Bekannterweise halten sich die Erwartungen bei Indie-Spielen immer etwas zurück. Zu groß ist die Angst, von kleinen Entwicklern zu großes zu erwarten. Mit The Universim haben Crytivo, die Macher des Spiels, allerdings einen ziemlichen Kracher hingelegt. Ein strategisches Simulationsspiel, welches eine Tiefe bietet, wovon sich einige AAA-Entwickler noch eine dicke Scheibe abschneiden können. Wer sich für die Evolution der Menschheitsgeschichte interessiert, wird so schnell nicht die Finger von The Universim lassen können.
Die Evolution noch einmal zurückspulen und nach eigenen Wünschen neu gestalten? Das mag sich auf den ersten Blick zwar nur nach dem feuchten Traum vieler Historiker anhören, mit The Universim kann dieser jedoch (zumindest ein kleines bisschen) real werden. Zahlreiche Möglichkeiten und eine einzigartige Detailverliebtheit zeichnen dieses Spiel aus. Begleitet wird man während dieses Spiels mit einer sarkastisch angehauchten Hintergrundstimme, die das Spiel definitiv auf eine neue Humor-Ebene hievt.
Mit Amors Pfeil die Evolution vorantreiben
Das Spiel beginnt, wie sollte es anders sein, mit zwei kleinen Wesen. Ein Mann und eine Frau. Diese Wesen haben zwar alle ihren eigenen Namen, werden übergreifend jedoch als „Nuggets“ bezeichnet. Warum? Das wissen wohl nur die Entwickler selbst. Zum Hinterfragen hat man ohnehin keine Zeit, da man als Schöpfer dieser Spezies direkt zu Beginn einige Aufgaben zu erledigen hat. Die Nuggets wissen ja logischerweise gar nicht, wohin mit sich.
Da das Spiel mit nur zwei Nuggets beginnt, ist das Spielgeschehen demgemäß sehr überschaubar. Bis auf das Bauen kleinerer Gebäude ist erst mal nicht mehr möglich. Wie auch, wenn einem nur vier Hände zur Verfügung stehen. Da wäre es doch ziemlich praktisch, wenn man sich „kleine“ Helfer dazuholen könnte. Dafür müssen sich Mann und Frau allerdings erst einmal ganz doll lieb haben und das ist natürlich nicht immer der Fall.
Wenn die Nuggets nicht wollen, muss man manchmal nachhelfen. Als Schöpfer ist es deine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich die Menschheit stetig weiterentwickelt. Wie das funktioniert, erfährt man spätestens in der Pubertät. Da man es hier zu Beginn allerdings mit etwas, nun ja, „primitiveren“ Wesen zu tun hat, schadet ein bisschen Hilfestellung nicht. Mithilfe seiner göttlichen Kräfte hat man Einfluss auf das Verhalten der einzelnen Nuggets und kann evtl. dafür sorgen, dass sich zwei Nuggets ineinander verlieben.
Haben sich die Nuggets also erfolgreich gepaart, ist das daraus folgende Ergebnis auch direkt zu bestaunen. Zwei kleine Mini-Nuggets, die zu Beginn zwar nicht sonderlich viel Kraft haben, jedoch genug, um gleich mit anzupacken und die Zivilisation voranzutreiben. Das benötigte Wasserwerk sowie der Unterschlupf bauen sich schließlich nicht von allein.
Forschen, um Fortschritte zu machen
Die Nuggets sind lernfähig, Gott sei Dank. Ansonsten würde man evolutionstechnisch wohl keine Fortschritte machen können. Das Erbauen von Gebäuden gehört wohl zu den Grundpfeilern unseres Daseins, da ohne diese ein zivilisiertes Leben kaum möglich wäre, weder heute noch vor 2,5 Millionen Jahren. Damit das aber gelingt, müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt sein. In The Universim kann man nicht alle Gebäude und Anlagen direkt gebaut werden, sondern müssen sich „freigespielt“ werden. Und das kann, je nach Spielstil, eine ganze Weile dauern.
Das ergibt irgendwo auch Sinn, denn wie soll ein Nugget eine Batterie bauen, wenn es nichts von Elektrizität versteht. Hier gilt es also, sich Stück für Stück durch die einzelnen Fertigkeiten durchzuarbeiten und somit die Evolution, wenn auch nur sehr, sehr langsam, nach vorn zu bringen. Die richtige Strategie und Herangehensweise sind hierfür entscheidend.
Gegen die Gezeiten ankommen
Bekanntermaßen hat ein Jahr insgesamt vier Jahreszeiten: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. So auch in The Universim. Jede dieser Gezeiten bringt ihre eigenen Herausforderungen mit sich. Während die warmen Jahreszeiten wie der Frühling oder Sommer relativ entspannt sind, kann sich der Winter zu einer echten Mammutaufgabe entwickeln. Seen sind zugefroren, Nuggets erfrieren, weil sie das mit der Kälte nicht schnallen und in puncto Elektrizität kann’s auch schwierig werden.
Und gerade wenn man denkt, man hat den Winter überstanden, stehen die nächsten Umweltkatastrophen vor der Tür. Regenstürme, Tornados und Waldbrände stellen eine immense Gefahr für „deine“ Spezies dar und sollten mit aller Macht bekämpft werden, oder?
Nun ja, man ist immerhin der Schöpfer des Ganzen hier und hat auf so ziemlich alles Einfluss, worauf man Einfluss haben kann. Umweltkatastrophen und sonstige Ereignisse müssen nicht immer auf Zufall basieren. Als Spieler kann man diese auch ganz bewusst herbeirufen. Einmal kurz durch das Schöpfer-Menü gescrollt und zack, Erdbeben! Sollte man sich also während des Spiels als kleiner Sadist entpuppen, ist das überhaupt kein Problem, also ingame, versteht sich.
Bei den ganzen Optionen, die The Universim einem bietet, vergisst man schnell, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: die Weiterentwicklung der Welt sowie deren Bewohner. Als Spieler sollte man immer ein wachsames Auge auf alle möglichen Vorgänge haben. Gebäude müssen regelmäßig repariert, Nuggets geheilt und Außerirdische bekämpft werden. Moment? Außerirdische? Ja, auch die gibt es und nicht immer kommen sie in Frieden.
Nicht allein
Als ob das Spiel nicht schon genügend Reizüberflutungen zu bieten hat, gibt es nun auch noch Besucher von außerhalb, welche dem Spieler in ihren fliegenden Untertassen einen Besuch abstatten. Wenn man allerdings glaubt, sie sind einem wohlgesonnen und möchten einfach nur einen kleinen Tratsch über Weltraumschrott oder die steigenden Mietpreise halten, liegt man hier völlig falsch.
Stattdessen kommen sie mit einer Bitte, und zwar hat diese häufig mit der eigenen Bevölkerung, der Nuggets, zu tun. Diese möchten sie nämlich für ihre eigenen „Experimente“ mitnehmen. Die Entwickler geben hier einem selbst die Wahl. Weicht man den Konfrontationen aus und überlässt den Außerirdischen große Teile der eigenen Spezies oder verneint man deren Angebot. Entscheidet man sich für letzteres, kann aus dem sonst so ruhigen Planeten ein ziemlich großes Schlachtfeld werden.
The Universim hat ein Talent dafür, Spieler für mehrere Stunden an sich zu fesseln, da es immer wieder neue Dinge zu erforschen gibt und das Dorf oder die Stadt immer auf Trab gehalten werden muss. Dazu kommen noch die Nuggets, welche auch alle ihre eigenen Sorgen und Probleme haben. Man fühlt sich für seine eigene Spezies halt doch irgendwie verantwortlich, ob man will oder nicht.
Die Freiheit, die einem als Spieler zuteilwird, macht The Universim aus. Es macht einfach Spaß, ein eigenes Ökosystem zu erschaffen und dieses immer weiter auszubauen. Auch die kleinen Side Quests, die immer wieder am Bildschirmrand aufploppen, sind Fluch und Segen zugleich. Zum einen halten sie einen bei Laune, zum anderen machen sie es einem schwer, das Spiel aus der Hand zu legen. Win-win-Situation für die Entwickler kann man so sagen. Dinge wie Bugs oder Grafikfehler schleichen sich in dem Spiel so gut wie gar nicht ein. Bis auf ein paar Lags im Ladebildschirm läuft das Spiel wie aus einem Guss.
Infobox
Spielerzahl: Singleplayer
Alter: ab etwa 12 Jahren (keine offizielle USK)
Schwierigkeit: Mittel
Langzeitmotivation: Hoch
Genre: Simulationsspiel
Untergenre: Strategie- und Planspiel
Entwickler: Crytivo
Publisher: Crytivo
Offizielle Website: Link
Erscheinungsjahr: 2024
Plattformen: PC, (Playstation und Xbox stehen noch aus)
Sprache: Deutsch (Audio nur auf Englisch verfügbar)
Kosten: 27,99 €
Fazit
Wenn man The Universim mit einem Wort beschreiben müsste, wäre es wahrscheinlich „detailverliebt“. Das Spiel ist in seinen Möglichkeiten so unbegrenzt, dass einem schon schwindelig wird, wenn man sich nur durch die verschiedenen Bauoptionen oder das Schöpfer-Menü klickt.
Obwohl das Ziel des Spiels so klar und „vorhersehbar“ ist, spart es nicht mit Überraschungen und Wendungen, die einen nicht nur einmal verzweifeln lassen. Seien es die Umweltkatastrophen, die Gezeiten, die Aliens oder auch die Nuggets selbst, welche einem das Spiel schwer machen. Zwar können all diese Dinge frustrieren, jedoch sind es genau sie, die The Universim zu dem machen, was es ist: einfach ein geiles Spiel!
The Universim ist so gut, dass man immer wieder vergisst, dass es ein „nur“ Indie-Spiel ist. Ein paar wenige Minuten reichen, um zu erkennen, dass es sich hier um ein besonderes Spiel handelt. Es hat Witz, Struktur, schwierige und leichte Phasen. Es unterscheidet sich daher auch ein wenig von anderen Simulationsspielen. Häufig sind diese zu monoton und auf Dauer langweilig, bieten wenig Abwechslung und wirken repetitiv. Für Taktik- und Strategiefüchse, die es etwas actiongeladener und spannender mögen, wirkt The Universim hingegen wie das lang ersehnte Kaltgetränk, welches nach einer weiten Durststrecke durch die sonst so leere Simulations-Sahara auf einen wartet.