Die SPIEL’23 in Essen steht vor der Tür: Vom 5. bis zum 8. Oktober können Fans von Brettspielen aus aller Welt in den Messehallen die Neuheiten des aktuellen Jahrgangs ausprobieren. Was vielen Besuchern nicht sofort klar ist: Die diesjährige Spielemesse in Essen ist die erste ihrer Art. Veränderungen gab es in den vergangenen Monaten viele – und der SPIEL’23 merkt man den Prozess nun deutlich an.
Die Spielemesse in Essen feiert dieses Jahr ihren 40. Geburtstag – hinter vier Jahrzehnten „SPIEL“ steckt ein stetiger Prozess. Der Wandel setzt sich bei der neuen Auflage der Veranstaltung so deutlich sichtbar fort wie seit vielen Jahren nicht. Aus einem gemütlichen Spieletreffen hat sich ein Geschäftsmodell entwickelt, erst langsam, dann immer rasanter. Und mit der SPIEL’23 scheinen die Organisatoren endgültig dort anzukommen, wo Fans die Messe im Grund lieber nicht sehen wollen: beim Business.
SPIEL in Essen: Ohne Erfolg geht es nicht
Wer sich ein, zwei Jahrzehnte zurück erinnert, der kennt die Essener Spielemesse als vergleichsweise Familien-Event: Mama, Papa, Kind schlenderten entspannt durch gefüllte, aber nicht überfüllte Hallen. Sogar Oma und Opa durften mit – beziehungsweise konnten es. Heute ist das Bild ein anderes: Den Großeltern muss man mit dem Messebesuch gar nicht erst ankommen – zu voll, zu viel, zu wild. Und selbst Mama und Papa überlegen zweimal, ob sie sich den Besuch mit Kleinkind an der Hand zumuten wollen – zu voll, zu viel, zu wild, zu teuer. 23 Euro zahlen Erwachsene regulär an der Tageskasse, das Dauerticket für alle Tage schlägt mit 59 Euro zu Buche. Wer als Familie einen Tag auf der Messe verbringen möchte, muss 56 Euro auf den Tresen legen – immerhin dürfen die Eltern dann aber bis zu drei Kinder oder Schüler mitnehmen. Der Kostenfaktor kommt bei dem Familienbesuch noch oben drauf. Deutlich sichtbar hat sich die SPIEL in Essen von einem Brettspiel-Event zu einer Mega-Veranstaltung entwickelt. Mit allen Vorteilen und Nachteilen, die ein solcher Prozess zwangsläufig nach sich zieht.
Und dennoch: Trotz spürbarem Messestress kommt ein Event wie die SPIEL in Essen nicht ohne den wirtschaftlichen Erfolg aus, insbesondere in Zeiten wie diesen. Den gestiegenen Ticketpreise auf der einen Seite stehen teils Kostenexplosionen auf Veranstalterseite gegenüber: Mieten, Personal, Logistik, Energie, Entsorgung – alles kostet mehr. Es ist dann vor allem der Erfolg, der eine Messe wie die SPIEL in Essen derartige Krisen überhaupt überstehen lässt. Als Besucher zieht man mit – oder man verzichtet. Die meisten ziehen mit. Darauf lassen zumindest die erwarteten Besucherzahlen schließen: 180.000 Fans erwartet der veranstaltende Friedhelm Merz Verlag an den vier Tagen in Essen. Keine neue Rekordzahl, vor dem Hintergrund der aktuellen Lage und nach überstandener Corona-Lage ist die angepeilte Zahl dennoch beeindruckend. Zum Vergleich: Zur Gamescom 2023 kamen nach Angaben der Koelnmesse auch „nur“ 320.000 Besucher.
Aus dem Erfolg entsteht Professionalisierung und daraus dann im Idealfall eine verbesserte Besuchererfahrung. Denn: Wer die SPIEL in Essen zu schätzen gelernt hat, kommt im nächsten Jahr wieder, oder lässt gut gelaunt einige Geldscheine an den Ständen der Händler. Oder beides. Ein deutlicherer Fokus auf Business mag nicht besonders sexy klingen, und nach Unbeschwertheit und Leichtigkeit klingt es ohnehin nicht, aber es sorgt dafür, dass Spielefans auch etwas geboten werden kann, das über die Angebote eines Spieletreffens oder einer Fans-Convention hinausgeht. Manches davon bleibt zunächst ungesehen: professionelle Strukturen sorgen letztlich auch für eine erhöhte Sichtbarkeit in den Medien. Spiele, Autoren, Verlage, Fans – auf sie alle wird der Blick gerichtet, wenn Presseabteilungen ihr Handwerk verstehen und richtig ausüben.
Professionalisierung und Business-Fokus bedeutet zudem Komfort: Auf die Premieren-Version der App im vergangenen Jahr folgt nun eine runderneuerte Software, mit mehr Funktionen, mehr Nützlichem, mehr Tamtam. Das Logo der Messe ist neu, die Webseite aufgefrischt, das Team aufgestockt, der Elan zu spüren. Die Pressekonferenz findet an einem neuen Ort statt, die Neuheitenschau ebenso. Das Geburtstagsprogramm steht, rund um die Spielepräsentationen gibt es ein buntes Programm, auch eine Neuauflage des „Educator’s day“, dem Tag, an dem Brettspiele als Fachthema verstanden werden. Ein bisschen Aufbruchsstimmung macht sich breit. Aber bitte nicht zu viel: Wie sehr die neue SPIEL gleichzeitig die alte ist, zeigt die ewige Sorge um den Standortwechsel – auch diesmal diskutierten Fans über die Frage, ob und wie lange die Spielemesse noch in Essen bleiben wird. Essen und Brettspiele – das gehört zusammen.
Die SPIEL’23 unterscheidet sich letztlich teils deutlich von den Vorgänger-Events. Es ist das erste Jahr ohne Dominique Metzler in der vorderen Reihe, auch das gehört zum Wandel der Messe. Ihr sei es gegönnt.
Und der Charme der „alten“ SPIEL? Den gibt es auch mit Neuerungen. Weder die neue Sortierung der Hallen nach Themen noch das fesche Maskottchen stehen dem Gefühl entgegen, das sich vor allem langjährige Fans in der Magengegend spüren, wenn sich am ersten Messetag die Türen öffnen. Dann wird gerannt, gesprungen und geschrien, der Platz an den Spieltischen ist teils heftig umkämpft in den frühen Minuten der Messe. In diesem Sinne: Wir sehen uns an den Tischen!