Der Klimaschutz geht uns alle etwas an! Und weil es so ein wichtiges Thema ist, wird uns dessen Wichtigkeit nicht nur durch das Katastrophen-Kino Hollywoods aufgezeigt, sondern findet sich auch in Spielen wieder. So auch in dem Spiel Kyoto von dem Autoren-Duo Sabine Harrer und Johannes Krenner, das im Verlag Pegasus Spiele, im Jahr 2020, erschien. Ein Handkarten-Management-Spiel, in dem es gilt, als vom eigenen Land entsandter Teilnehmer einer Klimakonferenz, die Welt vor einem ökologischen Super-Gau zu retten und dabei den Wohlstand der eignen Gesellschaft zu wahren. Wie viel Spaß uns das Klimaspiel gemacht hat, erfahrt ihr in der nachfolgenden Rezension zu Kyoto.
Alles beginnt zunächst mit dem bekannten „Auspöppeln“, dem Zusammenbau und – oh Schreck – einer Mini-Faltanleitung Marke schwedisches Möbelhaus. Kurz kam Panik auf, und war schnell verflogen. Aus einem Stanzbogen faltet man zunächst eine kleine Schachtel zusammen, in der das Sammelsurium aus Spielkarten einen Platz findet. Man hat sich Gedanken gemacht. Statt Wackel-Inlay oder Gummiband sorgt hier ein verblüffend simpler Kniff dafür, dass die Karten nach dem Spielen sicher und geschützt verstaut werden können. Die Macher haben sich Gedanken gemacht.
Die kleine Kartenbox ist ein Detail, aber genau davon gibt es bei Kyoto noch weitere. Man merkt schnell, dass hinter dem Spiel und dem neu gegründeten Verlag Deep Print Games erfahrene Veteranen aus der Brettspiel-Branche stecken. Peter Eggert und Philipp El Alaoui (ehemals eggertspiele/Plan B Games), Viktor Kobilke (ehemals Frosted Games, eggertspiele/Plan B Games) und Matthias Nagy (Frosted Games) sowie Karsten Esser und Andreas Finkernagel (Pegasus Spiele) sind jene Akteure, die mit ihren zukünftigen Projekten nicht nur Spielspaß bereiten, sondern auch ernste Themen vermitteln wollen – und das auf unterschiedlichen Niveau-Stufen. Während etwa das Brettspiel Renature eher Familien anspricht, richtet sich Kyoto an Kenner, nicht ausschließlich allerdings Erwachsene. Bei der geballten Power an Erfahrung müsste schon Klima-Killer Donald Trump selbst Hand anlegen, damit diese Spielidee überhaupt gegen die Wand fahren kann. Und tatsächlich, Kyoto von Wissenschaftlerin Sabine Harrer und Autor Johannes Krenner (unter anderem Junta – Das Kartenspiel) ist erfrischend, nicht aber unbedingt innovativ.
Kyoto: Ein Klimaspiel?!
Das Artwork und die Beschriftung der Spielbox von Kyoto verraten uns, dass die Welt, als Globus dargestellt, an der Geldgier zu zerbrechen droht. Was auf der Vorderseite noch in grau, blau und grün gehalten wurde und sofort an Luftverschmutzung denken lässt, erscheint auf der Rückseite in bunten Farben und verspricht in seiner Beschreibung ein Spielerlebnis, dass uns an einen Politthriller erinnern soll. Die Anleitung wirkt zunächst teilweise konfus, man muss aufmerksam lesen und sich einige Minuten zeit nehmen, um das Konzept zu durchblicken. Wer allerdings verstanden hat, worauf der Ablauf von Kyoto grundsätzlich abzielt, der wird sich nicht besonders schwer damit tun, die insgesamt wenigen Grundregeln zu beherzigen. Dennoch sind es für ein derart kleinformatiges Brettspiele viele Details, die den Spielablauf zumindest in den ersten Minuten etwas ins Stocken geraten lassen. Dann kommt ein Aha-Effekt und schon läuft es deutlich runder.
Gefüllt ist die handliche Spielbox mit ansprechend gestaltetem Inhalt, der aus der Feder des Illustrators Christian Operer stammt. Hier warten neben einem Spielplan, der dazu dient, drei Arten von Umweltschäden anzuzeigen, fünf Tiere, mit einer Lebend- und einer Ausgestorben-Seite, sechs Thermometerstufen, sechs Wolken, 48 Wohlstandskarten, die jeweils, eine von drei Schadensarten (Luftverschmutzung, Tiersterben und Erderwärmung), einen CO2-Wert und häufig, eine von sechs Lobbyarten anzeigen sowie 24 Studienkarten, 20 Agenda-Karten, sechs Flaggen (sechs Karten und sechs Halter), ein Pult, eine Vorsitzkarte, eine Zentralkarte, 63 Eine-Million-Dollar-Scheine, sechs Flaggenmarker und ein Regelheft. Die Verknüpfung zur realen Welt ist schon beim Material stets präsent, so etwa bei den Lobby-Karten. Unter den Lobbyisten tummelt sich nämlich alles, was Rang und Namen hat, um die Welt ein bisschen ungerechter zu machen: Agrar-Lobby, Öl-Lobby, Auto-Lobby, Stahl-Lobby, Atom-Lobby und Chemie-Lobby – alle buhlen um die Gunst der Politik.
Zugegeben, besonders einladend wirkt es nicht, wenn jemand zu einer Runde „Klimaspiel“ ruft. Sich am Spieltisch mit ernsten Themen auseinandersetzen, kann das Spaß machen? Bereits an dieser Stelle sei verraten: Und ob! Kyoto mahnt nicht nur und kündet vom drohenden Weltuntergang und dem Aussterben der Arten, sondern überzeugt mit einem fein abgestimmten Spielprinzip, das zwar zunächst kompliziert anmutet und eine Eingewöhnungszeit erforderlich macht, dann jedoch zündet.
Stets schwebt der ökologische Kollaps wie ein Damoklesschwert über der Spielerrunde, die sich aus drei bis sechs Spielern zusammensetzt. Mindestens drei Landesvertreter braucht es also, damit man Klimaschutz und Apokalypse überhaupt diskutieren kann, ansonsten wäre ein interaktiver Spielablauf bei dem gewählten Konzept nicht möglich. Und: Besser ist, man setzt sich mit mindestens vier Spielern an den Tisch, dann nimmt das Brettspiel Kyoto noch mehr Fahrt auf. Ganz ernst nimmt sich das Spiel dabei nicht, obwohl es mit einem ernsten Hintergrundthema spielt: Vordergründig jubeln die Staaten den Klimaschutzmaßnahmen entgegen, hinten herum wird letztendlich das umgesetzt, was den Wohlstand nicht beschneidet.
Das Grundthema haut Deep Print Games den Spielern mit der groben Kelle um die Ohren, und dann sind da noch die leisen Untertöne – aus denen ziehen Spieler Erkenntnisse für die Realwelt, zumindest wenn sie sich dem Setting öffnen. Freizeitparks, Oldtimer-Touren, Feuerwerk zum Jahreswechsel: Alles was kracht, bunt ist, schnell ist, Spaß macht, verursacht CO2-Emissionen.
Darüber kann man nachdenken und Schlüsse für sich ziehen – oder man nickt die Schattenseiten für das Klima einfach ab, dann greift die Politik früher oder später regulierend ein. Die neue CO2-Abgabe gibt hierzulande eine Marschrichtung vor: Wenn sich nicht aus eigenem Antrieb für das Weltklima einsetzen will, dem wird ins Portemonnaie gegriffen. Damit spielt man auch bei dem satirischen Brettspiel Kyoto, denn die Wahl zwischen Umwelt- und Naturschutz oder „Money“ ist thematisch stets präsent. Man bedient sich sogar dem typischen Monopoly-Geld, eigentlich im Bereich der Brettspiele ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, hier tragen die Papierscheine jedoch zum Thema bei.
Während einer Partie Kyoto nehmen drei bis sechs Spieler, ab zehn Jahren, für 30 bis 45 Minuten an einer Weltklimakonferenz teil. Dafür werden sie eigens von ihren Ländern als Vertreter in dieser wichtigen Sache entsandt. Es geht um nichts weniger, als die Welt zu retten. So besagen es zumindest die beängstigenden Studien, die es abzuhandeln gilt. Doch ganz so einfach gestaltet sich der Schritt aus der ökologischen Krise nicht. Denn daneben dürfen das Vermögen der eigenen Gesellschaft und das der Lobbys nicht vergessen werden. Gewinner wird dabei der Vertreter desjenigen Landes, das diese Aufgabe am besten erfüllt. Kommt es zwischenzeitlich zu erheblichen Umweltschäden, gilt die Weltklimakonferenz als fehlgeschlagen und derjenige Spieler, der am profitsüchtigsten war, verliert die Partie.
Kyoto: Klimaretten in zwölf Runden
In Kyoto müssen die Spieler den Wohlstand ihres Landes im Auge behalten, Gelder in den Klimaschutz fließen lassen, in Verhandlungen überzeugen und ihre Mitspieler bestecht. Eine Partie des Klimaspiels verläuft dabei über zwölf Verhandlungsrunden und in zehn, bei einer Runde mit fünf Mitspielern. Dabei bestehen die einzelnen Runden aus vier Phasen. Zuerst müssen die Spieler die Vergütung für den Vorsitz abhandeln.
Dann folgt die Phase der Studienverlesung, gefolgt von der Aushandlungsphase, in der, innerhalb von 90 Sekunden, ein gemeinsames Reduzierungs- und Finanzierungsziel erreicht werden muss, das der Sprecher der aktuellen Runde vorstellt und welches die Lobby-Vertreter versuchen zu verhindern. Dieses verläuft entweder erfolgreich oder scheitert. Anschließend wird die Phase der Auswirkungen ausgelöst. Wird das gemeinsame Ziel nicht erreicht, so wird ein Umweltschaden ausgelöst. Dabei stirbt entweder eine Tierart aus, die globale Temperatur steigt an oder es kommt zu einer Erhöhung der Luftverschmutzung.
Erreicht eine Auswirkung bedrohliche Ausmaße, so endet das Spiel sofort und die Weltklimakonferenz gilt als gescheitert. Zur Schlusswertung der Spielpartie, zählen die erreichten Spielpunkte der einzelnen Spieler. Das Land, das die meisten Punkte sammeln konnte gewinnt, sollte es zu einem vorzeitigen Konferenzende gekommen sein, so gewinnt das Land mit den zweitmeisten Punkten. Denn dasjenige mit der höchsten Anzahl an Punkten, hat die Umweltzerstörung am meisten zu verantworten.
Kyoto bringt das Thema nachvollziehbar auf den Tisch. So sind Umweltschäden in unserer realen Welt bereits deutlich spürbar. Doch meistert dies auf eine satirische Weise, was das Kennerspiel zu einem unterhaltsamen Verhandlungsspiel macht, das einen Raum für strategische Kniffe lässt. Insgesamt verlässt sich Kyoto sehr auf die Aktionen und den Einsatz der Spieler selbst: Das Brettspiel gibt dabei eher einen geregelten Rahmen vor und untermalt das Geschehen mit Materialkomponenten. Ja, alles läuft nach einem Schema ab, wie viel Spaß das macht, hängt allerdings maßgeblich davon ab, wie tief die Spieler in das Setting einzutauchen bereit sind. Wer am Spieltisch ungern diskutiert und sich dem Fokus auf Interaktionen nicht öffnen kann, der wird mit diesem Klima-Brettspiel weitaus weniger Spaß haben als ein Spieler, der für das Thema und die thematische Auseinandersetzung mit seinen Mitspielern brennt. Was Kyoto nicht macht, ist mit erhobenem Zeigefinger mahnen: Zwar ist das Grundthema „Klimaschutz“ stets präsent, wie Spieler damit umgehen, bleibt ihnen allerdings überlassen.
Infobox
Spielerzahl: 3 bis 6 Spieler
Alter: ab 10 Jahren
Spieldauer: 30 bis 60 Minuten
Schwierigkeit: mittel
Langzeitmotivation: mittel
Verlag: Pegasus Spiele
Webseite: Link
Erscheinungsjahr: 2020
Autor: Sabine Harrer, Andreas Krenner
Illustrationen: Christian Opperer
Sprache: deutsch
Kosten: rund 20 Euro
Fazit
Ohne ein allzu ernsthaftes Augenmerk darauf zu legen, bietet Kyoto einen Anstoß über das eigene Umweltverhalten nachzudenken. So finden sich auf den Spielkarten bekannte Klimasünden wie die Massentierhaltung, Raumfahrt und Bohrinseln, aber auch diejenigen, an die man nicht immer denkt, wie Kosmetika, Spielkonsolen und 3D-Bildschirme.
Spielerisch bietet Kyoto Raum für strategische Züge. Hier zählt Verhandlungsgeschick und das Abwägen zwischen der Relevanz der Erreichung der Ziele zum Welt-Klimaschutz und des Geldsegens für die eigene Nation. Auf der einen Seite winkt das Geld der Lobby-Vertreter, auf der anderen Seite schreien die Ziele der Weltklimakonferenz förmlich nach Unterstützung. Dazwischen stehen wir als Spieler, und manchmal erscheint die zu fällende Entscheidung, innerhalb kurzer Zeit, gar nicht so einfach. Dabei bietet Kyoto auch Unterhaltungspotenzial. Seien es die Anbiederungen der Lobbys, wie die der Großwildjäger, die ziemlich absurd erscheinen, oder aber die Umweltschäden selbst, die mitten aus unserem täglichen Leben gegriffen wurden und jeden erdenklichen Bereich betreffen. Von Golfplätzen über Speiseeiswaagen bis hin zur Butter. Das erstaunt und ist auf eine eigentümliche Art belustigend. Die Regeln von Kyoto sind kurz gehalten, insgesamt verständlich und mit einigen Beispielen versehen, sodass ein Spieleinstieg – mit einem allerdings etwas zähen Beginn – zügig möglich ist; auch die enthaltenen Spielkarten sind nachvollziehbar beschriftet und mit Symbolen versehen, was Zuordnungen erleichtert. Vor allem jüngere Mitspieler und Gelegenheitsspieler profitieren davon. Trotz dessen werden Kinder, die das empfohlenen Mindestalter von zehn Jahren haben, Hilfestellung bei den Verhandlungsphasen benötigen und die Ausmaße ihrer Entscheidungen nicht vollständig überblicken können.
Die Mischung aus Verhandlungsgeschick, strategischem Einsatz, Bestechungen und variabler Endung der Klimakonferenz machen Spaß und animieren zu weiteren Spielpartien von Kyoto. Für Expertenspieler ist Kyoto zu einfach gehalten. Das Spiel sieht sich jedoch selbst als satirisches Brettspiel und kommt vor allem bei Vielspielern auch genau als das gut an. Besonders Erwachsene finden in dem bissigen Humor, den Kyoto vermitteln möchte, seinen Reiz; jüngere Spieler wird genau das kaum interessieren. Für sie gestaltet sich der Ablauf unter Umständen zu abstrakt.
Insgesamt ist Kyoto jedoch ein unterhaltsames Spiel zum Klimaschutz, mit Raum für Strategien, für Spieler die sich gerne gegenseitig herausfordern und an lustig aufgearbeiteten, politischen Brett- und Kartenspielen Spaß haben. Dank der abwechslungsreichen Studien, Aushandlungen, Entscheidungen der Spieler und Endscheidungsmöglichkeiten, nutzt sich der Spielspaß des Klimaspiels nicht so schnell ab. Abschließend lässt sich sagen, dass das satirische Umweltspiel Kyoto ein empfehlenswertes und spaßbringendes Brettspiel für verschiedene Spielertypen ist, dass auch die Lachmuskeln nicht verkümmern lässt – zumindest wenn man sich auf den speziellen, satirischen Humor des Spiels einlassen kann.
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Pegasus Spiele 57801G - Kyoto (deutsche Ausgabe) (Deep Print... * | 25,99 EUR |
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