Auch auf der SPIEL’19 gab es sie: Hybrid-Spiele. Brett- oder Kartenspiele mit App-Unterstützung fristen ein Nischen-Dasein. Die Konzepte punkten nicht selten durch innovative Ideen, können sich bei Spielern dennoch nur schwer durchsetzen. Immerhin: Auch deutschsprachige Verlage setzen auf hybride Spielmechanismen, darunter die Österreicher von Rudy Games und Hybr, ein junges Start-Up, das mit Soviet Kitchen einen ersten Erfolg vorweisen kann.
In regelmäßigen Abständen drängen neue Hybrid-Spiele auf den Markt. Die kreativen Köpfe hinter Brett- und Kartenspielen mit App-Unterstützung werden nicht müde, ihre innovativen Konzepte der kritischen Spielerschaft anzupreisen. Leicht haben Verlage, die auf hybride Spielideen setzen, es nicht. Wer Gesellschaftsspiele spielen will, muss das rein analog tun: Dieser Grundsatz hält sich hartnäckig. Dabei stecken nicht selten kluge Gedanken hinter den Ideen der Hybrid-Spiel-Macher.
„Apps verlängern den Spielspaß“
Dass Hybrid-Spiele zu einem Standard werden in der Branche, ist zumindest zu jetzigen Zeitpunkt kaum denkbar. Zu wenige Titel schaffen den Sprung zur Marktreife, zu groß scheinen die Vorbehalte bei Spielern, aber auch Verlagen zu sein. Es gibt durchaus Brettspiele, die auf elektronische Komponenten – dazu gehört auch App-Unterstützung – setzen. Die klassische Basis löst das jedoch nicht ab. „Apps dienen in Brettspielen vornehmlich dazu, den Spielspaß zu verlängern oder Geschichten zu präsentieren“, sagt Hermann Hutter im Rahmen der Pressekonferenz zur SPIEL’19.
Tatsächlich ist die Anzahl an Hybrid-Spielen gering, obwohl sogar einige große Verlage auf den Zug aufgesprungen sind: Asmodee versucht immer wieder, Brettspiele und Software zu verbinden, zuletzt mit dem Miniaturen-Spiel „Herr der Ringe – Reise durch Mittelerde“. Immerhin: Bei dem Lizenzspiel nahm der elektronische Part einen großen Teil des Spielkonzepts ein – ohne Software war das Miniaturen-Brettspiel in der veröffentlichten Form nicht spielbar. Die Idee kam an – nicht bei jedem, aber gut genug, um zumindest eine erste Mini-Erweiterung zu veröffentlichen.
Auch einige Crowdfunding-Kampagnen zu Hybrid-Spielen laufen derzeit auf der Plattform Kickstarter, sogar erfolgreich. Die Nische der Hybrid-Spiele wird stetig bedient. Und weil es durchaus Fans gibt, können die auf hybride Konzepte spezialisierten Verlage auf dem Markt bestehen. Große Veränderungen deuten sich dennoch nicht an. Es scheint, als bildeten Brettspiele mit App-Unterstützung einen gewollten, harten Kontrast zur rasanten technologischen Entwicklung.
Auf dem hybriden Brettspiel-Markt bewährt: Rudy Games
Der österreichische Verlag Rudy Games setzt auf Wachstum in der Nische der Hybrid-Spiele. Das strategische Kriegsspiel „Leaders – A Combined Game“ hat den Erfolg eingeleitet und wird auch heute noch, Jahre nach der Erstveröffentlichung, von Fans regelmäßig gespielt. Die simple Formel des Erfolgs: Als Brettspiel mit App-Unterstützung wird der elektronische Part des Titels stetig aktualisiert und erweitert – „Leaders“ fühlt sich an wie ein Brettspiel frisch aus dem Presswerk.
Auch die übrigen „Rudy-Games“, darunter Scuby Sea Saga, Interaction oder Lost Galaxy werden kontinuierlich weiterentwickelt, auch mithilfe der von den Nutzern gewonnenen Daten und Verbesserungsvorschläge. Die Apps zu ihren Spielen dienen den österreichischen Kreativköpfen nicht als bloße Nutzerdatensammelstellen, sondern als wesentliche Elemente, um das Spielerlebnis langfristig zu verbessern. Mit Erfolg: Über 450.000 Spieler hat Rudy Games bereits überzeugt. Die Nutzerzahlen sind dabei förmlich explodiert: „Im Januar 2018 hatten wir noch 100.000 Spieler“, erklärt CEO Manfred Lamplmair. Nun hat der Verlag die halbe Million anvisiert – und dürfte das Ziel vermutlich schon erreicht haben.
Bei den Österreichern steht alles auf Wachstum: Der Sprung nach Übersee ist geschafft, die Rudy-Spiele drängen in den lokalen Handel. Vor die Bildschirme zwingen wolle man Spieler aber nicht um der passiven Unterhaltung wegen. Im Gegenteil: „Kinder verbringen 220 Minuten täglich am Smartphone“, sagt Lamplmair und wünscht sich, dass die Kombination aus analogem Spiel und digitaler App Kindern den Weg hin zu klassischen Brettspielen ebnet und ihre Bildschirmzeit sinnvoll genutzt wird.
Auch der neue Titel des Verlags, ein Ratespiel mit dem Namen „Quiz it“, setzt bei diesem Grundgedanken an. Das erste Feedback sei positiv gewesen, verrät Manfred Lamplmair. So gut, dass bereits eine erste Erweiterung – darin soll es um „unnützes Wissen“ gehen – in Planung ist. Ohnehin soll auch dieses Brettspiel langfristig unterstützt werden – App sei Dank.
Mitverantwortlich für den Erfolg des Quiz-Spiels ist auch der Autor Arno Steinwender. „Die Zusammenarbeit mit Arno hat super funktioniert“, freut sich Lamplmair. Derartige, leicht zugänglich Brettspiele funktionieren auf dem Markt, vor allem bei Familien. Das belegt auch die Tatsache, dass das interaktive Partyspiel „Interaction“ derzeit das Zugpferd von Rudy Games ist. Die Verkäufe sollen nun mit Fernseh-Werbespots auf den Kanälen Toggo und Super RTL angekurbelt werden. „Interaction“ ist bunt, manchmal hektisch, bisweilen verrückt: „Am Ende geht es um den Spaß“, fasst der Rudy-Games-CEO treffend zusammen.
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Sich einfach auf den bisherigen Erfolgen ausruhen wollen die Österreicher nicht. Und so steckt der Verlag bereits in den Planungen für zukünftige Projekte. Zusammen mit dem Kult-Autor Alexander Pfister wird Rudy Games im kommenden Jahr – ganz Trend gerecht – ein Familien-Strategiespiel mit einem Piraten-Setting entwickeln. Details zu möglichen Spielmechanismen gibt es nicht. „Es soll nicht zu komplex werden“, kündigt Manfred Lamplmair zu dem Brettspiel an.
Ein richtig dicker Fisch zappelt mit der Hybrid-Umsetzung des österreichisches Klassikers „Das kaufmännische Talent“ (kurz: DKT) an der Angel. Das Kultbrettspiel von Piatnik ist das Pendant zu Monopoly und gilt in Österreich als eines der erfolgreichsten Brettspiele. In enger Abstimmung mit Piatnik wird Rudy Games den Klassiker als Hybrid-Brettspiel veröffentlichen. Massenware trifft dann Innovation, Nostalgie und Technologie. Informationen zu Verlag und Brettspielen gibt es unter www.rudy-games.com.
Hybr: Junges Start-up will nicht weniger als eine Revolution
Ein junges Dresdener Start-up möchte die Welt der Hybrid-Spiele nachhaltig verändern. Hybr, dahinter stecken Jonas Kopcsek, Milena Meißner, Bartłomiej Zalewski und Andreas Wilde, haben mit ihrem Kartenspiel Soviet Kitchen einen Achtungserfolg hingelegt. Über Kickstarter haben die Vier das Projekt finanziert und dabei eine Summe von rund 14.500 Euro eingesammelt, angepeilt waren lediglich 8.000 Euro.
Alles, was es für eine Partie Soviet Kitchen braucht, ist ein Kartendeck und einen digitalen „Meat Grinder“, also eine passende App zum Spiel. Hinter dem Spiel steckt eine Geschichte, eine mit diesen typischen „wahren Begebenheiten“. Über Ecken erfuhr Game Designer Andreas Wilde von einem Mann, der in der damaligen Sowjetunion in einer Käsefabrik gearbeitet hat: um Käse herzustellen, wurde alles „verwolft“, was auch nur entfernt käseartige Konsistenz erzeugen konnte: vom Gummischlauch bis hin zur Schuhsohle. Die Idee zum kooperativen Kartenspiel „Soviet Kitchen“ war geboren.
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Spieler „werfen“ dabei verschiedene Ressourcen in den digitalen Mixer, beziehungsweise halten die jeweiligen Karten über die Smartphone-Kamera, die die „Lebensmittel“ dann erkennt und aus den Farben einen Mittelwert errechnet. Der Clou: Weder eine lange Vorbereitung noch eine Anleitung werden benötigt. Die App hingegen scheint zwingend für dieses Spielprinzip.
Das bestätigt auch der Software-Entwickler Jonas Kopcsek: „Wir haben eine Mechanik umgesetzt, die analog in der Form kaum funktioniert.“ Er meint damit das Mischen der unterschiedlichen Farben. Den 3D-Farbraum so exakt einzuarbeiten und gleichzeitig das Balancing – auch bezüglich der insgesamt vorhandenen Anzahl an unterschiedlichen Farben – auf ein funktionales Niveau zu bringen, seien zwei der Herausforderungen bei der Entwicklung des Hybrid-Spiels gewesen. Auch der „Faktor Mensch“ und dessen Farbwahrnehmung habe bei der Entwicklung eine Rolle gespielt. Den Algorithmus so anzupassen, dass die menschliche Wahrnehmungsleistung dem von der App ausgegebenen Ergebnis entspreche, sei nicht so einfach gewesen.
Es wird deutlich, dass viel Technologie hinter einem augenscheinlich simplen Kartenspiel stecken kann. Dennoch stellen die Kreativköpfe von Hybr klar: Der Kartenspielaspekt steht bei Soviet Kitchen im Vordergrund, die App dient nur zur Unterstützung.
Die Grundidee zu einem fertigen Spiel zu entwickeln hat rund anderthalb Jahre gedauert. Herausgekommen ist dann ein kooperatives Kartenspiel mit niedrigen Einstiegshürden, vielleicht sogar – mit Ausnahme der notwendigen Technik – gar keinen Hürden. Wer nie zuvor von Soviet Kitchen gehört hat, kann dennoch sofort losspielen: Karten mischen und verteilen, die App erklärt den Rest. Das funktioniert, sogar außerordentlich gut. Auch die Spieler scheinen das zu erkennen.
Auf der SPIEL’19 kam das Kartenspiel bei den Besuchern gut an, verrät Jonas Kopcsek. Das Spiel habe „größere Ausmaße angekommen als geplant“. Und so ist es kaum überraschend, dass nach dem „Kickstart“ nun eine überarbeitete Unleashed-Version von Soviet Kitchen verfügbar ist. Abgeschlossen ist das Projekt noch lange nicht: Man plane nun eine Erweiterung auf fünf und sechs Spieler, arbeite an Fehlerausbesserungen und wolle zukünftig weitere „Fleischwolf-Skins“ implementieren, um auch rein optisch für Abwechslung zu sorgen.
Oft angefragt und auf der Agenda von Hybr: Eine kindgerechte Version von Soviet Kitchen. Dann ohne, Alkohol, Munition und Handgranaten. Stattdessen soll es darum gehen, ein Monster zu füttern, das auf Vitamine allergisch reagiert. Ob das Spiel mit „schädlichen Vitaminen“ eventuell eine falsche Botschaft vermitteln könnte? Nein, auch Eltern hätten dazu kein negatives Feedback gegeben. Es geht um Spaß, der Witz steht erkennbar im Mittelpunkt – auch Kinder können das leicht erfassen. Mit den Visualisierungshilfen einer App vermutlich noch besser.
Hybr plant schon in die Zukunft. Jonas Kopcsek kündigt einen neuen Titel an, der auf dem Trend der „Social Deduction“-Games basieren soll. „Das ist ein Thema, das wir selbst gerne spiele“, sagt Kopcsek und weiß, was an derartigen Spielen den Spaß rauben kann: „Es wird ein Social-Deduction-Spiel, das ab drei Spielern funktioniert. Und es wird keinen Knock-Out geben“. Wer seinen Charakter also gegen die Wand setzt und in einem herkömmlichen Social-Deduction-Game ausscheidet, könne bei der Idee von Hybr in eine andere Rolle schlüpfen und weiterspielen. Man fliegt also nicht sofort au dem Spiel, sondern übernimmt mehrere Rollen – sind diese allesamt aufgebraucht, fliegt man vermutlich auch bei Hybr’s Vision von Social Deduction aus dem Spiel.
Und die hybride Komponente? Sie ist vorhanden, allerdings eher unaufdringlich: „Die App übernimmt den Erzähler“, verrät der Software-Entwickler. Zudem könne man durch den Einsatz von Software das verdeckte Spiel fördern. Insbesondere bei Social-Deduction-Spielen ist das wesentlich. Trotz all der Technik hält Hybr an einem Grundgedanken fest: „Man soll möglichst wenig mit dem Telefon interagieren“, erklärt Jonas Kopcsek.
Hinter dem Start-up steckt ohnehin mehr als nur die Spieleentwicklung. Hybr gründete aus einem Stipendium heraus, das Studierende und Absolventen bei unterstützt, „innovative technologieorientierte oder wissensbasierte Projekte mit signifikanten Alleinstellungsmerkmalen und guten wirtschaftlichen Erfolgsaussichten“ umzusetzen. Was kompliziert klingt, soll heißen: Hybr soll einen Beitrag zur Wissenschaftslandschaft leisten und hat demnach auch einen Forschungsauftrag. Diesen technischen Forschungsaspekt kommt Hybr mit einem Fokus auf das sogenannte „object tracking“ nach. Statt Objekte bewusst vor eine Kamera zu halten, könnten beispielsweise Spielfiguren oder Spielbrett-Aufstellung erkannt werden, indem das Smartphone neben das Spielfeld gestellt wird. Die Auswirkungen auf den Markt der Gesellschaftsspiele könnten spürbar sein, etwa im Bereich der Miniaturen-Spiele oder für Regelerklärungen – vorausgesetzt, die Technologie funktioniert und wird marktreif. An Ideen und Motivation mangelt es den jungen Gründern jedenfalls nicht. Weitere Informationen gibt es unter hybr.co.
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