Das Londoner U-Bahn-Labyrinth als Vorlage für ein Brettspiel? Das ist seit der Veröffentlichung von Next Station London nicht mehr nur Wunschdenken, sondern Realität. Wie im echten Leben geht es im öffentlichen Nahverkehr mitunter chaotisch zu. Diesmal liegt es in den Händen der Spielenden, den gesamten logistischen Prozess so zu optimieren, dass die U-Bahnen am Ende auch sinnvolle Strecken fahren.
Die London Underground gehört zu den ältesten U-Bahnsystemen der Welt. In Europa ist es die zweitlängste Netzstrecke, mehrere Millionen Fahrgäste verzeichnet man werktäglich und am Wochenende – perfekte Bedingungen also für ein Planspiel, bei dem es um logistische Prozesse geht. Der französische Verlag Blue Orange vertreibt das Original, hierzulande erscheint der Titel über HCM Kinzel.
Next Station? London!
Bei Next Station: London ist es eure Aufgabe, das Londoner U-Bahn-Netz neu zu gestaltet. Dabei setzt das Spiel von Matthew Dunstan auf eine Flip & Write Mechanik. Auf der Spielmesse Spiel22 war das Spiel schon ein großer Verkaufshit bei HCM Kinzel. Das Spiel kann alleine oder mit bis zu vier Personen ab 8 Jahren gespielt werden. Ihr spielt über vier Runden und benutzt in jeder Runde eine andere Stiftfarbe, um die jeweiligen Linien voneinander zu unterscheiden. Jede Farbe hat einen Startbahnhof auf dem Plan, an dem ihr starten müsst.
Aufgedeckte Karten zeigen Symbole, die Stationen auf dem Spielplan entsprechen. Verbindungen müssen immer direkt von Station zu Station (entlang der grauen Striche) eingetragen werden und dürfen niemals andere Linien kreuzen. Neue Stationen dürft ihr immer nur am Ende der aktuellen Linie eintragen. Einzige Ausnahme: Ihr deckt ein Weichensymbol auf. Das Eintragen der Linien ist optional und wird so lange gemacht, bis die fünfte unterirdische Station aufgedeckt wird (es gibt 6 überirdische und 5 unterirdische Stationen, die im Spiel aber gleich behandelt werden).
Nach jeder Runde findet eine Wertung statt. Dabei bekommt ihr Punkte für
- die Anzahl an Stadtbezirken, die ihr befahren seid (der Plan besteht aus 13 Bezirken)
- die Anzahl an Stationen in einem ausgewählten Stadtbezirk
- Die Anzahl der Themsen-Überquerungen
Das gilt jeweils für die aktuelle Linie. Außerdem markiert ihr angefahrene Touristen-Stationen (Stationen mit Stern) auf der Sightseeing Skala. Zusatz-Karten bieten euch noch mehr Herausforderungen und Möglichkeiten, mehr Punkte zu sammeln. Bahnhöfe dürfen von verschiedenen Linien befahren werden (das gibt euch sogar Bonuspunkte), Linien dürfen sich aber niemals kreuzen. Passt also auf, dass ihr euch die Wege nicht verbaut.
Die Abfahrt verzögert sich etwas…
Next Station: London beginnt mit etwas Startproblemen: Die Anleitung ist ziehharmonika-gefaltet und sehr breit. Das ist etwas unhandlich und erschwert es etwas, wenn man einzelne Regeln nachlesen will. Sobald man die Regeln verinnerlicht hat, und das geht trotz der kleinen Startprobleme auch recht schnell, spielt sich das Spiel aber problemlos. Die Regeln sind nämlich schnell verinnerlicht und lassen sich dann auch gut erklären.
Das Spiel schafft dann eine Balance zwischen Glück und Strategie. Ich kann beim Einzeichnen der Linien darauf achten, möglichst gewinnträchtige Strecken zu bauen, bin dabei aber immer abhängig davon, welche Karten ich aufdecke. Dabei hatte ich nie den Eindruck, dass der Glücksfaktor Überhand nimmt und mein Spiel komplett ruiniert. In dem Kontext ist auch wichtig: Ihr spielt für euch. Egal ob alleine oder zu viert, es gibt keine Interaktion zwischen den Personen. Das muss man mögen, ich finde, es passt bei dem Spiel aber sehr gut, da niemand von außen mein Schienennetz verpfuschen kann. Die aufgedeckte Karte gilt aber immer für alle gleich, sodass es keinen Leerlauf gibt, außer eine Person braucht sehr lange für ihren Zug (Achtung, Wortwitz!).
Jedes Spiel kann an schlechtem Material scheitern. Das ist hier aber zum Glück nicht der Fall. Der Spielblock ist einfach, aber schön und bunt gestaltet. Der doppelseitige Druck garantiert euch Spaß für einige Partien. Irgendwann hätte ich mir auch noch alternative Blöcke zu anderen Städten gewünscht – aber was noch nicht ist, kann ja noch kommen. Auch die Stifte lassen keine Wünsche offen. Die Farben sind gut zu erkennen und drücken sich nicht auf die Rückseite durch. Sind Stifte bei so einem Spiel wirklich eine Erwähnung wert? Ja, denn zu oft sind die mitgelieferten Stifte sehr schlecht und fast nutzlos. Bleistifte malen oft viel zu blass und Filzstifte trockenen aus, bevor man fünf Partien gespielt hat. Deshalb sind meine Erwartungen bei Stiften eher gering, aber hier habe ich mich über die Qualität gefreut.
Etwas verwirrend bleibt, dass es ober- und unterirdische Stationskarten gibt, beide aber komplett gleich behandelt werden. Anhand der unterirdischen Karten wird zwar bestimmt, wann die Runde endet, dennoch blieb bei mir die ersten Runden das Gefühl, dass die Karten unterschiedlich funktionieren würden. In der Summe hat Next Station: London aber überzeugt. Das Spiel ist handlich und somit auch ideal für die Reise. Sind die Regeln verstanden, spielt sich das Spiel sehr flott und den Highscore-Modus (im Solo-Modus) oder das Besser-sein-wollen, als die anderen, motiviert zu weiteren Partien. Es wäre eine große Überraschung, kämen keine weiteren Teile oder Blockerweiterungen auf den Markt.
Das persönliche Chaos
Stil, Spielablauf, Optik – alles ist bei Next Station: London stark vereinfacht. Dem Grundthema um die Logistikplanung eines weit verzweigten U-Bahn-Netzes, das täglich viele Millionen Fahrgäste zu befördern im Stande ist, geht dadurch etwas an Reiz verloren. Letztendlich macht die Streckenmalerei aber Spaß – vor allem, weil das Spielprinzip so gut funktioniert. Mit bunten Stiften Station um Station abzufahren, ist als Idee eingängig und wird nicht durch einen Wust an Detailregeln belastet. Next Station: London bleibt damit ein vergleichsweise oberflächlicher Genrevertreter, was in diesem Fall aber keinen echten Makel darstellt. Denn: Es wird mit jedem Zug kniffliger. Next Station: London schafft es somit, mit simpelsten Regeln einen ordentlichen Hirnzwirbler auf den Tisch zu bringen.
Vorausplanung ist quasi alles – wenn der Spielplan sich füllt, wird es zunehmen schwieriger, Linien ohne Durchkreuzungen einzuzeichnen. Besonders ärgerlich ist es dann, wenn man Punkte – im wahrsten Sinne des Wortes – einfach auf der Strecke lassen muss, weil man keine Linien zeichnen kann. Einfach die Randgebiete vollkritzeln – das könnte die offensichtlich Lösung für alle Probleme sein, oder? Ja und nein. Man vermeidet zwar Engstellen, ergattert durch einen Regelkniff am Ende allerdings auch weniger Punkte. Boni lassen sich nämlich vor allem in den Risiko-Situationen auslösen. Letztendlich dreht sich auch bei diesem Flip’n‘-Write das ganze Geschehen um möglichst optimale Zeichnungen.
Auch wenn es nicht viel zu beachten gibt bei Next Station: London, ist das Spiel alles andere als einfach – zumindest für ambitionierte Spielende, deren Ziel eine möglichst hohe Punktzahl ist. Volles Risiko, auf Sicherheit, oder die Balance daraus – es gibt viele Wege zum Ziel. Grundsätzlich gilt natürlich: Je größer das Risiko, desto mehr Punkte kann man ergattern. Mit Jokern und Weichen lässt sich das etwas abmildern, was sich positiv auf die Entscheidungsfreiheit auswirkt, weil schlicht mehr Optionen möglich sind.
Die optionalen Zusatzkarten sind ein nettes Gimmick für das kleinformatige Spiel. Sie sorgen für eine leicht höhere Komplexität, sodass Next Station: London hierdurch auch seine Zielgruppe auf Spielende mit Anspruch erweitern kann.
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Spielerzahl: 1 bis 4 Alter: ab 8 Jahren Spielzeit: 20 bis 35 Minuten Schwierigkeit: einfach – mittel Langzeitmotivation: mittel Klassifikation: Familienspiel Autor: Matthew Dunstan |
Fazit
Next Station: London von Matthew Dunstan (zuvor unter anderem: Elysium, Echoes, Roll for Adventure) ist ein optisch simples, einsteigerfreundliches, aber dennoch forderndes Flip’n’Write-Spiel. Grundsätzlich erfindet der Titel das Genre nicht neu, überzeugt aber durch seine niedrigen Einstiegshürden und die dennoch vorhandenen Möglichkeiten, mit steigender Anzahl der Partien besser werden zu können. Lange braucht es nach dem Auspacken jedenfalls nicht, um sich mit dem Spielablauf vertraut zu machen, etwas Erfahrung wird hingegen abverlangt, wenn man aus den vorgegebenen Situationen – mit der richtigen Portion Mut – das Optimum herausholen möchte.
Bei Neulingen ist die Gefahr groß, zu ambitioniert an das Streckenzeichnen heranzugehen, was nicht selten in jenem Chaos mündet, das man auch den täglichen Pendelfahrten im öffentlichen Nahverkehr so kennt: Nichts geht mehr, heißt es dann irgendwann. Das gilt für die Linienzeichnungen in dem Fall und die Punkteausbeute. Hat man den Dreh raus und setzt Weichen und Joker clever ein, spürt man den Reiz des grundsätzlich simplen Paper-and-Pencil-Spiels, das bei Familien ebenso auf dem Tisch landen kann wie bei enthusiastischeren Spielenden. Ab und zu blitzt die eigene Genialität durch, wenn es gelingt, einzelne Stationen zu waschechten Umschlagsbahnhöfen zu machen. Die Jagd nach immer höheren Punktezahlen macht jedenfalls Spaß – auch solo.
Vorschau | Produkt | Bewertung | Preis | |
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HCM Kinzel - Next Station London | nominiertes Spiel des Jahres... * | 14,79 EUR |
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