Sinn haben: Emotionen wecken. Durch die stimmige Kombination aus grafischer Präsentation, gefühlvoller Dialoge und passenden musikalischen Akzenten gelingt das auf eine Art, die mindestens so mitreißend wie ein gutes Buch ist.
Die wunderbare Ausgestaltung der Story ist der Hauptgrund, um das Videospiel Ken Folletts: Die Säulen der Erde für die Xbox One auf die Wishlist für das Jahr 2017 zu setzen. Schnell entwickelt man als Spieler echte Sympathien für seine Figuren. Man lernt einige der durchtriebenen Nebencharaktere zu hassen und bekommt so die Möglichkeit voll in die Geschichte einzutauchen. Wer dem ersten Buch von Die Säulen der Erde eine Chance gibt, wird den Release der Folgekapitel kaum erwarten können.
Daedalic Entertainment hat für die Entwicklung von Ken Folletts: Die Säulen der Erde einen enormen Aufwand betrieben. Vor allem die wunderschönen, handgezeichneten Hintergrundgrafiken sorgen nicht selten für Staunen. Zusammen mit der eher düsteren Stimmung bietet das mittelalterliche Abenteuerspiel eine perfekte Mischung für unterhaltsame Stunden vor dem Fernseher (oder Bildschirm). Der interaktive Roman begeistert und ist nicht nur für Fans der Romanvorlage einen Blick wert.
Media zu Ken Folletts: Die Säulen der Erde für Xbox One
Infobox
Spielerzahl: 1 Spieler
Alter: 12
Spieldauer: 4 bis 6 Stunden pro Kapitel
Schwierigkeit: leicht
Langzeitmotivation: niedrig
Publisher: Daedalic Entertainment
Entwickler: Daedalic Entertainment
Erscheinungsjahr: 2017
Plattformen: Xbox One
Sprache: Deutsch
Kosten: 29,99 Euro
Fazit
Kurz gesagt:Ken Folletts: Die Säulen der Erde fühlt nicht nicht an wie ein vollwertiges Videospiel, sondern wie eine spielerisch erzählte Romangeschichte, die den Teilnehmer in regelmäßigen Abständen zu kleineren Interaktionen drängt. Die Säulen der Erde ist grafisch prächtig und akustisch bombastisch, lässt beim Anblick der steifen Animationen jedoch leichte Zweifel am Grafikgerüst aufkommen. Insgesamt hat Daedalic Entertaint in Kooperation mit Ken Follett ein Projekt abgeliefert, das in Zukunft in der Games-Branche gern Schule machen darf. Sämtliche Inhalte sind spielerisch simpel, dafür aber auch für Gelegenheitsspieler oder gar Nicht-Spieler erfahrbar.
Im Fokus steht eine herausragend erzählte Geschichte mit tollen Dialogen, die oft spannend und berührend, manchmal aber auch langatmig daherkommen. Was jedoch für alle Spieler gilt, die einen Blick auf Ken Folletts: Die Säulen der Erde werfen: man taucht als Teilnehmer an dem interaktiven Roman direkt in die Geschichte ein und fiebert förmlich mit.
Arbeiten sollten die Entwickler dagegen an der Lippensynchronität während der Dialoge, die während so mancher Rickler aus den Fugen gerät.
„Die Wände, das Dach, die Fenster. Alles wohl proportioniert“, sagt Tom Builder zu seinen Kindern in einem der Anfangsdialoge. Ähnliches könnte man wohl auch über das Abenteuerspiel von Daedalic sagen: Die Grafik, die Musik, die Geschichte. Alles wohl proportioniert und in sich stimmig. Dafür vergeben wir tolle 4 von 5 Punkten in unserer Schlusswertung.