Mit The Quarry haben Suppermassive Games und Publisher 2K im wahrsten Sinne des Wortes einen „Spiel-Film“ herausgebracht. Das Teenie-Horror-Format der Until Dawn-Macher lässt Spieler meist passiv am Gamepad sitzen, fordert allerdings immer wieder zu wichtigen Entscheidungen auf.
Teenies-Horror-Filme – entweder man liebt sie oder hast sie. Dazwischen gibt es nichts. Ähnlich ist es auch mit dem neuen Horror-Abenteuerspiel The Quarry. Weil die Entwickler auf das klischeebeladene Setting setzen, muss man es mögen oder eben nicht. Davon hängt viel ab: Ob man das Spiel überhaupt kauft zum Beispiel. Mit 186 Ende hat der Titel jedenfalls viel zu bieten, sollte man sich um Start durchgerungen haben. Dann zeigt sich allerdings schnell: Es lohnt sich.
Dumm, dümmer, Teenager in Horrorfilmen
Der Autoschlüssel, der dem Opfer ausgerechnet im ungünstigsten Moment einmal, zweimal, dreimal aus den Fingern gleitet? Dämlich. Der Moment, wenn die eine Jugendliche sich in eine Sackgasse bugsiert? Dämlich. Dem Serienkiller am Telefon ausführlich Fragen beantworten anstatt schnell die Polizei zu rufen? Dämlich. Horror funktioniert manchmal mit einfachsten Mitteln und nicht immer gehen die Filmemacher dabei subtil vor. Insbesondere Horrorfile um Teenager sind selten für ihren Tiefgang bekannt. Es geht meist auch um eine ordentliche Portion Humor. Bei der von 2K vertriebenen Spieleneuheit ist das im Kern nicht anders – doch bei The Quarry scheint des Öfteren die tolle Idee durch.
Zugegeben, besonders innovativ ist die Grundlage für die Story von The Quarry nicht. Supermassive Games werfen eine Horde gut aussehender Teenager in ein Sommercamp im Wald. Dann kommt irgendwie der Horror. An zunächst unheimlichen, dann düsteren, dann furchterregenden – und manchmal auch brutalen – Vorkommnissen mangelt es nicht. Und auch die Klischees kommen nicht zu kurz. Fans des Teenie-Horror-Genres dürften The Quarry für die aus Filmformaten bekannte Dümmlichkeit der Protagonisten feiern. Die Entwickler bedienen sich beim Offensichtlichen – und setzen den Horrorspaß im Jugendcamp entsprechend in Szene.
Die Charaktere entsprechen den Klischees: hübsche Influencerin, Muskelberg mit Basecap, stille Jugendliche mit kreativen Ambitionen, Klassenkasper mit blöden Ideen. Zu Beginn erscheinen die Hauptfiguren furchtbar eindimensional – Tiefgang Fehlanzeige. Und dann – Schritt für Schritt – entspinnt sich die Geschichte im Sommercamp Hackett’s Quarry und auch die Charaktere der Teenager werden szenenweise vielschichtiger präsentiert. Ganz so offensichtlich wie man zu Beginn meint, ist nämlich nichts in diesem Spiel. Tatsächlich wachsen einem die Figuren ans Herz, missen möchte man keinen der Teenager. Also geht es ums Überleben – das sorgt für Spannung.
Spielerisch ist The Quarry seicht. Die Erzählsequenzen werden aufgelockert durch Erkungdungsszenarien. Der Spieler muss die jeweils aktiven Figur – wahlweise kann man das Gamepad für den Couch-Koop-Modus weiterreichen! – durch das räumlich begrenzte Setting lenken und meist Hinweise suchen. Die treiben dann die Story voran oder verraten Details über das, was war oder das, was vielleicht noch kommt. Man erfährt mehr über das Camp, sammelt Tarot-Karten oder Beweise. Immer wieder müssen Spieler dann auch Entscheidungen treffen, die sich aneinandergereiht zu einem der insgesamt 186 Enden zusammenfügen. Bei den Entscheidungen geht es unter anderem um Handlungen oder den Unterton einer Antwort – wer Teenie-Horror-Filme kennt, kann nicht selten antizipieren, welche der beiden Auswahlmöglichkeiten die blödere ist. Dennoch ertappt man sich oft dabei, dass man die Hauptfiguren eigentlich lieber retten möchte als sie opfern. Das liegt nicht zuletzt an der Charakterzeichnung, die nur auf den ersten Blick nach reinem Teenie-Klischee aussieht.
In Ansätzen hektisch wird es bei den Quick-time-Events: mal einen Richtungsknopf drücken, mal einen Button halten und loslassen, manchmal wild aufs Knöpfchen hämmern – Supermassive Games bedient sich in der Wühlkiste der vorgegaukelten Spielaktivität. So richtig viel zu tun hat man bei The Quarry selten. Ein Makel? Nein! Wer The Quarry spielt, spielt es wegen der durchaus guten Geschichte und wegen der vielen Entscheidungen, die es zu treffen gilt. Das man dabei meistens passiv am Gamepad sitzt, ist mitunter sogar ein Vorteil. Als Spieler hat man so stets die Story im Blick, konzentriert sich auf die Geschehnisse, beachtet die Details seiner Umgebung. Selten sind Videospiele so fesselnd wie The Quarry, obwohl die Idee das Label „Spiel“ kaum verdient. Vielmehr ist es so, als würde man einen ziemlich langen Horrorstreifen gucken – nur, dass man hier so manche Dummheit ausbügeln kann.
Wirklich witzig – und echte Auslockerung – sind die eingestreuten Tutorialvideos, in denen man das Genre in kurzen Comic-Sequenzen aufs Korn nimmt. Deutlich mehr nach „Spiel“ fühlt sich The Quarry an, wenn man mit der Waffe zielen muss. Das wirkt etwas übersteuert, kann durch automatisches Zielen unterstützt werden und ist vielleicht ein bisschen Herausforderung, mindestens aber aufregender als die Quick-time-Events. Bei letzteren kann man eigentlich nur versagen, wenn man das Gamepad außer Reichweite gelegt hat oder eine Figur absichtlich ins Verderben schicken will. Und wenn es dann doch mal eine geliebten Hauptfigur zerreißt, hilft im zweiten Durchgang – oder wahlweise per Deluxe-Edition auch sofort – das Zurückspul-Feature. In der teuren Version gibt es zudem einige Filmfilter als Bonus – kein Muss, aber für Genre-Fans zumindest eine nette Dreingabe. Insbesondere der Indie-Horror-Filter samt Körnigkeit sowie der Schwarz-Weiß-Stil machen einiges her.
Ebenfalls für ein Zwischenspiel sorgt immer wieder die Kartenleserin. Sie sagt anhand der aufgefundenen Tarotkarte die möglich Zukunft vorher – das kennt man konzeptionell aus Until Dawn. Spieler erhalten durch den Blick in die Glaskugel Hinweise über mögliche Ausgänge der Story-Stränge und können ihr Handeln entsprechend ausrichten.
Immer sind es die Haare
Inszeniert ist The Quarry ziemlich opulent. Das Geschehen wird dabei vor allem von der grandiose Technik getragen. Die Umgebungen sind stimmungsvoll, passend ausgeleuchtet, ob detailreich. Auch die Charaktere sind grafische eine Augenweide. Kleinere Abstriche muss man allerdings machen: die Augenbewegungen erscheinen – typisch Computerspiel – künstlich, die Zähne ebenso, auch wenn deren optische Qualität deutlich besser gelungen ist als noch bei Until Dawn – es zeigt sich eine Weiterentwicklung.
Hier und da haben die Figuren bei den Nahaufnahmen merkwürdige Gesichtszuckungen oder verrenken sich auf eine Weise, die den anatomischen Möglichkeiten widerspricht. Ebenfalls verbesserungsbedürftig sind die Motion-Blut-Effekte, Hintergrundunschärfe also. Das wirkt nicht selten übertrieben eingesetzt und mitunter sogar deutlich erkennbar. An den Frisuren der Charaktere klaffen dann Lücken. Ohnehin bleiben die Haare unnatürliche Elemente in Computerspielen – auch bei The Quarry. Wenn Haarsträhnen sich im Wind bewegen wie an Wäscheleinen baumelnde Putzlappen, dann wirkt das unfreiwillig komisch. Auch das „dünne Haar“ so mancher Figur lässt schmunzeln. Trotzdem: The Quarry sieht hervorragend aus und läuft flüssig. Der Stimmung ist das zuträglich – und Supermassive beweist, dass man Entwicklungsschritte schafft, was auf noch mehr Grafikopulenz bei zukünftigen Spielen hoffen lässt.
Widererkennungswert haben die Charaktere jedenfalls, nicht zuletzt aufgrund der prominenten Besetzung. Man hat nämlich echte Schauspieler für die Rollen gecastet, darunter Horror-Urgesteine wie Lin Shaye (Insidious) oder David Arquette als Camp-Leiter Chris Hackett. Ebenfalls dabei sind Lance Henriksen (Aliens), Justice Smith aus der Serie The Get Down sowie Skyler Gisondo (Santa Clarita Diet) und Ted Raimi (Spider-Man). Das sorgt für Spaß, vor allem, weil auch die Synchronisation gelungen ist. Im englische Original gibt es eine Extraportion Flair, wer lokalisiert spielt, muss Abzüge in der B-Note machen. Manchmal lässt die Lip-Sync zudem zu wünschen übrig. Was überzeugt: man kann in den Gesichtern der Figuren nicht selten Gefühlsregungen ablesen. Ein kleines Details, allerdings mit großer Wirkung.
Rund zehn Stunden beschäftigt The Quarry den Spieler pro Durchgang. Maximalisten können die Spielzeit also aufgrund der Vielzahl an Enden drastisch in die Höhe schrauben. Der Durchschnittsspieler wird einen zweiten, vielleicht einen dritten Anlauf wagen – irgendwann ist die Luft dann raus. Auch wenn es sich für die variantenreichen Wendungen und Endungen lohnt: Es ist auf Dauer repetitiv, denn den Kern des Geschehens kennt man ja. Es lohnt sich aber bei allem Frust über Wiederholung mindestens ein weiterer Durchgang. Denn als Spieler weiß man ja: Die Story kann teils deutlich abweichen, wenn man andere Entscheidungen trifft. Hier ein Opfer mehr, da eine veränderte soziale Beziehung – das motiviert.
Infobox
Spielerzahl: 1 (bis zu 8 im Koop)
Alter: ab 18 Jahren
Spielzeit: 20+ Stunden
Schwierigkeit: einfach
Langzeitmotivation: mittel
Genre: Horror
Subgenre: Survival-Adventure
Entwickler: Supermassive Games
Publisher: 2K
Offizielle Website: Link
Erscheinungsjahr: 2022
Plattform (Testsystem): PC-Steam, Playstation 4, Playstation 5, Xbox One, Xbox Series X|S
Sprache: deutsch
Kosten: 70 Euro
Fazit
The Quarry ist ein gelungenes Experiment: Ein Film ohne Film zu sein, ein Spiel ohne Spiel zu sein. Irgendwo dazwischen setzt sich Supermassive Games mit seinem Teenie-Horror-Abenteuer – ganz im Sinne der Vorgänger Until Dawn oder Dark Pictures. Allzu viel Neues sollte man also nicht erwarten. Die Entwickler halten sich eng an dem geschnürten Korsett. Allenfalls technisch macht The Quarry einen ordentlichen Sprung. Die Settings sehen fabelhaft aus, die Figuren machen allein durch ihre prominenten Gesichter einiges her.
Hat man das Game auf der Konsole oder dem PC gestartet ´, saugt die Atmosphäre einen hinein in das Geschehen. Einfach aufhören? Das gelingt mindestens beim ersten Durchgang so schlecht wie bei einem Filmabend mit Scream, Ich weiß was du letzte Sommer getan hast und Co. Soll heißen: Man will erstmal wissen, worum es geht und was noch so passiert mit den „Opfern“. Dauerspannung gibt es also, und genau die hält einen bei der Stange. Spielerisch bietet The Quarry wenig und selbst das Wenige nervt streckenweise aufgrund der hakeligen Steuerung. Die teils ungünstigen Kameraperspektiven kann man konzeptionell entschuldigen, immerhin sorgen die Einstellungen für Spannung, weil man oft nicht weiß, was einen an der nächsten Ecke erwartet.
Grafik, Sound – vor allem der Soundtrack und Synchronisation sind grandios. Auch wenn man bei der Optik kleine Schwachstellen findet, an denen sich Supermassive noch abarbeiten muss. Die Entwickler setzen auf Bewährtes, nicht auf Innovationen. Das kann man dem Team vorwerfen, doch dafür funktioniert das Gebotene am Ende einfach zu gut. Nervenkitzel gibt es reichlich, bei den klischeebeladenen Figuren sogar tiefgründige Momente, virtuell Blut spritzt und fließt in Massen und Enden gibt es mehr, als der Durchschnittsspieler in seiner Gaming-Karriere jemals wird sehen können. Mit The Quarry haben Supermassive und 2K ein dickes Brett gebohrt – das Teenie-Horror-Spiel bietet jedenfalls viel Unterhaltung.
Gut wird es im Couch-Koop-Modus, der dem Geschehen eine echte soziale Ebene hinzufügt. Weil jeder über „seinen“ oder „seine“ Charaktere entscheidet, kommt es zu Diskussionen über das Handeln und die Konsequenzen. Das hat einen echten Mehrwert, auch wenn die Gruppe bestenfalls drei oder vier Spieler nicht überschreiten sollte – dann nämlich wird es arg passiv für die Teilnehmenden.
Vom Start bei The Quarry sollte man sich übrigens nicht allzu enttäuscht zeigen und in Zweifelsfällen weiterspielen: Story und Geschehnisse nehmen deutlich an Fahrt auf. Bei all dem – mal subtilen, mal offensichtlichen – Horror: ausgerechnet auf der Ebene der Monster versagt das Spiel ein wenig. Das wäre mehr drin gewesen in Sachen Ekel-Faktor. Trotzdem hat The Quarry am Ende viel zu erzählen – das sollte man genießen, denn derart tief taucht man heute nur noch selten in die Geschichten von Videospielen ein. Warum? Weil man kurioserweise viel zu häufig mit dem Gameplay und Progress beschäftigt ist. The Quarry macht daher seine vermeintliche Schwäche der spielerischen Passivität zu seiner größten Stärke.
Wer es noch seichter mag, kann The Quarry in einem Movie-Modus „spielen“ – dabei steht dann die Story noch mehr im Mittelpunkt – der Modus belegt dann eindrucksvoll, wo die wahre Stärke dieses Horror-Titel tatsächlich liegt.
Vorschau | Produkt | Bewertung | Preis | |
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The Quarry - USK - [Playstation 5] * | 15,99 EUR |
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