Feuerland Spiele entführt uns in das Jahr 1851 auf die Weltausstellung in London. Dies war die erste Industrieausstellung, die im Hyde Park auf einer Fläche von 10,5 Hektar (=105.000 m2) stattfand. 1851 nahmen 28 Länder und 17.062 Aussteller teil. Präsentiert wurden Güter und handwerkliche Produkte aller Art, Maschinen und Produktionsmethoden und sogar Bodenschätze und bildende Kunst. Unsere Autorin Nicole hat sich Crystal Palace angeschaut und verrät in ihrer Brettspiel-Rezension, weshalb dieser Dice-Placement-Titel trotz Nostalgiefaktor erfrischend anders ist.
Das Spiel „Crystal Palace“ ist für zwei bis fünf Spieler ab 14 Jahren. Die Spieler übernehmen die Rollen von Repräsentanten der einzelnen Länder. Die Aufgabe dieser ist es, die Ausstellung vorzubereiten und hierfür die Werbetrommel zu rühren, sich mit einflussreichen Personen zu verbünden und am Ende die spektakulärsten Erfindungen vorweisen zu können. Wer wird am Ende auf der Ausstellung den meisten Rum ernten?
Spielen auf einer beeindruckenden Spielauslage
In Crystal Palace spielen wir auf acht verschiedenen Ortsplänen. Es gibt das Patent Office, in diesem können wir Patente kaufen, das British Museum dort erhalten wir die neusten Forschungsergebnisse, die Bank of England hier können wir Aktien erwerben. Im Westminster können wir Einfluss gewinnen, im Reform Club können wir einflussreiche Persönlichkeiten anwerben. Die London Times hier können wir Werbung für unseren Teil der Weltausstellung platzieren, im Port of London erhalten wir Ressourcen und können Arbeiter (Würfel) anwerben und in der Waterloo Station können wir Nachschub an Energie besorgen und Werbung zur raschen Verbreitung verhelfen.
Hinzu kommen die Tableaus des Black Market und das Verwaltungstableau. Der Black Market verhilft den Spielern zu Ressourcen (Zahnräder), Energie, Geld, Zeitungen, Einfluss im Westminster oder Vorwärtskommen auf dem Verwaltungstableau. Auf dem Verwaltungstableau befindet sich die Einkommensleiste, die das Rundeneinkommen der Spieler festlegt, die Buzzleiste, die Euren Fortschritt bei den Werbeaktionen festhält und außen um das Verwaltungstableau ist die Siegpunktleiste platziert.
Wir brauchen also einen großen Tisch, um die vielfältigen Tableaus unter zu bringen. Das Spielmaterial ist sehr wertig und es kommt sofort eine großartige Atmosphäre am Spieltisch auf. Man kann sich wunderbar in die Szenerie einfinden.
Interessanter Spielemechanismus: Spannung ist garantiert
Interessant ist der Spielemechanismus mit den Würfeln. Diese werden nicht geworfen, um die Zahlenwerte zu ermitteln. Sondern jeder dreht die Würfel auf die Seite, die er möchte. Dies wird versteckt hinter einer kleinen Kiste getan. Haben sich alle Spieler entschieden werden die Würfel aufgedeckt. Nun muss jeder Spieler Geld in Höhe der Würfelaugen bezahlen. Dreht man die Würfel also auf hohe Augen, benötigt man mehr Geld.
Geld ist in diesem Spiel eine Ressource, die sehr knapp ist und die Beschaffung von neuem Geld ist oft sehr aufwendig. Es ist jede Runde erneut sehr spannend für welche Würfelwerte die Mitspieler sich entscheiden. Der Mitspieler mit der höchsten Augensumme wird Startspieler. Der Mitspieler mit der niedrigsten Augensumme bekommt eine Zeitung umsonst. Zeitungen kann man zum Eintauschen nutzen. Für eine Zeitung bekommt man z.B. 1 Pfundnote oder für vier Zeitungen erhält man einen zusätzlichen Würfel. Würfel hat man zu Spielbeginn 4 Stück zur Verfügung und kann während des Spiels noch zwei Würfel zusätzlich erhalten.
Die erste Partie Crystal Palace mit vier Spielern hat sich bei uns sehr lange hingezogen. Schon das Regelstudium hat fast eine Stunde eingenommen. Diese Mühe lohnt sich aber. Es gibt sehr viele Aktionsmöglichkeiten und Strategien, die man wählen kann. Das Spiel bleibt die ganze Zeit spannend und selbst die Wartezeiten kann man gut nutzen, um seinen nächsten Zug zu planen, sodass es einem nie langweilig wird. Auch wenn man nicht immer einschätzen kann, was die Mitspieler als nächstes vorhaben.
Steht der Startspieler fest beginnt dieser einen seiner Würfel auf den Tableaus einzusetzen und die anderen Spieler folgen im Uhrzeigersinn. Die Plätze pro Tableau sind begrenzt und nicht jeder Würfel, der eingesetzt wird, kann später eine Aktion ausführen. Der Spieler dessen Würfel am weitesten links auf einem Tableau liegt darf sich zuerst eine Aktion auf dem Tableau aussuchen und den Würfel entsprechend verschieben. Die Plätze weiter links erfordern daher höhere Augenzahlen.
Auf dem Black Market gibt es noch eine wichtige Besonderheit. Sind hier alle Plätze durch eingesetzte Assistenten belegt, kommen die Bobbies und sprengen den Black Market. Das heißt, alle Spieler bekommen ihre Assistenten zurück mit Ausnahme dem Spieler, der den letzten Assistenten eingesetzt hat. Eine wunderbare Möglichkeit die Mitspieler zu ärgern. Zieht man auf dem Black Market freiwillig einen Assistenten um eine Stufe runter, so erhält der betreffende Spieler ein Zahnrad. Dies gilt aber nur für die Stufen, die im gelben Banner angezeigt werden.
Auch auf dem Verwaltungstableau gibt es eine wichtige Besonderheit. Auf der rechten Seite des Tableaus befindet sich die Einkommensskala. Hier müssen die Spieler in Phase 6 nach dem Erhalten ihres Einkommens ihren Marker um 3 Felder nach unten versetzen. Somit ist man das ganze Spiel über bestrebt wieder auf dieser Leiste weiter nach oben zu kommen, da sonst das Einkommen gegen Null schrumpft. Auf den unteren Feldern der Einkommensskala muss man sogar Siegpunkte abgeben oder Geld bezahlen.
Gut austarierter Spielablauf
Großartig ist, dass in diesem Spiel alles wunderbar funktioniert und ineinandergreift. Alle Mechanismen spielen sich gut und ausgeglichen. Die Aktionen auf den Tableaus sind durch eingängige Grafiken abgebildet, auch auf den Karten sind alle Kosten und Funktionen gut verständlich dargestellt. Man findet sich trotz der Komplexität schnell zurecht und muss nicht all zu viel in der Regel nachlesen, wenn man sich mit den Symbolen vertraut gemacht hat.
Die Siegpunkte der Patentkarte sind im Übrigen abhängig von der Runde, in der man den Prototypen baut. Das bringt Spannung ins Spiel – da man beim Erwerb der Karte oft nicht abschätzen kann, wann man die benötigten Ressourcen zur Verfügung hat, um den Prototypen auch zu bauen. Beim Erwerb von Personenkarten ist darauf zu achten, dass die Personen jede Runde Gehaltsforderungen haben, die der Spieler erfüllen muss. Die Höhe der Gehaltsforderung wiederum hängt von der Position der Spielfigur auf der Leiste im Westminster ab.
Infobox
Spielerzahl: 5 Spieler
Alter: ab 14 Jahren
Spieldauer: 60-150 Minuten
Schwierigkeit: schwer
Langzeitmotivation: gut
Verlag: Feuerland
Autor: Carsten Lauber
Illustratorin: Andrea Alemanno
Erscheinungsjahr: 2019
Sprache: deutsch
Kosten: 40 Euro
Fazit
Carsten Laubers Dice-Placement-Brettspiel besticht zunächst durch sein Thema. Die Weltausstellung als Setting für ein Spiele zu nehmen ist nicht neu, funktioniert jedoch und lockt mit nostalgischem Charme. Gar nicht altbacken ist Laubers Kniff, die Glückabhängigkeit bei Dice-Placement-System weitestgehend zu eliminieren. Der Clou: Bei Crystal Palace werden Würfel nicht geworfen – stattdessen suchen Spieler sich die Augenzahlen einfach aus. Um das spielerische Gleichgewicht dennoch zu wahren, muss die Differenz der Augenzahlen in Geld aufgewogen werden; weil Ressourcen aber stets knapp bemessen sind, will die Entscheidung weise getroffen werden. Beliebig fühlt sich das in der Folge nicht an.
Frust kommt durch die Ressourcenknappheit aber nicht auf. Der Grund dafür ist so simpel wie funktional: jederzeit dürfen Spieler bei Crystal Palace ihre Geldvorräte durch Kredite füllen. So entstehen Schulden, aber auch ausreichende Handlungsoptionen. Wie immer gilt bei derartigen Spielen: Was kurzfristig belohnt wird, wird am Ende bestraft. Der Kampf um Punkte ist beim Mangelspiel à la Crystal Palace immer auch ein Spiele gegen Minuspunkte.
An viele Stellen darf und muss optimiert werden, hinzu kommen Entscheidungen mit Tragweite, weil man als Spieler niemals alles umsetzen kann. Das macht Spaß und ist in hohem Maße interaktiv. Ohnehin wird Interaktion bei Crystal Palace großgeschrieben, bei einem Dice-Placement-Brettspiel ist das nicht selbstverständlich. Etliche Genre-Vertreter setzen auf Konzepte, bei denen Spieler nebeneinander her agieren, sich zwar gelegentlich in die Quere kommen, das aber kaum relevant ist. Nicht so bei Carsten Laubers Umsetzung, die spielerisch rund und optisch wir aus einem Guss wirkt.
Es gibt in Crystal Palace jede Menge zu beachten und zu berücksichtigen, um allem möglichst gut gerecht zu werden. Sehr schnell übersieht man etwas, das sich dann als Nachteil auswirkt. Und auch die Mitspieler können einem immer wieder einen Strich durch die Rechnung machen. Die Spannung bleibt durchgehend bis zum Schluss erhalten. Ein tolles und komplexes Werk von Autor Carsten Lauber, der bisher nur wenige Spiele veröffentlicht hat.