Die Geschichte hinter der SPIEL in Essen ist lang, fast 40 Jahre sind seit dem Debüt der damals Deutsche Spielertage genannten Veranstaltung vergangen. Heute sind die Internationalen Spieltage die weltgrößte Publikumsmesse für Gesellschaftsspiele. Der historische Rückblick zeigt: Es hat sich viel verändert. Was genau? Wenn jemand das wissen muss, dann Dominique Metzler. Wir haben nachgefragt.
Jährlich finden die Internationalen Spieltage – unter wechselndem Namen – in Essen statt, das galt bis zum Jahr 2020 als gesetzt. Die Coronavirus-Pandemie unterbrach die Serie, entsprechend gefeiert wurde das Comeback nur ein Jahr später. Für Gesellschaftsspieler sind die Essener Messehallen so etwas wie ein Wohnzimmer geworden. Jährlich im Oktober gibt es für viele ein Highlight: die SPIEL. Darauf ist Verlass. Eng mit den Internationalen Spieltagen verbunden ist der Bonner Friedhelm Merz Verlag, seit jeher Ausrichter jener Messe, die ihre Anfänge als völlig überlaufene Leserveranstaltung hatte.
SPIEL in Essen: Von Beginn an ein Erfolg
Im Jahr 1983 war der Autor dieses Beitrags zwei Jahre alt. Brettspiele waren noch kein Thema, eine Spielemesse sowieso nicht. Ändern sollte sich das knapp zehn Jahre später – da fand die SPIEL längst in der Messe Essen statt und hieß seit Jahren Internationalen Spieltage. Die erste Erfahrung: viele Menschen, viele große Menschen, viele lange Beine, viele Spiele. Schon für damalige Verhältnisse gab es in den Hallen (zu) viel zu gucken. Geändert hat sich das im Verlauf der vergangenen fast 40 Jahre nicht. Auch heute sind die Internationalen Spieltage ein Sammelsurium aus Spielwaren – faszinierend, aber auch anstrengend. Die halbe Woche SPIEL in Essen im Oktober ist kein Urlaub – man braucht danach Urlaub.
Über 200.000 Fans kamen zur letzten regulären Messe im Jahr 2019. Von einer weltumspannenden pandemischen Lage war noch keine Rede. Dicht an dicht drängten sich die Besucher, so wie immer, wenn sie in ihrem „Wohnzimmer“ unterwegs sind. Dass die Internationalen Spieltage heute die weltweit größte Messe für Gesellschaftsspiele sind, und damit sogar die ansonsten für ihre Superlativen bekannten Vereinigten Staaten um Längen schlagen, wird gern und oft vergessen. Fast 40 Jahre harte Arbeit stecken in dem Welt-Event. Das Hauptquartier: Bonn. Zum Start der SPIEL damals noch Bundeshauptstadt.
Mit rund einem Vierzigstel an Besuchern fing im Jahr 1983 alles an: „Deutsche Spielertage“ sollte es als Bonbon für die Leser einer Brettspielzeitschrift geben. „Eigentlich sollte das Treffen im Amerikanischen Club hier in Bonn stattfinden“, verrät Dominique Metzler, die seit 1996 an der Spitze des Friedhelm Merz Verlags steht. Weil die Leser sich damals voranmelden mussten, wurde schnell deutlich, dass die ausgesuchte Örtlichkeit deutlich zu klein sein würde. Ein Plan-B musste her.
„Da Friedhelm Merz viele Kontakte in die Politik hatte, hat er unseren damaligen Landesvater Johannes Rau gefragt, ob es irgendwo eine kostenfreie Location geben würde, die mehr als 700 Leute und die 12 exklusiv angesprochenen Aussteller fassen würde“, erzählt Metzler. Gemeldet habe sich der damalige Oberbürgermeister der Stadt Essen, Peter Reuschenbach. Er hatte Friedhelm Merz die Essener Volkshochschule kostenlos für ein Wochenende zur Verfügung gestellt. Dann kam der WDR und damit eine Popularität, die für das Debüt des spielerischen Lesertreffens unvorstellbar schien. „Durch eine Terminnotiz im Morgenmagazin des WDR 2, die ein frei dort mitarbeitender Leser und Spieler zugearbeitet hatte, wurde das Treffen landesweit bekannt“, erinnert sich Dominique Metzler. Aus Essen und dem Ruhrpott pilgerten an drei Tagen rund 5.000 Menschen nach Essen.
70 Journalisten und das Hausmeister-Telefon
Die weltweit größte Brettspiel-Messe war geboren, nur wusste das damals noch niemand. Ein Jahr später, 1984, sollte sich zeigen, wie groß das Interesse an Gesellschaftsspielen ist. Wieder „Messe“, wieder in der Volkshochschule. Diesmal sogar mit „Marketing“. Dominique Metzler erzählt: „Es wurde ein kleines Plakat gedruckt und im Vorfeld ein Pressegespräch mit den Zeitungen des Ruhrgebietes anberaumt.“ Längst hatte man in der Spielebranche Wind bekommen von diesem außergewöhnlich erfolgreichen Event im Herzen des Ruhrpotts. 66 Aussteller machten mit, in einer neu hinzugenommenen angrenzenden Schule fand man weiteren Platz für die Akteure.
Diesmal war es nicht mehr nur die Terminnotiz im WDR, die eine Runde machte. „Knapp 70 Journalisten drängten sich um das einzig vorhandene Telefon des Hausmeisters, um ihre Berichte abzusetzen“, erzählt Metzler heute. 15.000 Besucher sorgten für ein Verkehrschaos. Das gibt es auch heute noch – nicht alles hat sich in 40 Jahren SPIEL also verändert. Eines allerdings schon, und das war wegweisend: Die Volkshochschule sei aus allen Nähten geplatzt, für die Zukunft habe man ein größeres Quartier finden müssen, meint Metzler. Wieder hatte Essens damaliger Oberbürgermeister seinen Auftritt: „In dieser Situation machte Oberbürgermeister Peter Reuschenbach, der in diesem Amt zugleich auch Aufsichtsratsvorsitzender der Messe Essen war, Friedhelm Merz den Vorschlag, 1985 in die Messe Essen umzuziehen“. Das habe eigentlich niemand gewollt, weil die Spielertage zu diesem Zeitpunkt keine Messe werden sollten. Doch es kam bekanntlich anders – rückblickend: zum Glück!
Es sei eine riesige Herausforderung gewesen, so Dominique Metzler. „Niemand aus dem Merz Verlag hatte Messeerfahrung. Also Ärmel hochkrempeln und los. Learning by doing.“ Was dann folgte, passt nach Bonn so gut wie ins Ruhrgebiet: Jahrzehntelange harte Arbeit.
„Es war viele Jahrzehnte lang harte Arbeit aus der SPIEL das zu machen, was sie heute ist – eine internationale Weltleitmesse“, freut sich Metzler heute. „Zumal es damals die heutige Verlagsvielfalt gar nicht gab. Viele kleine Verlage sind durch die SPIEL gewachsen“. Internet? Gab es nicht. Online-Shops also auch nicht. Verkauft wurde von Angesicht zu Angesicht, sogar Brettspiele. Die Messe entwickelte sich zu einem Verkaufsmotor, den die Verlage entsprechend nutzten. „Viele Auflagen von Kleinstverlagen wurden fast ausschließlich auf der SPIEL verkauft“, so Metzler. „Ein erfolgreicher Messeauftritt auf der SPIEL war oftmals entscheidend für den Fortbestand und das Wachstum dieser kleinen Aussteller“. Die Internationalen Spieltage sind somit durchaus für jenen Erfolg verantwortlich, den heute namhafte Verlage haben: „Mir hat es immer extrem viel Freude bereitet zu sehen, wie aus Kleinverlagen über die Jahre mittelgroße und große Unternehmen wurden“, freut sich Dominique Metzler.
Mit der SPIEL muss der ausrichtende Friedhelm Merz Verlag in den vergangenen Jahrzehnte viel richtig gemacht haben. Was ist also die Magie hinter der Messe? „Magisch ist, glaube ich immer, die einzigartige Atmosphäre auf der SPIEL gewesen“, fasst Dominique Metzler zusammen. „Dieser Moment, wenn ein Besucher erstmalig die Hallen betritt und vom Angebot überwältigt wird. Auch das Gefühl unter so vielen Gleichgesinnten zu sein, die die Liebe zum Brettspiel verbindet und die in Essen ausgelebt werden kann.“
Meilensteine gab es im Verlauf der letzten fast 40 Jahre viele für die Internationalen Spieltage. Fünf davon sollte Dominique Metzler sich herauspicken – drei davon liegen dabei in den vergangenen zwei Jahren. Überraschend, und gleichzeitig ein Zeichen für die rasante Entwicklung der Veranstaltung, die sich an den gesellschaftlichen Gegebenheiten orientiert hat, orientieren musste.
„Der Umzug von der Volkshochschule in die Essener Messehallen, der vor allen Dingen auch finanziell gestemmt werden musste“, war laut Metzler der erste große Meilenstein für die SPIEL. „Der Tod von Friedhelm Merz 1996 und die große Verantwortung, die Rosemarie Geu und ich ab sofort alleine trugen“, erzählt Metzler, damals 33 Jahre jung und vor eine „große Herausforderung“ gestellt. Dann vergingen die Jahre, die Messe wuchs: 1998 zählte man noch unter 140.000 Besucher und 300 Neuheiten – fünfzehn Jahre später hatte sich deren Anzahl fast verdreifacht. Heute präsentieren Aussteller in der Spitze 1.500 Spielideen. Die Besucherzahl wuchs auf über 200.000 an. Nur Corona machte einen Strich durch die Rechnung. Auch ein Meilenstein, den Dominique Metzler nennt: „Das Erschaffen der SPIEL.digital in nur etwa drei Monaten im Jahr 2020“. Es ging nicht um die Qualität, sondern um die Leistung, die hinter dieser Alternative steht. Und dann: „Der äußerst gelungene Restart der SPIEL 2021.“
Zeit für Wehmut: „Meine Nachfolgereglung, die dieses Jahr mit dem Verkauf an die Spielwarenmesse eingeleitet wurde“, das ist der fünfte Meilenstein der Internationalen Spieltage. Einer von Bedeutung: für die Messe, aber auch für Dominique Metzler persönlich. Aus Altersgründen hatte sie die SPIEL in neue Hände geben wollen, verriet Metzler gegenüber der Deutschen Presseagentur. Das passiert aber nicht über Nacht: in Bonn hält man weiterhin die Hand über der Messe. Der Rahmen allerdings hat sich verändert.
SPIEL: „in den letzten Jahren förmlich explodiert“
So wie die Macher der SPIEL und die Messe selbst, haben sich auch die Besucher im Laufe der Jahrzehnte verändert. „Wie schon erwähnt, ist die Szene eine ganz andere geworden“, meint Dominique Metzler. „Über die Jahrzehnte sind immer mehr Verlage entstanden. Vor allen Dingen auch Verlage, die Vielspieler bedienen“. Das habe es früher in dieser Intensität nicht gegeben. „Nach und nach wurde die Branche immer internationaler.“
Heute verkauften Verlage ein erfolgreiches Spiel fast automatisch auch in viele andere Länder, so Metzler. Auch im Ausland seien überall auf der Welt Spieleverlage entstanden. Diese präsentierten sich dann auf der SPIEL. „Und so ist die Messe gerade in den letzten Jahren förmlich explodiert.“
Wie sehr Gesellschaftsspiele die Gesellschaft widerspiegeln, macht Dominique Metzler übrigens an einem simplen Beispiel fest: „Wenn ich vor 30 Jahren in die Messehallen geschaut habe, sah ich überwiegend männliche Besucher zwischen 40 und 50 Jahren“. Heute sei das ganz anders. Die Besucherstruktur sei deutlich bunter geworden. „Man sieht überwiegend junge Menschen. Frauen und Männer, aber auch Familien mit ihren Kindern. Und das zeigt: Spielen ist absolut in der Gesellschaft angekommen.“ Spiele seien ein Instrument, „das uns verbindet – kulturell und generationenübergreifend“. Metzler: „Ein wichtiger Spiegel unserer Gesellschaft.“
Den Spiegelglanz zu erhalten, wird jetzt schrittweise die Aufgabe für die nächste Generation. Eingeläutet worden ist der Prozess durch die Übernahme des Friedhelm Merz Verlags durch die Nürnberger Spielwarenmesse eG bereits. Aber: Metzler und ihr Team in Bonn organisieren weiter, stehen weiterhin dafür, den Charakter der Internationalen Spieltage zu formen – bis irgendwann andere übernehmen. Dominique Metzler, dann im wohlverdienten Ruhestand, weiß heute schon „ihre“ Messe in guten Händen. Was auch immer in den nächsten 40 Jahren passieren wird, der Blick in die Glaskugel verrät: „Die SPIEL wird auch zukünftig weiterwachsen. Ich sehe vor allen Dingen eine noch größere Messe, die sich ständig weiterentwickeln wird“, orakelt Metzler.
Die nächste Chance haben die Internationalen Spieltage dazu vom 6. bis 9. Oktober 2022 – natürlich in Essen.
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