Vertriebsriese Asmodee hat mitten auf der Essener Einkaufsmeile einen temporären Brettspiel-Laden eröffnet. Der Verlag lockt mit „ausgewählter Aktionsware“ zu niedrigen Preisen. Was bei Fans gut ankommt, stößt bei manchem Fachhändler auf Kritik.
Ein Samstag Anfang August in der Essener Innenstadt: Eine lange Schlange bildet sich vor einem Laden direkt am Tor der Einkaufsmeile, in dem Geschäft herrscht aufgrund der feucht-warmen Wetterlage dicke Luft, an der Kasse nehmen Kundinnen und Kunden ungewöhnlich gern Wartezeiten in Kauf. Der Grund: Asmodee, einer der größten deutschen Spielverlage und gleichzeitig ein Vertriebsunternehmen, hat einen sogenannten Pop-up-Store eröffnet. Bis zum Jahresende gibt es im Brettspiel-Lager Aktionsware zu Niedrigpreisen.
Die Youtube-Szene feiert den Laden, die Fans freut das Angebot an, das von Familienspielen wie Camel Up oder Colt Express bis hin zu Kennertiteln eines Ankh oder Precognition reicht und auch Experten anspricht, die auf der Suche nach Spielen wie Hallertau sind. Wer gern auf Brettspiel-Schnäppchenjagd geht, dürfte fündig geworden sein und noch fündig werden. Zudem richtet sich die Auswahl mitunter an Einsteigerinnen und Einsteiger, sodass der Laden durchaus als Türöffner in die Szene herhalten kann.
Für das Verlagsschwergewicht Asmodee ist der Store an der Stelle des ehemaligen Jysk-Ladens eine gute Möglichkeit, die vollen Lager zu leeren. Der Stadt Essen kam die Idee ebenfalls gelegen. „Mit dem Brettspiel-Lager kommt endlich wieder ein Fachgeschäft für Spiele in die Essener Fußgängerzone“, so Svenja Krämer, Citymanagerin der Essen Marketing GmbH. Das neue Angebot wurde auf Eröffnungstag gut angenommen. Alle glücklich also? Nicht ganz. Kritik wird vor allem aus Fachhandelskreisen laut. In einem Interview mit der WAZ gibt Asmodee-Chef Udo Fischer an, man wolle mehr Menschen zum Spielen bringen. Davon würden dann letztlich Fachhändler, die es in Essen ebenfalls gibt (darunter White Rabbit an der Segerothstraße 79 oder AllGames4you an der Langenberger Straße 436), profitieren. Und tatsächlich: Der Grundgedanke ist richtig – je mehr Menschen Spiele mögen, desto größer ist die Gruppe der potenziellen Kunden.
Zudem könnten Händler im Store Handzettel auslegen, und jene Aktionswaren, die es im Brettspiel-Lager gibt, ebenso zu den gleichen Preisen verkaufen. Das Problem: Die kleinen Fachhändler mieten sich meist außerhalb der Stadtkerne ein, weil die Miete günstiger ist, die typische Laufkundschaft gibt es dann allerdings selten. Stattdessen sind kleine Geschäfte auf Mitmach- oder Marketing-Aktionen angewiesen. Sie locken Interessierte mit Spielturnieren oder Sammelkarten-Events in die Läden und hoffen dann darauf, dass auch ihnen vielleicht sogar Stammkunden werden. Beim Einkauf – auch von Brettspielen – bestimmen meist zwei Faktoren: Wie hoch ist der Preis? Wie hoch der Aufwand?
Preislich stellt sich Asmodee nicht besser als der Fachhandel auf, allerdings ist schon die City-Lage ein wesentlicher Faktor für den schnellen Spontaneinkauf direkt am spezialisierten Händler vorbei. Ein simpler Gedanke, aber zu kurz gedacht, wie man bei Asmodee unterstreicht.
Sichtbarkeit für den Fachhandel
„Wir unterstützen den stationären Fachhandel“ prangt bei dem Besuch der Webseite zu dem Shop auf Zeit. Und tatsächlich meinen die Essener Spielexperten es ernst, wie aus einer Nachfrage hervorgeht. „Wir sind noch vor der Kommunikation an die Außenwelt in den persönlichen Austausch mit den Händlern aus der Region gegangen und die Reaktionen waren durchweg positiv“, erklärt Asmodee-Sprecherin Elena Anna Ebbert. Im Pop-Up-Store seien zwei große Plakate – im Schaufenster und im Ladenbereich – aufgestellt, die die Kunden auf Asmodees Fachhandelspartner aufmerksam machten. „Außerdem gibt es auf der Webseite einen Storefinder“, so Ebbert – und man werde darüber hinaus Flyer von Händlern aus der Region auslegen.
An dieser Stelle stößt man unweigerlich auf noch so einen geäußerten Kritikpunkt: die regionale Begrenzung. Händlerinnen und Händler hinter dieser gezogenen „Grenzlinie“ profitieren nicht von der Möglichkeit, die Aktionswaren zu Aktionspreisen anbieten zu können. Warum? „Wir mussten schlichtweg eine sinnvolle Grenze ziehen, für die wir uns am bekannten Einkaufsradius orientiert haben“, erklärt Ebbert. „Natürlich kommen durchaus auch Menschen aus anderen Regionen in die Essener Innenstadt, der Fokus liegt aber auf der direkten Region“. Abhilfe für jene, die sich ignoriert fühlen, soll schlicht Kommunikation schaffen: „Wenn Stimmen über diese pro forma gezogene Grenze laut werden, gehen wir aber natürlich auch mit diesen Fachhändlern individuell in den Dialog“, appelliert Ebbert. „Unser Wunsch, den Pop-Up Store parallel zu einer guten Beziehung zu unseren Partnern umzusetzen, gilt selbstverständlich nicht ausschließlich für die Region, in der wir ansässig sind“.
Übrigens: „Weitere Aktionen, die den Handel unterstützen sollen, sind bereits in Planung“, verrät Asmodees Neuzugang in der PR-Abteilung. Bloße Worthülsen sind das nicht. Denn: „Die erste Resonanz der Kunden zeigt: Der Handel wird gesehen“, resümiert Ebbert rund zwei Wochen nach der Ladeneröffnung. „Wir bekommen schon jetzt Rückmeldung aus dem Handel, dass die Kunden sich auch bei ihnen melden – das Konzept greift also.“
Mittelfristig könnten sich für den Fachhandel demnach durchaus hilfreiche Synergien ergeben, weil Spiele-Fans – so sie denn Gefallen an dem Hobby gefunden haben – nicht nur auf Schnäppchenjagd gehen, sondern Spiele nach ihrem Erscheinen zu regulären Preisen kaufen. Die gibt es dann nicht in Asmodees Brettspiel-Lager, sondern bei jenen Händlern, die mit dem neuen Projekt des Spieleriesen womöglich noch hadern.
Für Aufmerksamkeit gesorgt hat Asmodee jedenfalls. Der Rückblick der Verlagsverantwortlichen auf den Eröffnungstag Anfang August ist positiv: „Wir freuen uns riesig, dass der Ansturm so hoch war“, fasst Elena Anna Ebbert die Stimmen aus dem Essener Verlagshaus zusammen. „Wir haben natürlich im Rahmen unserer Möglichkeiten reagiert, indem wir den Einlass geregelt und Wasser sowie Süßigkeiten verteilt haben, um die Wartezeiten zu überbrücken. Wir sind außerdem in den Dialog mit den Leuten gegangen und haben mitgeteilt, dass wir noch das ganze Jahr da sind — dennoch haben sich alle gern angestellt, um die Eröffnungsangebote mitzunehmen“. Am Ende habe das Team alle Hände voll zu tun gehabt und „genau so macht so ein Laden ja auch am meisten Spaß“. Geschäftsführer Udo Fischer hat mit angepackt, an der Kasse die Einkäufe gescannt und Tüten gepackt. „Rundum ein erfolgreicher Tag!“, freut sich Ebbert.
In der Essener Innenstadt hätte es kaum einen besseren Standort geben können: das Brettspiel-Lager befindet sich am „Tor“ der Einkaufsmeile, die von dort hinabführt zum Shoppingcenter Limbecker Platz. Die Frequenz bei der sogenannten Laufkundschaft ist hoch in diesem Bereich, die Stelle ist so etwas wie ein Nadelöhr der Essener City. Asmodee verspricht sich hiervon einige positive Effekte für die Branche. „Unser Ziel ist es grundsätzlich, an die neu gewonnene Begeisterung vieler Menschen aus der Corona Zeit anzuknüpfen“, so Ebbert. „Wir möchten den Menschen, besonders aus Zielgruppen, die wir bislang nur teilweise erreicht haben, die Tür zu dieser wunderbaren bunten Welt langfristig öffnen und so zu regelmäßigen Spielern machen. Denn schlussendlich ist unser Ziel stets, Menschen vom Spielen zu begeistern — und damit sind wir mit diesem Standort genau an der richtigen Stelle.“
Keine direkte Konkurrenz zum Fachhandel
Mit Blick auf das Weihnachtsgeschäft hat die Idee durchaus Potenzial – und zwar für alle Beteiligten. Ob es bereits Pläne gebe für weitere Kooperationen mit dem Handel vor Ort? „Neben der Möglichkeit für den Fachhandel, während der gesamten Laufzeit Angebote aus dem Brettspiel-Lager zu adaptieren, gibt es einen gravierenden Faktor, der den Fachhandel klar vor das Brettspiel-Lager stellt: Ausschließlich im Fachhandel erhalten die Menschen begehrte Neuheiten, die es im Pop-Up Store nicht gibt“, stellt Ebbert klar. Zudem würden die Kunden beispielsweise Spielerweiterungen für Grundspiele, die sie im Pop-Up Store gekauft haben, im Fachhandel erhalten. „Es ist uns enorm wichtig, die Zusammenarbeit – vor allem auch mit Blick auf das Weihnachtsgeschäft – mit dem Fachhandel zu fördern und nicht in direkte Konkurrenz zu treten“, so die Asmodee-Sprecherin. Daher finde stets intensiver Austausch statt.
Grund für die Umsetzung des Projekts waren hohe Lagerbestände: „Das letzte Jahr war im Vergleich zu den Corona Jahren etwas ausgebremst, das ist ganz klar“, so Ebbert. „Die Leute hatten mit dem Ende der Lockdowns und allgemeinen Einschränkungen wieder allerlei Möglichkeiten ihr Freizeit zu gestalten und waren froh ihre vier Wände wieder verlassen zu können. Das hatte natürlich einen Einfluss auf uns. Allerdings beobachten wir nun eine durchweg positive Entwicklung“. Konkrete Zahlen zu den Füllmengen im Lager wollte Asmodee letztlich nicht nennen.
In der Szene sind „Deals“ längst eine Konstante, kaum ein Einzelhändler kommt ohne diesen besonderen Anreiz aus, um Kundinnen und Kunden zum Einkauf zu motivieren: „Die Schnäppchenjagd ist sicherlich in allen Branchen verbreitet“, meint Elena Anna Ebbert. Schlussendlich seien die Fußgängerzonen zuletzt auch wegen des Sommerschlussverkaufs beispielsweise in der Modebranche voll. „Natürlich haben wir aber auch genau auf diesen Anreiz gesetzt. In der Vergangenheit haben genau diese Maßnahmen zum Beispiel auf Messen gezeigt, wie beliebt gute Angebote sind. Wir freuen uns, die Menschen damit glücklich zu machen, Neukunden zu gewinnen und gleichzeitig Platz für tolle Neuheiten zu schaffen, die der Fachhandel dann anbieten kann“. Ziel sei es, vor allem auch durch Menschen, die erstmalig spielen, eine (neue) Basis für den Handel zu schaffen.
Bis Ende Dezember wird es das Brettspiel-Lager in der Essener Innenstadt geben, bestätigt Ebbert. Und danach? „Wir freuen uns natürlich sehr über die ersten Resonanzen und den großen Ansturm sowie die gestiegene Nachfrage im Fachhandel. Zum aktuellen Zeitpunkt – nur einige Wochen nach Eröffnung – können wir zu so einer weitreichenden Entscheidung unmöglich eine Aussage treffen.“
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