Mit The Vanishing of Ethan Carter sprechen die polnischen Entwickler The Astronauts all diejenigen Spieler an, denen es nicht reicht an die Hand genommen zu werden, um eine Story zu erleben. In einer offenen Welt schlüpfen Spieler in die Rolle des Detektivs Paul Prospero und besuchen das geheimnisvolle Red Creek Valley – inklusive dessen dunkle Seite.
Das preisgekrönte Abenteuerspiel erschien jüngst auch für die Xbox One, sodass endlich auch Besitzer von Microsofts Konsole in den Genuss kommen, den stimmungsvolle Spiele-Mix mit Einflüssen aus Twin Peaks und H.P. Lovecraft zu erleben. Wir haben uns auf die Suche nach Ethan Carter gemacht und verraten euch im nachfolgenden Spieletest zu The Vanishing of Ethan Carter ob das Game auch auf der Xbox One überzeugen kann.
Was lange währt wird endlich mysteriös
Was PC-Spieler und Besitzer einer Playstation 4 bereits seit 2014 wissen, dringt rund vier Jahre nach der Erstveröffentlichung auch zu Xbox-Fans durch: The Vanishing of Ethan Carter zählt zu den hübschesten Videospielen, die man derzeit erleben darf.
Die Hintergrundgeschichte des Open-World-Adventures ist schnell erzählt. Als Privatdetektiv Paul Prospero, der ganz nebenbei auf übersinnliche Kräfte zurückgreift, begeben Spieler sich in das mysteriöse Red Creek Valley, der Heimat des verschwundenen Ethan Carter. Durch einen Brief des Jungen informiert, reist Prospero auf der Suche nach Ethan durch das rein fiktionale Tal. Die Welt ist der eigentliche Star des Spiels. Rund vier Stunden lang erkunden Abenteurer wunderschöne Landschaften und entdecken dabei eine Menge Übersinnliches, manchmal Absurdes, oft Beängstigendes.
Die Atmosphäre von The Vanishing of Ethan Carter ist beklemmend. Im Gegensatz zu Videospielen wie The Evil Whitin 2 von Bethesda setzen die Entwickler The Astronauts nicht auf blanken Horror, sondern auf einen stimmungsvollen Mix aus Mystery und Thriller. The Vanishing of Ethan Carter wird dadurch zu einem Hybriden mit Elementen aus Gruselgeschichten im Stile eines H.P. Lovecraft und Akte X, nur ohne Mulder und Scully – dafür mit einem mindestens genau so lässigen Privatschnüffler, der kaum eine Spielsituation unkommentiert lässt. Was einem als Spieler im Laufe der kurzen Story im Red Creek Valley begegnet sorgt oft für Verwunderung, manchmal auch Kopfschütteln. Das liegt nicht zuletzt auch an der Tatsache, dass die Entwickler bewusst mit mehrdeutigen Details spielen und nicht alle Fragen beantworten, die bei Spielern aufkommen könnten. The Vanishing of Ethan Carter wird dadurch zu einer mysteriösen Grenzerfahrung, die sich vollends auf das Nachspielen einer Geschichte konzentriert. Weil das so ist, verzichten wir in diesem Spieletest auf jegliche Art von Spoilern.
Trailer zu The Vanishing of Ethan Carter
Gutes Storytelling: Twin Peaks trifft Lovecraft
Als Detektiv mit einem übernatürlichen Gespür, entgeht dem Charakter selbstverständlich kein noch so surreales Detail. Fakt ist: Irgendetwas stimmt nicht im Red Creek Valley und diese Tatsache bekommt man als Spieler in regelmäßigen Abständen zu spüren – sei es durch einen Kommentar von Paul Prospero oder durch eine der Entdeckungen, die man als Spieler selbst macht. Die Entwickler haben es auf eindrucksvolle Weise fertiggebracht mit den Emotionen der Gamer zu spielen ohne ihn dabei auf vorgetreten Pfaden durch die Spielwelt zu führen. The Vanishing of Ethan Carter nimmt Spieler nicht an die Hand, sondern lässt ihnen den Freiraum das Spiel auf eigene Weise zu erleben.
Das klingt innovativ und ermöglicht Abenteuerspielern sogar ganze Abschnitte zu ignorieren – zumindest bis das Grande Finale näher rückt. Ganz am Ende zeigt sich, dass die Freiheit ihre Grenzen in dem findet, was sich die Entwickler als Abschluss ausgedacht haben. Wer Spielabschnitte übersprungen hat, wird zum Ende hin dazu genötigt, verpasste Rätsel nachzuholen – inklusive aller Rückwege zu den dazu notwendigen Orten. Diese Designentscheidung ist letztendlich doppelt tragisch: einerseits, weil Spieler erkennen müssen, dass der spielerische Freiraum nur eine Illusion gewesen ist und andererseits, weil es den Wiederspielwert unnötig verringert. Wie schön und sinnvoll wäre es doch gewesen, liegengelassene Rätseleinlagen einfach in einem zweiten Durchgang zu erleben – zumal die Mehrdeutigkeit der Erzählebenen Spieler geradezu animiert The Vanishing of Ethan Carter ein weiteres Mal durchzuspielen.
Tolle Optik. Toller Sound. Seichte Rätsel.
Bei The Vanishing of Ethan Carter gibt es was auf die Ohren – und auf die Augen. Bei der Präsentation geben sich die polnischen Entwickler The Astronauts keine Blöße. Die grafische Darstellung ist einer der Faktoren, der es Spielern leicht macht in die Welt und damit die Geschichte des Mystery Games einzutauchen. Selbstverständlich wird der Enhanced Support des Konsolenmonsters Xbox One X genutzt, sodass The Vanishing of Ethan Carter eindrucksvoll in 4K läuft. Die mittels 3D-Scanning umgesetzte Spielwelt ist detailliert und sieht in bewegten Bildern um Längen besser aus als auf statischen Screenshots. Fast könnte man sagen, die Technologie der Fotogrammetrie sei für genau dieses Videospiel entwickelt worden. Es macht einfach Spaß durch die wunderschönen Landschaften zu wandern, dabei die grandiosen Lichteffekte zu bestaunen und das eine oder andere seichte Rätsel zu lösen.
Die tolle Optik sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Spieler insgesamt relativ wenig zu tun haben. Der Großteil des Erlebnisses spielt sich in den Köpfen der Spieler ab. Das ist toll, führt jedoch zu spürbaren Längen – nicht jedoch zu Langeweile. Insbesondere die Waldabschnitte von Red Creek Valley fühlen sich vergleichsweise passiv an, was schade ist, da die offene Umgebung deutlich mehr hätte erzählen können. Im Kern geht es darum, die Ereignisse in die richtige Reihenfolge zu bringen. Dazu nutzt Detektiv Paul Prospero zwar seine übersinnlichen Kräfte, für den Spieler bedeutet das jedoch nichts anderes, als Hinweise anzuklicken, Story-Schnipsel zu genießen und dann zum nächsten Schauplatz zu wandern. The Vanishing of Ethan Carter ist hervorragend erzählt, aber nicht besonders interaktiv. Die wenigen Rätselstränge folgen stets einem ähnlichen Muster und dürften damit sogar Nicht-Spieler kaum vor größere Probleme stellen. Das Ganze hat immerhin einen entscheidenden Vorteil: der Spieler legt den Fokus auf seine Wahrnehmung der Inhalte und folgt seinen emotionalen Empfindungen. Regelmäßig stellt man sich die Frage, wie die idyllische Spielwelt wirkt und welche Mysterien auf ihrer Schattenseite lauern. Unterstützt wird diese Erfahrung durch die extrem realistische Ausgestaltung der Umgebungen. Die Landschaften könnten direkt einem Fotoalbum entsprungen sein – und sie wirken auf den Spieler in ähnlicher Weise wie Fotoerinnerungen: Was fühle ich während ich durch die Spielwelt wandere? Woher kommt die Unbehaglichkeit, wenn ich bestimmte Details entdecke? Welche zusätzlichen Bedeutungen ergeben sich für mich?
The Vanishing of Ethan Carter ist ein Detailprojekt, das letztendlich wie ein interaktiv Roman wirkt – nur ohne nennenswerte Interaktionen.
Fast noch besser als die Grafik ist die Soundkulisse. Die englische Vertonung ist hervorragend und transportiert Gefühle und Eindrücke aus der digitalen Umgebung direkt zu den Spielern vor dem Bildschirm. Auch der umfangreiche Soundtrack überzeugt. Ganz im Gegensatz zu der eher spärlichen Soundumgebung während des Spielens. Klar, es ist eine eher ruhige Welt in der man seine bis zu vier Stunden Spielzeit verbringt, dennoch hätten die Entwickler den Spielern von The Vanishing of Ethan Carter eine intensivere auditive Erfahrung bieten können.
Infobox
Spielerzahl: 1 Spieler (Online)
Alter: ab ca. 16 Jahren
Spieldauer: 20+ Stunden
Schwierigkeit: mittel
Langzeitmotivation: mittel
Publisher: Tencent Games
Entwickler: Tencent Games
Erscheinungsjahr: 2019 (Early Access 2018)
Plattformen: PC
Sprache: Mehrsprachig
Kosten: Free-to-Play bis 2,39 Euro (Founder’s Pack)
Media zu Vanishing of Ethan Carter
Fazit
The Vanishing of Ethan Carter lebt von den Fähigkeiten des Spielers in eine digitale Welt eintauchen zu können. Je eher der Spieler bereit ist, die Eindrücke auf sich wirken zu lassen, desto intensiver wird letztendlich die persönliche Spielerfahrung. Das macht es schwer die Qualität von The Vanishing of Ethan Carter zu beurteilen, spricht jedoch deutlich für die Hintergedanken, die sich das Team von The Astronauts währendder gesamten Entwicklungsphase gemacht haben muss. Im Gegensatz zu anderen Rätselspielen sorgen verschiedene Deutungsebenen dafür, dass man diesen Mystery Thriller mindestens ein weiteres Mal durchspielen möchte. Alternativ greift man auf den neuen Spielmodus Free Roam zurück, der eigens für die aktuelle Xbox One Version integriert wurde. In diesem freien Spielmodus können Spieler die virtuelle Welt völlig ungezwungen, abseits der Story auf sich wirken lassen. Es gibt keine Rätsel, keine ablenkende Story – nur den Spiel, die Spielwelt und die tollen Sounds.
Als Spieler darf man darauf gespannt sein, was das Entwicklerteam von The Astronauts zukünftig an Projekten umsetzen wird. Mit The Vanishing of Ethan Carter ist den polnischen Designern jedenfalls ein beachtliches Werk gelungen, das nicht grundlos den BAFTA Award 2015 in der Kategorie „Game Innovation“ gewonnen hat. Auch wenn man spielerische Innovationen – ja sogar spielerische Interaktionen – vergeblich sucht, bietet The Vanishing of Ethan Carter passionierten Gamern mehr als genug Anreize für einen mehrstündigen Ausflug nach Red Creek Valley.
Der tollen Inszenierung steht jedoch gegenüber, dass man sich kaum wie ein Spieler fühlt, sondern eher wie ein Zuschauer, die an vorgezeichneten Stelle in das Geschehen eingreifen darf ohne große Veränderungen zu erzeugen. Auch wenn The Vanishing of Ethan Carter ein Open-World-Adventure ist, bleibt die spielerische Freiheit gering. Wie auf Schienen folgt man den Schauplätzen und wird über eingestellte Weichen an die neuralgischen Punkte zurückgeführt, wenn es für den Abschluss notwendig ist. Damit verschenkt das Spiel viel Potenzial, auch wenn es insgesamt überdurchschnittlich gut bleibt.
Nichtdestotrotz ist das Adventure von The Astronauts ein grandioser Zeitvertreib für Fans des Übersinnlichen.