Vor zehn Jahren gegründet hat sich das junge Start-Up Kickstarter zur angesagtesten und größten Crowdfunding-Plattform der Welt gewandelt. Neben Musikproduktionen aus Projekten aus der Film- und Fernseh-Welt sind es vor allem Spiele, die Fans mit ihren Geldern unterstützen. Mit dem Launch im Jahr 2009 war eine völlig neue Investment-Idee geboren: Fans auf der ganzen Welt konnten Projekte von unabhängigen Anbietern „backen“, die ohne den Support der breiten Masse wahrscheinlich niemals hätten realisiert werden können. Doch Kickstarter und das Geschäft haben sich gewandelt: Crowdfunding ist heute ein Milliardengeschäft.
Ein Hauch von Rebellion wehte anno 2009 durch die Netzwelt: Das Jahr, in dem Perry Chen, Yancey Strickler und Charles Adler die Plattform Kickstarter ins Leben riefen, was das Jahr, in dem Fans auf der ganzen Welt gegen die Big Player der Industrie demonstrieren konnten – indem sie unabhängige Entwickler und deren Projekte direkt unterstützten. Statt auf die Veröffentlichungen angewiesen zu sein, die große Konzerne in ihren Geschäftsplänen vorsahen, konnten Nutzer sich aktiv an Neuveröffentlichungen beteiligen.
Finanzierungsbeiträge explodieren förmlich
Bereits im Jahr 2015, nur rund sechs Jahre nach der Gründung, durchbrach die Plattform die Zwei-Milliarden-Marke bei den Finanzierungsbeiträgen. Heute, im zehnten Jubiläumsjahr, haben sich die Zahlen mehr als verdoppelt: Knapp 4,6 Milliarden US-Dollar ist allein der Crowdfunding-Markt bei Kickstarter schwer. Andere Plattformen, etwa Startnext, sind dabei nicht eingerechnet.
Der Hauch von Unabhängigkeit, für den Kickstarter zu Gründungszeiten stand, ist heute kaum mehr zu spüren: Kickstarter ist einerseits „big business“, andererseits eine Art Lifestyle geworden. Wo Fans früher voller Tatendrang Projekte gesucht und sich über ihre innovativsten Funde mit Gleichgesinnten ausgetauscht haben, wird Projektkenntnis heut in vielen Communities vorausgesetzt.
In Foren und Gruppen liest man häufig eine zentrale Frage: „Hast du schon [Spieltitel] gebacked?“ Schon die Frage impliziert, dass Fans nicht die Wahl treffen, ob sie ein Crowdfunding-Projekt unterstützen, sondern wann sie ihren „Pledge“ leisten. Vor allem im Brettspiel-Segment scheint die „Methode Kickstart“ zum Standard zu avancieren. Immer häufiger finanzieren jene Verlage ihre neuen Spiele, die es eigentlich gar nicht nötig hätten.
Auffällig dabei ist, dass es nicht auf die spielerische Qualität anzukommen scheint, sondern auf eine effektreiche Kickstarter-Kampagne. Ja, der erste Eindruck sollte stimmen, damit Fans ihr hart verdientes Geld in ein Projekt stecken. Indie-Titel gehen in der Masse an hochglanzpolierten Crowdfunding-Kampagnen immer öfter unter – zum Leidwesen jener kleinen Entwickler, für die die Schwarmfinanzierung ursprünglich geboren wurde.
Vor allem Miniaturenspiele scheinen prädestiniert dafür zu sein, um hohe Finanzierungssummen einzuholen: ein paar hübsche Figuren über eine alte Spielidee geklatscht, schon rollt der Rubel – und zwar nicht wenig. Neuauflagen, Erweiterungen, Auskopplungen – Verlage finanzieren nahezu all ihre Ideen durch Fan-Schwärme. Warum auch nicht? Verlage gehen kaum finanzielle Risiken ein, um ihre Produkte auf den Markt zu verwerfen. Ist eine Finanzierungskampagne geglückt, erscheint der Teil – egal, ob die spielerische Qualität das Geld wert ist, das Fans hineingepumpt haben.
Szene: Echte Kenner kaufen Kickstarter
Nicht selten entpuppt sich die angepriesene Brettspiel-Innovation als aufgewärmtes Konzept. Spieler erfahren das meistens erst ein Jahr später, wenn die Titel tatsächlich ausgeliefert werden. Der damals als Vertrauensvorschuss verstandene „Pledge“ darf heute eher als nüchterner analystischer Faktor verstanden werden: Erfährt ein Spiel viel Aufmerksamkeit, darf frühzeitig darüber nachgedacht werden, wie die Kuh am besten zu melken ist.
Ist ein Kickstarter-Projekt bei besonders vielen Backern beliebt, entwickeln sich wahre Hypes um die Titel. Immer häufiger preisen Spieler ihre auserkorenen „Kickstarts“ als Ur-Typen guter Brettspiele an. Mit weitreichenden Folgen: Wer in der Szene ernst genommen werden will, muss sein Spieleregal mit Crowdfunding-Projekten pflastern – dieser Eindruck könnte zumindest entstehen, wenn man den Kern der Brettspiel-Community betrachtet.
Tatsächlich bilden die Kenner nur einen kleinen Teil der Szene ab, ebenso wie die „hochpreisigen Kickstarts“ nur einen Bruchteil der Gesamtzahl an Projekten ausmachen: Von insgesamt rund 173.000 erfolgreich finanzierten Kickstarter-Projekten haben nur rund 400 die magische Millionengrenze erreicht, weitere 6.000 Projekte liegen bei Finanzierungssummen über 100.000 US-Dollar. Der überwiegende Teil der Crowdfundings spielt sich im niedrigpreisigen Segment ab. Dennoch: von den knapp 400 Millionen-Projekten entstammen 150 der Kategorie „Spiele“, die Übrigen entfallen auf „Design“ und „Technologie“.
Das zeigt deutlich, dass vor allem Spieler bereit sind, Entwicklern, Verlagen und Autoren Vertrauensvorschüsse zu gewähren. Ohnehin liegen Spiele bei Crowdfunding-Finanzierungen unter den Top- mehr Erfolge gibt es nur bei Musik, Filmen und Videos. Dort dominieren dafür die Produktionen bis 10.000 US-Dollar. Spiele, auch Brettspiele, kann man demnach als lukrative Kampagnen bezeichnen, auch für die Plattform Kickstarter.com selbst.
Täuschen lassen sollte man sich von den Highlight-Projekten aber nicht. Crowdfunding ist ein hart umkämpftes Geschäft. Die finanziellen Mittel vieler Backer sind endlich, viele Kunden selektieren daher, wem sie ihr Geld geben und welche Projekte unbeachtet bleiben. Nicht selten spielt der Ruf des Projekt-Starters eine Rolle und auch der Gedanke, frühzeitig an exklusive Spiele zu gelangen, ist wesentlich. Manchmal entscheiden dagegen Details darüber, ob ein Spieler eine Kampagne unterstützt oder nicht: gute Fotos und Videos, Innovationen, Hintergrundgeschichten, Versandkosten.
Weil die Laufzeit von Crowdfunding-Kampagnen begrenzt ist, haben auch potenzielle „Backer“ nur eine umgrenzten Zeitraum zur Verfügung, um ein Projekt zu unterstützen. Das nehmen viele Fans in Kauf, allerdings nicht alle. Einige wollen sich dem Kaufdruck nicht aussetzen und verzichten gänzlich auf Kickstarter-Spiele. „Was gut ist, kommt ohnehin in den Handel“, heißt es von Fans.
Wo Licht ist, ist auch Schatten: Es gibt durchaus enttäuschte „Backer“. Oft sind es verzögerte Lieferungen, die für Ärger sorgen, aber auch die spielerische Qualität der Titel kann von den eigenen Erwartungen abweichen. „Nicht schlimm, die Erwartungen waren zu hoch“, sagen die einen, „von einem Brettspiel, dass mich 150 Euro gekostet hat“, habe ich mir mehr versprochen, kommentieren die anderen Fans.
Anhaltender Erfolg: Rund eine halbe Million Projekte
Die Anzahl der live geschalteten Projekte steuert auf die halbe Million zu, erfolgreich finanziert wird allerdings nicht einmal die Hälfte aller Kampagnen. Rund 40 Prozent erreichen das angestrebte Finanzierungsziel, der Rest scheitert. Auch etwa 29.000 Spiel-Projekte schaffen die angepeilte Geldmarke nicht. Die Erfolgschancen steigen allerdings mit Erreichen von über 20 Prozent der geplanten Summe. Der Großteil der Crowdfunding-Projekte scheitert im 20-Prozent-Segment, sodass diese Marke von Anbietern durchaus als Schranke herangezogen werden kann. Die Erfolgschancen steigen ab Erreichen der Grenzmarke auf rund 78 Prozent.
Vermutlich entfaltet sich zu diesem Zeitpunkt auch eine Art Schnellball-Effekt: Unsichere Nutzer sehen die bisher erreichte Summe und schließen daraus auf die Qualität eines Titels. Insgesamt scheinen Brettspieler weniger kritisch zu sein, vor allem aber gewähren sie bei unklarer Qualität häufiger einen Vertrauensvorschuss. Videospiele haben aufgrund vergangener negativer Schlagzeilen öfter Bedenken gegenüber dieser Art der Projektfinanzierung. Zudem scheint der Markt im Bereich der digitalen Spiele gesättigter. Große Publisher bringen große Games: die Notwendigkeit für Kickstarter-Finanzierungen scheint geringer zu sein.
Brettspieler sind kritisch, aber im Maßen
Das Hamburger Studio Rockfish Games hat beispielsweise jüngst die Kampagne zu Everspace 2 erfolgreich abgeschlossen – insgesamt war das Erreichen des Finanzierungsziels jedoch knapper als gedacht. Erst mit einem Schlussspurt erreichten die Entwickler ihr gestecktes Ziel von 450.000 Euro. Rockfish-CEO Michael Schade begründet das auch mit der kritischen Haltung der Fans, vor allem gegenüber Release-Exklusivitäten, auf die PC- und Konsolenspieler regelmäßig treffen.
„Kickstarter“ tragen dazu bei, dass die Vielfalt im Bereich der Spiele steigt. Dennoch scheinen Crowdfunding-Projekte nicht ausschließlich als Alternativen wahrgenommen zu werden, sondern als zentraler Trend in einer wachsenden Branche.
Erfolgreich finanzierte Gesellschaftsspiele werden nicht selten als eine Art „Heiliger Gral der Unterhaltung“ angekündigt – und von Spieler auch so verstanden. Aus den Previews zu Kickstarter-Projekten hat sich mittlerweile ein eigener Markt entwickelt, bei dem durchaus hohe Geldsummen an Youtuber und Blogger fließen, die die Projekte dann lobpreisen. Weil jedes Video und jeder Beitrag Werbezwecken dienen sollen, wird selbstverständlich mit Kritik gegeizt. Dabei wäre im Rahmen von Crowdfunding vermutlich gerade die Nähe zu den Fans die ideale Umgebung, um sich selbstkritisch mit dem eigenen Produkt auseinanderzusetzen. Zwar gibt es auch Anbieter, die sich und ihre Projekte hinterfragen – meistens geschieht das jedoch, wenn Kampagnen ohnehin gescheitert sind. Bis dahin gelten Youtuber-Logos und Previews als digitale Ritterschläge für Crowdfunding-Projekte – oftmals eingekauft, aber werbewirksam.
Kickstarter und Informationen zu Crowdfunding-Projekten sind längst keine reinen Internet-Erscheinungen mehr, sonst auch als Themen auf Messen und Events, so auch der SPIEL in Essen, angekommen. Verlage und Autoren stellen dort ihre Ideen, verteilen Tausende Handzettel auf denen der Startzeitpunkt der Kampagne angegeben ist, damit potenzielle Backer bestenfalls von Beginn an Geld fließen lassen. Immerhin: Vor allem unabhängige Autoren und Kleinverlage können davon profitieren, zumindest sofern ihre Präsentationen die Spieler auch erreichen.
Innerhalb der Brettspiel-Szene hat sich eine Art Subkultur entwickelt: Generation Kickstarter. Omnipräsent scheinen Crowdfunding-Projekte zu sein, auch wenn vermutlich insgesamt eher wenige Spieler tatsächlich große Mengen als Kickstarter-Kampagnen unterstützen. Darauf lassen zumindest die eher niedrigen Auflagen von Crowdfunding-Brettspielen schließen: Kickstarter-Games wirken wie ein Massenphänomen, sind aber keines. Echte Bestseller werden später gemacht, wenn Verlage die Ideen aufgreifen und für den großen Markt vorbereiten. Immer häufiger erscheinen dann ursprünglich als Kickstarter erdachte Spiele auf dem Weltmarkt der Gesellschaftsspiele – in verschiedenen Sprachversionen und meist mit mehreren Auflagen. Dann zeigt sich, was Kickstarter-Projekte wirklich zur Branche beitragen können.
Kickstarter ist heute ein millionenschwerer Markt. Von der Rebellion von damals ist nur noch wenig zu spüren. Dennoch: Ohne die Möglichkeiten der Schwarmfinanzierung gäbe es auch heutzutage viel gute Spiele nicht.
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