Mit Golem ist ein Brettspiel auf dem Markt erschienen, das zeigt, wie man ein abstraktes Regelwerk in ein thematisch passendes Korsett zwängen kann – und zwar so, dass dem Thema trotz starkem Fokus auf Mechaniken eine spürbar relevante Rolle zukommen. Golem ist hierzulande auf Deutsch bei Asmodee erschienen.
Zugegeben, so richtig auf Thema setzt Golem als Euro-Brettspiel am Ende nicht – dafür ist zu wenig Tiefgang bei der Umsetzung zu spüren. Dennoch drängelt sich die Idee um das Erschaffen von Lehmkreaturen immer wieder angenehm in den Vordergrund, sodass man bei diesem ausgewiesenen Expertenspiel nicht auf das Setting verzichten möchte.
Der Golem von Prag: Ein Brettspiel zur Legende
Das Werk von den Autoren Flaminia Brasini (u.a. Lorenzo il Magnifico, Coimbra), Virginio Gigli (u.a. Grand Austria Hotel, Alma Mater) und Simone Luciani (u.a. Barrage) sendet schnell ein erstes Signal. Es lautet: Hier wartet ein echter Brocken. Sichtbar wird das bereits nach dem Spielaufbau. Golem ist mindestens umfangreich, was das Material sowie das Regelwerk betrifft – bisweilen könnte man dem Brettspiel sogar unterstellen, mit dem Wust an Plättchen, Kügelchen, Markern und Figuren über Schwächen hinwegtäuschen zu wollen. Auf dem Tisch ausgebreitet gibt Golem ein enorm buntes Bild ab – bei dem gewählten Thema würde man das vermutlich nicht erwarten.
Es geht zurück ins 1584 nach Prag, der Hauptstadt der Tschechischen Republik. Genauer: Es geht in eine Synagoge. Noch genauer: Auf deren Dachboden. Das religiöse Grundthema ist nicht an den Haaren herbeigezogen: Prag war über Jahrhunderte eine Metropole, in der tschechische, deutsche und jüdische Kulturen aufeinandertrafen. Gut, die Sache mit den lebendig werdenden Golems ist am Ende eine Erfindung, aber sie eignet sich hervorragend, um daraus ein Brettspiel zu stricken. Warum? Weil die Prämisse in der Szene ziemlich unverbraucht ist. Hier und da gab es natürlich Lehmfiguren, aber dass man sie selbst erschaffen darf, ist neu.
Das Brettspiel basiert sogar auf einer Legende: der des Prager Golems eben. Der aus Worms stammende Rabbiner Judah Löw kommt nicht nur auf dem Schachteltext vor, es gab ihn wirklich. Er ist eng mit der Legende verbunden; die erste Erzählung stammt auf den 1830ern, wurde später Teil einer Sammlung jüdischer Märchen und noch später erneut Teil der Literatur. Erde, Wasser, Feuer und Luft sollten notwendig gewesen sein, um einen Golem zu erschaffen – Rabbi Löw übernahm den Wind, seine Schüler die übrigen Elemente.
Im Morgengrauen holte die Gruppe Lehm aus einer Grube an der Moldau, formte eine Figur und erweckte sie zum Leben. „Joseph“ war da, erst nackt, dann in das Gewand eines Synagogendieners gekleidet. Reglos saß der Golem in der Ecke, nur eine Aufgabe hatte er: Vor dem Pessachfest des Nachts durch die Stadt streifen und jene aufzuhalten, die eine Last mit sich trugen, um zu kontrollieren, ob sie ein totes Kind mit sich führten. Denn immer wieder war es dazu gekommen, dass man den Juden von Prag vorwarf, sich zu rituellen Zwecken des Bluts kleiner Kinder zu bedienen.
Optisch findet sich die Idee um den Golem auf den Spielertafeln wieder – ohnehin überzeugt die Optik bei Golem trotz des strikten Fokus auf die Mechanik. Sie steht nämlich deutlich im Mittelpunkt: man wacht über seine Stundentenschar, sammelt und verwaltet Ressourcen und erschafft letztendlich die Lehmkreaturen. Klar ist damit auch: Golem bietet Spielern ein ziemlich umfassenden Erlebnis – Aufgaben gibt es viele, Entscheidungen noch mehr. Letztere werden forciert, denn nach vier Runden mit jeweils drei Zügen pro Runde ist die Partie auch vorbei.
Das klingt furchtbar kurz für ein derart komplexes Brettspiel, pendelt sich am Ende allerdings auf eine Länge um 100 Minuten ein. Es ist eine Stärke von Golem, die entscheidungsreichen Momente derart zu konzentrieren, dass man keine vier bis fünf Stunden spielen muss, um Spaß zu haben. Das Autoren-Trio macht mit der Begrenzung daher etwas richtig, das viele komplexe Brettspiele der Neuzeit oft falsch machen. Nicht selten erschlagen Autoren eine Spielergruppe mit komplizierten Regeln, um die Spielzeit einer Partie bis zur Schwelle zur Langeweile auszureizen. Golem umgeht das Problem. Es erzwingt ein Ende.
Variabler Aufbau stützt Wiederspielreiz
Der variable Aufbau ist es, der für Abwechslung sorgt und zu immer neuen Partien animiert. Gespielt wird auf dem zentralen Spielbrett samt Seitenaufbau sowie auf den persönlichen Spielertafeln. Den Teilnehmenden wird abverlangt, die Übersicht zu behalten. Das ist mitunter eine Herausforderung. Zum Glück ist Golem das bunte Spiel, das es letztendlich ist. Das mag zum düsteren Setting nicht immer zu 100 Prozent passen, hilft aber ungemein.
Überaus gelungen ist der Kniff um die bunten Murmeln, die aus der Synagoge ist die Rillen purzeln. Sie geben unter anderem vor, wie mächtig Aktionen sind. Zusätzliche Detailregeln sorgen dafür, dass man den Part des Spielaufbaus unter steter Beobachtung halten wird. Murmel nehmen oder Rabbi bewegen ist eine der wesentlichen Grundentscheidung bei Golem – die Farben sind übrigens auch spielrelevant, denn sie sind direkt mit dem Hauptbrett verbunden. Die drei Aktionen pro Runde teilen sich am Ende auf in zwei Murmel-Aktionen und eine Rabbi-Aktionen – es ist die absolute Minimal-Regelung, ab dann wird es komplex. Das Regelwerk selbst führt Spieler gut an Golem heran. Das Spiel bleibt allerdings ein Brocken.
Planen, planen, planen
Hier Farben, dort Formen und dann noch Symbole, alles aufgeteilt auf verschiedenen Tafeln – das bedeutet nicht nur Unterhaltung, sondern auch Anstrengung. Rund zwei Stündchen kann man das durchhalten, spätestens dann litte die Konzentration enorm. Als hätten die Autoren es gewusst, treten sie per Regelwerk selbst auf die notwendige Bremse. Golem ist dadurch zwar herausfordernd, aber niemals überfordernd. Und am Ende tut auch Golem das, was ähnliche Genre-Vertreter tun: Sie rufen zum Optimieren von Punktewerten auf, denn darum geht es.
Vorausplanung ist dabei zwingend erforderlich, denn abgerechnet wird bei Golem erst am Schluss. Soll heißen: Wie gut man gespielt hat, macht sich bei der Endwertung besonders bemerkbar. So bleiben die Partien weitestgehend spannend, das motiviert. Golem treibt Spieler dazu an, ihre gemachten Fehler zu überdenken und es bei der nächsten Partie cleverer anzugehen. Folgespiele werden sich anschließen, zumindest wenn man warm geworden ist mit dem Brettspielkonzept.
Unterstützt wird das durch die enorme Varianz beim Aufbau: So manches Plättchen sieht man selten, die Murmelfarben wechseln ohne ständig, und auch auf dem Hauptbrett und den Spielertafeln sind Unterschiede pro Partie an der Tagesordnung. Kurzum: Jedes Spiel läuft anders ab, ist einzigartig.
Punkte, Punkte, Punkte
Man kann den Autoren demnach nicht vorwerfen, die Materialmengen lediglich der Effekthascherei wegen einzusetzen. Jedes Plättchen hat seinen Platz und irgendwie auch seinen Nutzen. Immer wieder kommt es zu Entscheidungsmomenten auf Detailebene: dargestellt wird das durch Leisten. Hier geht auch Golem den Weg seiner Genre-Konkurrenten.
Spieler treiben kleine Platzhalter für Punktewerte und Symbole voran. Am Ende ist Golem neu, aber keine Neuerfindung. Das Brettspiel macht seine Sache in der Kombination der Mechaniken nur sehr gut. Hinzu kommt das ständige Gefühl, irgendetwas verpasst zu haben, irgendetwas besser anders gemacht zu haben. Aktionen sind wertvoll – diese Botschaft schwingt bei jedem Zug mit. Nicht immer ist das Ergebnis sofort sichtbar: langfristige Strategien sind demnach nicht nur relevant, sondern zwingend erforderlich.
Selbstverständlich ist aber auch Golem am Ende des Tages ein Eurospiel, mit allen Schwächen, die das Genre so mit sich bringen kann. Viele Symbole sorgen für viel Verwirrung, der Einstieg ist entsprechend zäh. Man muss sich erst hineinfinden in dieses umfassende Erlebnis – ohne das geht es nicht. Mitunter lesen mehrere Spieler am Tisch die Regeln, damit man auch ja kein wichtiges Detail verpasst. Trotz vergleichsweise moderater Spieldauer ist die Vorbereitungszeit enorm, vor allem wenn das Brettspiel zum ersten, zweiten oder dritten Mal auf dem Tisch landet. Dass Rot eigentlich Grün ist? Schwamm drüber, man gewöhnt sich daran.
Infos zu Golem
Spielerzahl: 1 bis 4
Alter: ab 14 Jahren
Spielzeit: 90 bis 120 Minuten
Schwierigkeit: hoch
Langzeitmotivation: gut
Klassifikation: Expertenspiel
Kernmechanismen: Workerplacement, Engie-Building, Ressourcenmanagement
Autoren: Simone Luciani, Flaminia Brasini, Virginio Gigli
Illustrationen: Francesco Ciampi, Roberto Grasso
Verlag: Asmodee Deutschland, Cranio Creations
Offizielle Website: Link
Erscheinungsjahr: 2022
Sprache: Deutsch
Kosten: 60 Euro
Fazit zu Golem
Simone Luciani, Flaminia Brasini und Virginio Gigli – wer die Namen der Autoren aufmerksam liest und ihre bisher veröffentlichten Werke durchgeht, der weiß so ungefähr, was man von Golem erwarten kann: ein teils sperriges Brettspiel, das nach zwei bis drei Einführungspartien mit jedem möglichen Zug besser wird. Es gibt viel auszuprobieren, viel zu planen, immer wieder ändern sich die Voraussetzungen wegen des variablen Setups. Golem ist dabei aber nicht ein Aufguss von Grand Austria Hotel, sondern setzt einen anderen Schwerpunkt: es geht im Kern um das Optimieren von Siegpunkten, die Auswahlmöglichkeiten und Entscheidungen sind dabei die Mittel zum Zweck. Auch die namensgebenden wie das Thema vorgebenden Golems sind sinnvoll in das Spielkonzept eingeflochten.
Das Konsequenzen-Trio aus Murmel, Rabbi oder Passen führt letztendlich vor allem zu einer wichtigen Sache: sie eliminiert das Glückselement nahezu vollständig. Ziemlich gut für ein Brettspiel, in dessen Kern eine Mechanik um zufällige Kugelergebnisse zu finden ist.
So entwickelt sich im Verlauf der insgesamt wenigen Züge eine Engine, die im Idealfall Schritt für Schritt immer mehr Punkte generiert. Ihr Handwerk beherrschen die Autoren jedenfalls, und sie lassen das die Spieler auch spüren – im positiven Sinne. Klar ist nämlich: Die Steigerung bei der persönlichen Spielleistung ist spürbar. Partie um Partie wird man besser, kann die Konsequenzen von Entscheidungen erahnen und nicht bloß erraten. Und kann sich somit dem Spielkern widmen: Punkte, Punkte, Punkte. Golem ist kein herausragender Genre-Vertreter, aber das Brettspiel leistet sich im Gegenzug auch keine groben Schnitzer. Das insgesamt unverbrauchte Grundthema gefällt.
Was es bei Golem zwingend braucht, ist die Geduld, sich in das Brettspiel einzuarbeiten. Arbeit ist hierbei streckenweise wörtlich zu nehmen, denn beständige Regelchecks werden Bestandteil dieses Prozesses sein. Sitzt alles – inklusive der schier unendlichen Anzahl an Symbolen – irgendwann, wird man viel Spaß haben mit diesem Brettspiel und seinem mystisch-religiösen Setting. Die Mixtur aus Golem, Zutaten, Artefakten und Aufsichtspersonal ist gelungen – wie immer bei einem Eurospiel nicht notwendig, in diesem speziellen Fall dem Spielerlebnis aber durchaus zuträglich; auch wenn man das aufgrund der teils abstrakten Darstellung nicht immer mitbekommt.
Hinzu kommt das gute Materialkonzept um bunte, gut sichtbare Farbvarianten und deutlich unterscheidbare Bereiche auf den Spielbrettern. Auch die Würfel-Alternative in Form der „Murmelbahn“ gehört dazu und ist erfrischend, wenn auch spielerisch nicht zwingend in dem neuen Format notwendig. Aber: Man versucht sich an Innovationen auf der niedrigsten aller Ebenen, bei den meisten Euro-Brettspielen sucht man schon das vergeblich.
Golem entpuppt sich als das vermutete Experten-Brettspiel, macht daraus keinen Hehl, spricht also die Zielgruppe treffsicher an. Die erforderliche Einarbeitungszeit ist nicht als Makel zu verstehen, sondern als erste Möglichkeit, sich dem Spielkonzept schrittweise nähern zu können. Anders lässt sich Golem ohnehin nicht spielen – man wird besser, agiert cleverer und zielgerichteter, aber erst nach einigen Partien. Bestenfalls spiel man das Brettspiel mit zwei oder drei Spielern. Wahlweise kann man auch alleine ran, und auch das sollte man nutzen, denn Golem ist auch eine klare Solo-Empfehlung.
Vorschau | Produkt | Bewertung | Preis | |
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