Seit dem 27. August ist World of Warcraft Classic nun spielbar. Eine ganze Woche ist um. Sieben Tage, die sich angefühlt haben wie Monate. WoW: Classic hat die Gemütlichkeit nicht neu erfunden, aber wiederentdeckt – zumindest für den überwiegenden Teil der Spieler, die vor allem zu Beginn viele Stunden in Warteschlangen verbracht haben, nur um dann bis zu einer Serverunterbrechung 30 Minuten spielen zu können. Trotz überfüllter Server, langer Wartezeiten und, oder gerade wegen, des Quest-Designs aus dem letzten Jahrhundert, zeichnet sich WoW: Classic als Erfolg ab. Zeit für unser erstes „Weekly Roundup“.
Warteplatz 23.456: Danke für dein Verständnis
Der Release-Tag von World of Warcraft Classic war vergleichbar mit dem Montagmorgen beim Hausarzt: alle Wartezimmerplätze sind belegt, du hast eigentlich einen Termin und musst trotzdem dreieinhalb Stunden warten, nur damit der Arzt dir zehn Minuten seiner Zeit widmet.
Pünktlich um 00.01 Uhr in der Nacht gingen am vergangenen Dienstag die Server live – viel zu wenige, aber das sollte Blizzard im Laufe der Woche ändern. Jenen Spielern, die direkt zum Release auf ihrem „Wunsch-Server“ spielen wollten, half das natürlich wenig. Der feste Plan, am Veröffentlichungstag die ersten Quests erledigt und vielleicht Stufe 10 (der erste Meilenstein!) erreicht zu haben, wich einem frommen Wunsch.
WoW: Classic zerstört Träume – auf die harte Tour. Diese Erfahrung mussten viele Spieler auch dann noch machen, wenn sie es auf einen der Server geschafft haben. Leichter Einstieg? Nö. Der Charakterstufe angepasste Schwierigkeit? Gab es nicht so richtig. Coole Ausrüstung, die einem das Vorankommen erleichtert? Früher nicht.
Spieler, die World of Warcraft zu den „echten“ Classic-Zeiten gespielt haben, mussten sich umgewöhnen – alle anderen erwartete zwar Spielspaß, aber ausgeteilt mit der ganz groben Kelle.
Schön für Nostalgiker: Tatsächlich entspricht die Classic-Version der von vor 15 Jahren – zumindest bis auf kleinere Anpassungen, die Blizzard etwa bei der Beuteverteilung gemacht hat. Wo Support-Mitarbeiter früher bei „falscher Beutezuteilung“ manuell eingreifen mussten, könne heutige Classic-Spieler geplünderte Beute dann all jene weitergeben, die bei einem Kill dabei waren.
Die Lösung ist nicht nostalgisch, aber ein guter Kompromiss. Immerhin kommt am Ende dasselbe Ergebnis zustande, nur eben ohne den Umweg über den Support. Auch einige Interface-Optimierungen, die im Laufe der Jahre implementiert worden sind, wurden für Classic übernommen: das einfachere Öffnen der Post beispielsweise. Dennoch: Blizzard bleibt seinem Versprechen treu, den Spielern wirklich die Spielerfahrung bieten zu wollen, die ein ganzes Genre großgemacht hat.
Rückbesinnung auf alte Tugenden
Bei all den verbesserungsbedürftigen „äußeren Bedingungen“ – vieles davon regelt sich mit einem Abstand zum Release von selbst – ist selbst das spielerische Grundgerüst von WoW: Classic auch nach 15 Jahren noch eine sichere Bank: Die Welt, die Blizzard Entertainment geschaffen hat, ist grandios und lädt förmlich dazu ein, Geschichten zu erleben. Quest-Texte lesen, unzählige Meilen zurücklegen (natürlich zu Fuß), sich um die Ausrüstung eines Charakters tatsächlich zu kümmern – auch mal zu sterben: all das gehört zu Classic.
Ganz wie früher ist WoW: Classic natürlich nicht. Viele Spieler sind neu, blicken allerdings auf eine WoW-Karriere zurück; es gibt Streamer, die Horden an Zuschauern an sich binden, es herrscht jener Optimierungsbedarf vor, den man aus WoW kennt, den es damals aber zu Beginn nicht gegeben hat. Und dennoch holt Classic das gemütliche Zocken zurück, das viele MMO’ler sich seit Jahren wünschen, auch, weil moderne MMORPGs auf schnelle Erfolge drängen.
Ja, auch zu Classic-Zeiten gab und gibt es die Erfolgsverwöhnten: schnell Stufe 60 erreichen, in der ersten Woche alle Raidbosse legen, besser sein als alle anderen Spieler. Ob und wie man WoW: Classic spielt, bleibt jedem selbst überlassen – am besten wirkt das Spiel wahrscheinlich, wenn man sich auf das Tempo einlässt, das die Welt und deren Geschichten vorgeben.
Spieler werden dann dazu angehalten, sich auf die frühen Tugenden des damals neuen Genres zu besinnen: Gelassenheit, Geduld, Hilfsbereitschaft, Durchhaltevermögen. Mal auf einen Spieler zu warten, der denselben Quest-Mob ansteuert wie man selbst, einem unbekannten Gegenüber mit „low HP“ Heldenschaft zur Seite zu stehen, damit er nicht fünf Minuten vom weit entfernten Friedhof zu seiner Leiche rennen muss, auch den hundertsten Wolf zu töten, um am Ende acht Wolfsflanken gesammelt zu haben – all das ist Classic.
Dahinter steckt bei Spielern vielfach der Wunsch, ein Spiel endlich mal wieder genießen zu dürfen. Wir haben das in der ersten Woche von WoW: Classic getan. Wir haben uns durch Warteschlagen gequält, Charaktere erstellt, gelevelt und verworfen, neu begonnen. Alles, um jene perfekten Momente einzufangen, die es bei Classic häufig gibt. Das Auffinden grüner Items, die wirklich zu einem Charakter passen, wird regelrecht gefeiert. Die letzten Silberstücke aus dem klammen Vorrat für ein Alchimie-Rezept auszugeben, das einem einen marginal Bonus bringt, fühlt sich an wie ein großer Erfolg. Instanzen zu meistern motiviert wieder, statt zu langweilen. Sogar einen lang gesuchten Questgegenstand ohne Suchmaschinen-Unterstützung zu finden, macht zufrieden.
WoW: Classic ist voll von kleinen Ereignissen, die man nicht nur im aktuellen „World of Warcraft“, sondern in nahezu allen modernen MMOs vermisst.
Jetzt du: Was war dein bester Moment in der ersten Woche?