Die erste rein digitale Gamescom ist vorüber. Was bleibt, sind gemischte Gefühle zu einer Messe, die jetzt, als sie nicht stattfinden konnte, gezeigt hat, dass sie stattfinden muss. Während die Gamescom-Macher ein positives Fazit ziehen, sind die Resümees der Fans nicht ganz so eindeutig. Recht hat am Ende irgendwie jeder – und Hoffnungen darauf, dass man sich im nächsten Jahr dann doch lieber in Köln wiedersehen kann.
– ein Kommentar von André Volkmann
Über zwei Millionen Zuschauer gleichzeitig bei der Gamescom: Opening Night Live, der Eröffnungsshow der digitalen Games-Messe, meldet die Koelnmesse GmbH als Mitveranstalter: Rekord. Zuschauer aus über 180 Ländern: Rekord. Dabei fällt die Resonanz der Gaming-Fans weitaus weniger zufrieden aus. Gar nicht in einem rekordverdächtigen Maß vorhanden war nämlich jenes besondere „Feeling“ für das die Gamescom jährliche steht. Wenn die digitale Gamescom in diesem Jahr eines besonders eindrucksvoll bewiesen hat, dann ist das die Tatsache, dass man die Branche die Messeveranstaltung dringend benötigt – und zwar als physisches Event vor Ort.
Trailer-Fließband statt Show-Event
Es waren nicht einmal die technischen Unzulänglichkeiten, die gestört haben am Eröffnungstag. So viel Geoff Keighley auch plauderte, der Funke wollte nicht überspringen. Im vergangenen Jahr war das anders, womöglich, weil man wusste, dass man am Tag darauf selbst durch die heiligen Hallen auf dem Kölner Messegelände spazieren und die Neuheiten hautnah erleben darf. Wie am Fließband rauschten Trailer über den Bildschirm, unterbrochen von Mikro-Interviews und einem Moderations-Sidekick, der die Game Awards eher lust- und belanglos als mitreißend präsentierte. Dennoch: Das Gezeigte war unterhaltsam, wenn auch bekannt – hie und da gab es eine kleine Überraschung.
Und als sich die Gamescom mit der Eröffnungsshow zu Ende gefeiert hatte, wurde man das Gefühl nicht los, dass es das womöglich schon gewesen ist mit der Messe in diesem Jahr. In den Folgetagen stundenlang Live-Streams gucken oder Youtubern beim Zocken zuschauen? Von den Games, die eigentliche keine Überraschungen mehr bereithielten? Allenfalls für einen kurzen Zeitraum erträglich. Eine echte Alternative gab es nicht: Statt Streams und Trailer gucken, hätte man hoffnungslos in den Informationsfluten des Portals „Gamescom now“ versinken können, nur gewollt hat man das nicht.
Was fängt man an als Medienmensch mit der digitalen Gamescom, wo Medien-Großvermarkter ohnehin schon alle Inhalte aufgearbeitet haben und man kaum zeitnah an gute Informationen hätte kommen können, die nicht der Flut an Pressemitteilungen entsprang? Genau, nichts. Und so ging die Spannung schnell flöten, die Motivation auch. Das war es mit der Gamescom für 2020. Nicht falsch verstehen: Auch rein digital hat die Messe ihre Daseinsberechtigung gehabt, es zeigte sich nur eindrucksvoll, wie viel mehr die Gamescom eigentlich ist und was die Messe wirklich ausmacht.
Nach einem zehn Kilometermarsch im Business-Bereich von Electronic Arts einen Caffe Latte trinken zum Beispiel, oder dutzende Indie-Games zocken, während man nebenher mit Sandwiches und Bier versorgt wird, sich mit Spielern unterhalten, die vor dem Monitor mit einem bislang unbekannten Titel sichtlich Spaß haben, einfach durch die überfüllten Hallen flanieren, sich treiben lassen – all das ist das Gamescom-Feeling. Vermutlich hat es Tausende Spieler gegeben in diesem Jahr, die sich bereitwillig und gern über Stunden in einer Warteschlange gestellt hätten, hätte die Gamescom irgendwie stattfinden können. Vor Ort. In Köln.
Digitale Gamescom 2020: Echte Highlights? Fehlanzeige!
Und dann fehlten auch noch die Highlights. „Official partners“ hin oder her: Die Gamescom lebt auch von ihren Hochglanz-Inhalten. Und genau davon gab es einfach zu wenig. Einfach nur eine Flut aus digitalen Formaten bereitzustellen reicht nicht, das gibt es täglich im Übermaß auf Youtube, Twitch und Co. Und was dort manchmal bereits nervt, gab es bei der digitalen Gamescom als zentrale Element.
Auch die Publisher schienen von der Idee nicht vollends begeistert zu sein, zumindest kam diese Vermutung schnell auf angesichts der präsentierten Inhalte. Etwas Marketing von Microsoft, Electronic Arts und Ubisoft – viel mehr gab es nicht von den ganz Großen der Branche. Nur wenige Publisher ließen sich überhaupt dazu hinreißen, eigene Format zu etablieren im Content-Wust der Gamescom digital.
Andere Publisher haben direkt auf ihren Auftritt verzichtet, so etwa Nintendo oder Konami. Aber was hätte man auch präsentieren sollen, außer Videos, die womöglich sogar schon gezeigt worden sind? Da hätten sich die Giganten mal wieder von der Indie Arena Booth eine dicke Scheibe abschneiden können: dort war nämlich tatsächlich Leidenschaft zu spüren, auch über rein digitale Kanäle. Gleiches gilt für kleinere Publisher, die in der digitalen Gamescom jene Chance gesehen haben, die sie für alle hätte sein sollen.
Den Machern der Gamescom eine Schuld für ein vermeintlich misslungenes Messe-Event vorwerfen, das wäre zu einfach. Die Corona-Pandemie hat sich spürbar auf die gesamte Branche ausgewirkt. Marketing-Pläne, Release, Produktionen, all das wurde in vielen Häusern verschoben, manchmal verworfen. Zu spüren war das nun auf der digitalen Gamescom. Konnten Publisher ihre spärlichen Informationen in den vergangenen Monaten häppchenweise unter das Volk bringen, war in der Masse zu wenig vorhanden an coolen Infos, die begeistern. Hinzu kommt eine ohnehin knappe Vorbereitungszeit – und dafür war die Messe dann wieder ein gelungenes Projekt.
Sich mal eben eine Mega-Messe aus dem Ärmel schütteln und dann auch noch alle Erwartungen erfüllen? Kaum jemand hat das für möglich gehalten. Am Ende war die digitale Gamescom auch ein Experiment, das nicht ganz gelungen, ein Plan, der nicht ganz aufgegangen ist. Besser als Verzicht war die Internet-Messe allemal, aber konkurrenzfähig? Nein.
Und dennoch muss die diesjährige Gamescom als Grundlage für die Messe im nächsten Jahr herhalten, auch bezüglich der Verhandlungen, die die Macher im Vorfeld der Veranstaltung werden führen müssen. Nicht auszudenken, was passieren würde, sollte die Games-Messe aufgrund der Corona-Lage erneut im digitalen Raum stattfinden müssen. Mit jedem Monat der Ungewissheit – man denke an verbotene Großveranstaltungen bereits bis zum Jahresende – wird die Vorbereitungszeit auf die nächste Gamescom kürzer.
Eines ist jedenfalls gewiss: Schon am ersten Gamescom-Abend machte sich Vorfreude breit, nicht etwa auf den nächsten Tag oder den nächsten Livestream, sondern auf das nächste Jahr.