Aus dem Fußball kennt man es ja: Selbst die Größten müssen irgendwann gehen. Für EA Sports FIFA-Reihe ist das Ende gekommen, zumindest unter der Flagge von Electronic Arts, denn die Namensrechte darf der Publisher für das nun erschienene FIFA 23 zum letzten Mal nutzen. Immerhin: Man trägt eine der am längsten laufenden Videospielreihen mit Pauken und Trompeten zu Grabe. Auch das kennt man aus dem Fußball: Man soll bekanntlich aufhören, wenn es am schönsten ist.
Wie es mit Electronic Arts Fußballreihe genau weitergeht, weiß man nicht. Was man allerdings bereits weiß, ist, dass es weitergehen wird – und zwar mit lizensierten Inhalten. Nur FIFA wird die Reihe ab dem nächsten Jahr nicht mehr heißen. Das Rechte-Gerüst um die populären Fußballigen sowie deren Verein und Spieler ist mindestens kompliziert, teils undurchsichtig. Gut, dass man es noch verschieben kann, sich damit ausführlicher beschäftigen zu müssen.
Dieses Jahr ist es einfach: Jetzt ist FIFA 23. Und die Entwickler bei EA Vancouver haben ordentlich an den Stellschrauben gedreht, um zu zeigen, was in der Sportspielreihe steckt – und womöglich auch, um Fans schon jetzt zu zeigen, dass die Zukunft eine strahlende sein wird.
Hypermotion 2: Besser!
Bloßes Daten-Update mit neuen Kadern und etwas Grafikpolitur – so hat man die Fußballspielreihe in den vergangenen Jahren wahrgenommen. Auch dieses Jahr gibt es natürlich zahlreiche Datenaktualisierungen, aber FIFA 23 ist weitaus mehr als das. Sogar eine Premiere gibt und die spiegelt eine konsequente – und längst überfällige – Entwicklung in der Games-Branche wider: es braucht nicht nur mehr Frauen, sie müssen auch ernst genommen werden. Electronic Arts packt bei FIFA 23 erstmals zwei komplette Frauen-Ligen ins Spiel. In England und Frankreich darf man sich austoben, deutsche Ligen sind zumindest dieses Jahr noch nicht dabei. Das wird sich dann mit dem Debüt von EA Football ändern.
Insgesamt ist auch FIFA 23 natürlich deutlich als Ableger der FIFA-Reihe erkennbar. Bei den grundlegenden Spielmodi gibt es keine Überraschungen. In den Menüs schmettern die Entwickler den Fans manchmal mehr manchmal weniger coole Songs um die Ohren. Auf den ersten Blick hat sich auch auf den Platz wenig bis nichts getan. Doch das täuscht. Die Entwickler haben für FIFA 23 an der KI geschraubt und einige optische Leckerbissen eingebaut. Sich verbiegende Finger bei den Torhütern mag sich lesen wie eine Kleinigkeit, doch der Atmosphäre dient es enorm.
Deutlich dynamischer
Ohnehin ist die gesamte Kollisionsabfrage spürbar besser geworden, oft fast auf den Punkt. Die Zweikämpfe macht das authentischer. Dynamischer wird es dank der Hypermotion 2-Technologie. Endlich ist der Schritt hin zu einem besseren Spielgefühl auf dem Rasen auch zu spüren und nicht mehr bloß Marketing-Geschwätz. Die Animationen der Spielerinnen und Spieler sind besser, die Physik ebenso, auch die des Balles. Schon das führt dazu, dass sich FIFA 23 runder anfühlt als seine Vorgänger.
Eine Herausforderung dürften hingegen die Auswirkungen des Machine Learnings werden, denn unter anderem die Verteidiger lernen ihre Opponenten nun im Laufe der Zeit kennen. Dieses Jahr sind die erhobenen Datenmengen größer, was feinere Abstimmungen zulässt. Agile Trickser im Angriff durchschaut die Künstliche Intelligenz zügig und passt sich an. Dieser fast schon „menschliche“ Kniff fühlt sich gut an. Unklar ist allerdings, wie sich das auf den Modus Ultimate Team auswirken wird, denn Balancing-Probleme scheinen sich bereits anzukündigen. Hier gilt es die kommenden Wochen und Monate zu beobachten, ob und wie sehr sich KI-Veränderungen tatsächlich auswirken werden.
Identitätskrise
Der Kontrast zwischen dem aktuellen Teil und dem Pixel-Debüt der Marke im Jahr 1993 ist extrem: an Electronic Arts Fußballspielreihe lässt sich der technologische Fortschritt perfekt nachzeichnen. Fast 30 Jahre nach der Erstauflage endet mit FIFA 23 nun eine Ära. Publisher Electronic Arts verabschiedet die Reihe würdevoll, aber es bleibt mal wieder Raum für Verbesserungen. Dass FIFA 23 auf einen Story-Modus verzichten würde, war klar – allerdings hat man insgesamt beim Einstieg die Schere angesetzt. Der Start fällt deutlich nüchterner aus als noch beim Vorgänger. Stattdessen gibt es ein etwas plump umgesetztes „Training“ , wahlweise mit Sam Kerr oder Kylian Mbappé. Klar, die Fußballfrauen rückt man so von Beginn an ins Zentrum, das hätte aber deutlich charmanter ausfallen dürfen.
Ohnehin scheint die FIFA-Reihe trotz namhafter Coverstars und der Inszenierung echter Fußballer im Laufe der Jahre ein Identitätsproblem bekommen zu haben. Denkt man an die Anfänge zurück und an die Vielfalt bei den jährlichen Starauftritten, so ist es inzwischen eher langweilig: Man bedient sich bei den Weltfußballern, verwurstet Lionel Messi jahrelang, und nutzt auch Cristiano Ronaldo und nun Mbappé zum wiederholten Mal. Damals war es „bunter“: Von David Platt über Olaf Thon bis hin zu Lukas Podolski hat man die Welt des Fußballs abgebildet – sich Ikonen auf die Titel geholt, die gut bis hervorragend waren, nicht immer aber Topstars. Ein bisschen so ist es mit FIFA selbst geworden – das Spiel hat sich abgenutzt.
Spaß mit Pfiff
Spaß macht es trotzdem, vor allem wenn der Anpfiff erfolgt ist. Ein besseres Ballgefühl gab es nie auf dem virtuellen Rasen. Hinzu kommt die Rückbesinnung bei Freistößen und Ecken. Hier lässt sich eine Menge anstellen, um den Ball kunstvoll in den Winkel oder den Strafraum zu zimmern. Auch der neue Powerschuss hat es in sich, entsprechend lang fällt aber auch die Vorbereitung aus. Das Ding in den Kasten zu hämmern, ist dabei gar nicht so leicht, denn in einem Großteil der Fälle fliegt der Ball einfach weit über oder neben das Tor. An den Schusstechniken können Spieler nun aber wieder feinjustieren, denn mittels Mini-Grafik lässt sich einstellen, wo man den Ball trifft und welche Flugbahn die Kugel einnehmen wird. Klasse! Landet einer der Kunstschüsse dann tatsächlich im Netz, ist die Freude umso größer. Überwiegend wird man allerdings auch bei FIFA 23 Standard-Tore erzielen, durch gefährliche Pässe in die Spitze, Kraftschüsse aus sieben Metern Entfernung oder durch Dribblings durch den Sechzehnmeterraum.
Immerhin: Die Entwickler bilden ab, was auf dem Rasen passiert. Spieler grätschen tiefe Furchen in das Grün. Die bleiben bis zum Ende der Partie sichtbar, sodass der Rasen nach 90 Minuten meist ganz schön mitgenommen aussieht. Ganz so simpel spielt sich FIFA 23 aus Sicht der Angreifer übrigens nicht mehr, denn die Defensive KI ist durchaus clever. Die Computerspieler helfen mit, gegen trickreiche Dribblings sehen sich aber dennoch alt aus. Und auch die besonders schnellen Sprinter sorgen für so manches Ungleichgewicht. Dennoch: FIFA 23 hat wieder deutlich an Simulationscharakter hinzu gewonnen, mit entschleunigtem Spieltempo. Das gefällt!
Vor allem in Verbindung mit der Präsentation kommt Stimmung auf. Lattenkracher, Pfostentreffer, Brutalo-Ball im Netz – das alles fühlt sich wuchtig an. Und ja, auch FIFA 23 ist teilweise noch „arcadig“, allerdings weitaus weniger als seine Vorgänger. Es scheint, als hätten die Entwickler zum Ende der Namensserie den Königsweg zwischen Action-Fußball und Simulation gefunden. So rund hat sich in der Fifa-Reihe wieder das Leder noch das Spiel-Feeling jemals zuvor angefühlt.
Ansonsten haben die Entwickler ein Rundum-sorglos-Paket geschnürt: Trainings, Übungsspiele, Turnieren, Pro Club, Ultimate Team, auch die umstrittene Wüsten-Weltmeisterschaft ist zumindest zukünftig Teil des Angebots. Im Karrieremodus gibt es neue Details, aber auch den schnöden Social-Media-Mist aus den Vorjahren sowie die Reality-Show-Ansätze. So richtig warm wird man abseits der Stadien nicht mit den Ideen. Richtig gut ist hingegen die Idee, Star-Trainer als Vorbilder zu nutzen, die der Spielleitung ihre Stempel aufdrücken, einzig deutsche Fans schauen etwas in die Röhre, denn nu der BVB-Coach ist dabei. Job an der Seitenlinie, Platz auf dem Rasen – der Modus bietet Optionen. Das fühlt sich in den jeweiligen Spielsituationen sogar stimmig und halbwegs realistisch an. Gelungen sind im Karrieremodus zum die drei Charakterkategorien mit Entwicklungsmöglichkeiten bei Freigeist, Disziplin oder Teamwork, die dann unter anderem durch Aktionen auf dem Rasen verändert werden. Die Karriere spielt sich dadurch deutlich interessanter, mit kleinen Anleihen an einen echten Rollenfortschritt.
FIFA-Ultimate-Team ist natürlich dabei und ein Zentrum von FIFA 23. Auf die Gelddruckmaschine wollte Electronic Arts aus nachvollziehbaren Gründen nicht verzichten. Spannend ist es immer wieder, die erreichten Pakete zu öffnen in der Hoffnung, dass sich in den virtuellen Wundertüten ein Starspieler versteckt. Das ist allerdings selten der Fall, entsprechend teuer kann es werden, wenn man Echtgeld investiert. Auch die Kritik, die der Modus regelmäßig erntet, ist damit nachvollziehbar.
Wer den schnellen Action-Kick bevorzugt, spielt einfach Volta. Der Modus um den Kleinfeldfußball ist auch diesmal vertreten – und macht Spaß. Den Story-Modus bei Volta gibt es auch auch in der diesjährigen Auflage wieder nicht, was schade ist. Immerhin: die Klamotten sind teils derart abgedreht, das man sich damit gern präsentiert. Am Ende ist FIFA 23 nicht der ganz große Wurf, aber ein tolles Gesamtpaket, das vor allem dann spielerisch überzeugt, wenn man tatsächlich gegen die Pille treten darf.
Infobox
Spielerzahl: Singleplayer, Multiplayer
Alter: ab 12 Jahren
Schwierigkeit: mittel
Langzeitmotivation: hoch
Genre: Sportspiele
Untergenre: Fußball-Simulation
Entwickler: EA Vancouver
Publisher: Electronic Arts (EA Sports)
Offizielle Website: Link
Erscheinungsjahr: 2022
Plattformen (Testsystem): PC, Playstation 4, Playstation 5, Xbox One, Xbox Series X|S, Nintendo Switch (Legacy-Edition)
Sprache: deutsch
Kosten: ab 59,99 Euro
Fazit
Die Entwickler haben sich alle Mühe gegeben, die FIFA-Reihe unter der Fuchtel von Electronic Arts zu einem würdigen Abschluss zu bringen. Raus mit Applaus, würde man als Fußballfan sagen. FIFA ist so etwas wie der FC Bayern München der Fußballsimulationen: Nie so richtig sexy, aber konstant erfolgreich.
Auch FIFA 23 ist streckenweise ein gutes, teils hervorragendes Sportspiel, insgesamt gibt es allerdings auch fragwürdige Entscheidungen. Volta ist kaum nennenswert überarbeitet worden, Geschichten gibt es im ganzen Spiel nicht. Das macht den neuen FIFA-Ableger ziemlich mechanisch: Irgendwie durchs Menü klicken, um zum nächsten Anpfiff zu kommen. Ab dann macht FIFA 23 allerdings richtig Spaß – das entschleunigte Spielkonzept zeigt einen Fußball, der relativ nah herankommt an den echten Kick.
Und noch etwas ist ewig nervig: die vollmundigen Versprechungen um die „Faces“. Mehr als 700 Mannschaften aus über 30 Ligen – und damit über 19.000 Profis – hat man realisiert. Den Großteil davon allerdings nur mit Namen. Klar, die Stars sehen grandios aus und sehen ihren Vorbildern zum Verwechseln ähnlich. Die Masse an Spielern erkennt man aber nicht, weil bereits die lediglich halbwegs in der Sportszene bekannten Spierlinnen und Spieler rudimentäre Matschgesichter aufgesetzt bekommen.
Wenn dann noch Ultimate Team für den ultimativen Stunk um Pay-2-Win sorgt, ist die Katastrophe perfekt.
Sei es drum: Wer Fußballsimulationen auf dem Bildschirm mag, der wird dieses Jahr definitiv zu FIFA 23 greifen, denn die Entwickler beweisen, dass die verstanden haben, wie Fußball funktionieren muss. Realistischer und spannender war FIFA niemals zuvor.
In diesem Sinne: Tschüss FIFA, hallo EA Sports FC!
Vorschau | Produkt | Bewertung | Preis | |
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FIFA 23 Standard Edition PS5 | Deutsch * | 22,00 EUR |
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