Freitag, der 13. Oktober 2017: Passender hätte der Zeitpunkt für den Release eines Horror-Videospiels kaum sein können. Und die Releaseparty im „The Cage“ in Köln musste tatsächlich der blanke Horror gewesen sein – immerhin waren Gäste wie Lena Meyer-Landrut oder Gronkh geladen. Der erste Teil der Reihe spaltete seinerzeit die Spielermeinungen. Während die einen The Evil Within als Meisterwerk bezeichneten, konnten andere mit dem Horror-Game aus dem Hause Tango Gameworks rein gar nichts anfangen. Die Entwickler haben sich für den Nachfolger eine neue Erfolgsformel erdacht und setzen auf Massetauglichkeit und die Mischung aus Open-World und linearen Erzählsträngen.
Ob das Konzept aufgeht erfahrt ihr in unserem Spieletest zum Horror-Survival-Game The Evil Within 2 von Tango Gameworks und Bethesda.
(Er)Schrecken mit Stil
Shinji Mikami, Gründer von Tango Gameworks, gilt als Meister seines Fachs. Rückblickend war er in die Entwicklung diverser erfolgreicher Horror-Videospiele eingebunden, darunter vor allem Klassiker wie Resident Evil. Dass man von einem derart erfahrenen Producer Großes erwartet hat als im Jahr 2014 The Evil Within erschien, überrascht kaum. Von der Fachpresse erhielt das Videospiel durchwachsene bis gute Bewertungen – was nicht zuletzt an technischen Problemen lag. Während Gunplay und Horroreffekte den Großteil der Spieler überzeugen konnten, war es vor allem die Hintergrundgeschichte, die vielfach auf Kritik stieß. Der Nachfolger The Evil Within 2 soll alles besser machen und zumindest der Grundgedanke der Story klingt vielversprechend. Im Fokus der Handlung steht die Gedankenmaschine STEM, mit dem Probanden sich in die Gedankenwelt anderer Personen hineinbegeben. Das erinnert entfernt an den Film The Cell. Doch statt Jennifer Lopez ist es der Detektiv Sebastian Castellanos, der die erschreckenden Kognitionen seiner totgeglaubten Tochter erkundet. Leichtgläubig wie Kinder nun mal sind, lassen sich ihre Gedanken derart einfach manipulieren, dass sich für den Hauptcharakter eine stimmungsvolle Horrorkulisse als Schauplatz des Videospiels ergibt.
Ein weiterer Vorteil des Settings ist die Tatsache, dass sich daraus fast unendlich viele Hintergrundgeschichten stricken lassen und Veränderungen der Spielumgebung immer (relativ) logisch begründbar sind.
The Evil Within 2 arbeitet mit einem geschlossenen Plot, ist also auch in völliger Unkenntnis des Vorgängers nachvollziehbar. Um in die Story einzutauchen, benötigt man als Spieler nicht mehr als die Informationen aus dem Intro. Weil The Evil Within 2 allerdings mit dem Material funktioniert, dass der Vorgänger geschaffen hat, ist es vorteilhaft die Inhalte des ersten Teils zu kennen. Vor allem um das großartige Spielende in vollen Zügen genießen zu können sollte man die Verbindung zu Teil 1 erkennen.
Dass die Entwickler ihr Handwerkszeug verstehen, merkt man von der ersten Spielminute an. Die Level- und Sounddesigner arbeiten mit allen bekannten Tricks des Horror-Genres. Anleihen an Horror-Klassiker sind dabei nicht rein zufällig. Elemente wie diffus beleuchtete Räume, dämonisches Kichern, sich plötzlich schließende Türen oder eingeschaltete Fernsehgeräte in ansonsten maroden Häusern sorgen regelmäßig für Gänsehaut bei den Spielern.
Während die Hauptfigur immer tiefer in die seelischen Abgründe kranker Psychopathen eintaucht, häufen sich die Schockmomente in The Evil Within 2. Jump Scares werden nicht sparsam eingesetzt, sondern sind eines der im Nachfolger effektivsten Mittel, um Spieler zu ängstigen – und zur Vorsicht anzuhalten. Nicht selten erwischt man sich dabei, wie der Abzugsfinger sich anspannt, während man langsam um eine Häuserecke schleicht. Grafik und Ton erzeugen eine stimmungsvolle Kulisse, die der eines guten Horror-Survival-Spiels würdig ist – auch wenn die grafische Qualität nicht an Capcoms Resident Evil 7 heranreicht.
Gestik, Mimik, Sprache: sämtliche Facetten fügen sich hervorragend ineinander und machen aus Detektiv Castellanos eine menschliche Figur, der man als Spieler allzu gern folgt. Was ihn antreibt und bewegt, ist jederzeit erkennbar, sodass es leicht fällt, sich mit dem Spielcharakter zu identifizieren.
Dass bei der spürbaren Menschlichkeit auch kryptisch-absurde Alptraumsituationen nicht zu kurz kommen, ist bei einem Horror-Videospiel keine Überraschung. Vor allem der Antagonist Stefano Valentini ist grandios in Szene gesetzt. Der ehemalige Kriegsfotograf und nun Künstler des Grauens, ist in der Lage, die Gedankenwelten des STEM nach seinen Vorstellungen zu manipulieren. So lockt er seine Opfer ein, schlachtet sich brutal ab und filmt die Todesszenen, um daraus alptraumhafte Kunst zu erschaffen. Nicht selten bleibt man als Spieler angewidert und fasziniert zugleich vor einem der Kunstwerke stehen. Immer wieder trifft man im Laufe des Spiels auf Valentini, dem man dann einerseits gebannt zuschaut – andererseits aber gern eine Ladung Schrot verpassen möchte. Diese durchaus emotionalen Momente sind eine der großen Stärken von The Evil Within 2.
Sebastian Castellanos: Der John Rambo des Horror
So richtig kreativ werden durften die Entwickler bei der Erschaffung der Kreaturen. Vor allem die großen Boss-Monster lassen Spieler staunend zurück. Ein Highlight ist sicherlich Obscura, ein insektenhaftes Kamera-Wesen, das der Bösewicht Stefano Valentini erschaffen hat. Sobald die Horror-Kreatur den Spieler „Blitzdingst“, hält die Zeit vor dem PC förmlich an. Es ist erstaunlich, wie eindringlich und intensiv sich derartige Spielmomente anfühlen. Eher Kanonenfutter sind dagegen die Standrad-Gegner, die an typische Zombies erinnern. Langsam schlurfend und Eingeweide fressend, bleiben die „Haunted“ in der Nähe ihres Futters, um nur darauf zu warten, von uns Spielern erledigt zu werden.
Wie man sich in solchen Situationen verhält ist übrigens sehr von dem eingestellten Schwierigkeitsgrad abhängig. Während man sich auf der leichtesten Stufe einfach durch die Gegnerhorden ballert, gewinnt taktisches Vorgehen mit steigendem Schwierigkeitsgrad an Bedeutung. Mit stets knapper Munition und Ausrüstung ist es dann sinnvoller Monster-Spots zu umschleichen. Als Spieler ärgert man sich förmlich über jeden schlecht platzierten Schuss, in dem Wissen, dass man die Patrone eine Minute später wahrscheinlich dringend gebrauchen kann.
Sich wie John Rambo durch Standardgegner zu schießen würdigt das Spieldesign letztendlich nicht. Man merkt schnell, dass es unterhaltsamer und spannender ist, Gegner leise und unerkannt – und um ein Vielfaches blutiger – auszuschalten. Dass Tango Gameworks bei The Evil Within 2 überhaupt auf eher triviale Standardmonster setzt, verwundert bei der Kreativität, die in die Bossgegner gesteckt wurde, fast ein wenig.
Die Kombination aus Offener Welt und linearen Erzählmomenten funktioniert indes hervorragend. Die grundlegende Struktur von The Evil Within 2 hat sich spürbar weiterentwickelt. Große Teile der Spielwelt erkunden wir als Spieler völlig autonom. Wie schnell wir dabei in der Geschichte vorankommen, entscheiden wir also zu einem Teil selbst. Nur allzu oft steuert man mit Detektiv Castellanos erst die nächste Garage an, um Ausrüstung und Munition einzusammeln, bevor man den Hauptsignalen des Kommunikators folgt. Hauptschauplatz des Geschehens ist dabei eine Kleinstadt namens Union, deren Zustand mit der Gedankenwelt von Castellanos Tochter verknüpft ist. Stets schwebt ein Hauch von Gefahr über dem Geschehen – und die Spielwelt steht wortwörtlich auf dem Kopf.
In den Straßenzügen kann man sich, dank überschaubarer Abschnitte, leicht an markanten Objekten orientieren. Viele Verstecke wie etwa Müllcontainer oder Autos lassen sich nach nützlichem Kleinzeug durchsuchen. Als Spieler bekommt man somit auch außerhalb der linearen Spielabschnitte genug zu tun. Wissensobjekte fördern den Entdeckerdrang des Spielers und entlocken dem Horror-Game so manch kurzweilige Hintergrundinformation. Zusätzliche Erzählmomente entstehen durch das Aufsuchen markierter Hotpots, die in Verbindung mit dem Kommunikator Storydetails offenbaren. Der Bildschirm bleibt während des Spielens angenehm sauber und übersichtlich. Notwendige HUD-Infos werden ausgeblendet, wenn diese nicht benötigt werden. The Evil Within 2 fühlt sich dadurch fast an wie ein waschechter Horrorfilm.
Mit fortschreitendem Spielverlauf wird deutlich, wie die Welten miteinander verbunden sind. Das sogenannte „Mark“ ist eine Art Tunnelsystem, das die einzelnen Stadtsegmente verknüpft. Rein spielerisch fühlt sich das Mark gradliniger und schlauchartiger an – dafür sind die Schockmomente umso intensiver.
Als Open World Game muss The Evil Within 2 bei der Technik einige Kompromisse eingehen. Das grafische Gerüst ist ordentlich, die gestalteten Umgebungen sind stimmig; dennoch ist ein gewisses Maß an Recycling erkennbar – auch bei der Soundeffekten. Das ist insgesamt zwar schade, beeinträchtigt das Spielerlebnis aber kaum negativ, weil die Entwickler ansonsten (fast) alles richtig machen.
Die Charakterentwicklungsmöglichkeiten sind dagegen vielfältig. In einem einzigen Spieldurchgang lassen sich nicht alle Boni freischalten, sodass man sich bei der Skill-Verteilung entscheiden muss.
Massentauglichkeit statt Hardcore-Horror
Im Gegensatz zum ersten Teil ist The Evil Within 2 deutlich massentauglicher. Das lässt sich bereits an der eindeutigeren Ausarbeitung der Spielcharaktere ablesen. Waren die Figuren im Vorgänger noch schwer greifbar, so werden die individuellen Züge der Haupt- und Nebenfiguren anschaulich und stets nachvollziehbar dargestellt. Davon profitieren am Ende alle Spieler, weil die gesamte Geschichte aufgeräumter wirkt und sich die Persönlichkeit, insbesondere von Sebastian Castellanos, viel einfach in das Story-Geflecht einarbeiten lässt. Ohnehin haben die Entwickler des Charakterdesign der Hauptfigur viel Liebe zum Detail zukommen lassen.
Media zu The Evil Within 2
Infobox
Spielerzahl: 1 Spieler
Alter: 18
Spieldauer: 4 bis 5 Stunden
Schwierigkeit: mittel
Langzeitmotivation: mittel
Publisher: Bethesda
Entwickler: Tango Gameworks
Erscheinungsjahr: 2017
Plattformen: PC, PS4, Xbox One
Sprache: Deutsch
Kosten: 54,99 Euro
Zum Fazit
Das Spiel hat durchaus Potenzial und wird hoffentlich noch mit einigen Storymissionen gefüttert. Es unterscheidet sich doch sehr von anderen Shootern und steht noch in den Kinderschuhen. Die Entwickler möchten laut eigenen Angaben das Spiel gemeinsam mit der Community erweitern und das ist ein guter Schritt in die richtige Richtung.
Ja, The Evil Within 2 ist eine Fortsetzung – allerdings eine, die es in sich hat. Die Entwickler haben es in großartiger Weise verstanden ein Open-World-Szenario mit einer dramaturgisch dichten Story zu verbinden. Die Erzählung funktioniert dabei derart gut, dass man manchmal vergisst, dass es sich um ein Open-World-Game handelt. Bravo Tango Gameworks!
Elemente des psychologischen Horrors werden geschickt mir knallharten Jumpscares und einigen Splatter-Einlagen kombiniert. Trotz all der Grausamkeit spürt man stets einen emotionalen Unterton, der die Geschichte samt ihrer Charaktere zutiefst menschlich – und damit abseits der übersinnlichen Inhalte – glaubwürdig macht.
The Evil Within 2 spricht Fans von subtilem Grusel genauso an wie Liebhaber von klassischem Mainstream-Horror. Wie gruselig das Horror-Survival-Game letztendlich wirklich ist, ist höchst subjektiv. Wenn Leichen schaukelnd von der Decke hängen, der Raum in diffuses Licht getaucht ist und am Ende eine Tür auf deren Öffnen wartet, sind zumindest zeitweise gute Bedingungen für gruselige Momente geschaffen.
Man muss festhalten, dass der Erfolg von The Evil Within 2 auch an Verkäufen gemessen wird. Je größer die Zielgruppe ist, desto erfolgreicher wird sich das Spiel von Publisher Bethesa im Handel durchsetzen. Für ein derart kostenintensives Projekt fühlt sich The Evil Within 2 daher dankbar unabhängig an.
Es gibt einige Spielszenen, die man als puren Mindfuck bezeichnen kann. Derartige Momente bleiben Spielern nachhaltig im Gedächtnis und machen einen Teil des Reizes von The Evil Within 2 aus. Wer auf Psycho-Trips, offensichtlichen Horror und Action-Einlagen steht, der sollte sich das Survival-Horror-Spiel auf keinen Fall entgehen lassen.