Aufmerksamen Leserinnen und Lesern dürfte der Gamestop-Skandal kaum entgangen sein. Das neue, Circle-of-Life genannte, firmeninterne Gamestop-Programm soll Mitarbeiter dazu zwingen, Kunden zu belügen. Damit hat die Spielebranche, beziehungsweise der Spieleeinzelhandel, seinen ersten handfesten Skandal des Jahres 2017. Nach jüngsten Berichten der US-amerikanischen Webseite Kotaku werden Mitarbeiter angehalten, Kunden gezielt falsch zu beraten, um festgelegte Verkaufsquoten zu erfüllen. Jede Branche braucht ihre Skandale, auch weil einzelne Unternehmen damit überhaupt wahrgenommen werden. In Zeiten des immer stärker werdenden Online-Handels ist schlechte PR immerhin besser als gar keine PR.
Vorwürfe gegen Gamestop
Wer die Einzelhandelskette Gamestop kennt, der kennt auch deren Eintauschprogramme. Gegen die Abgabe gelisteter Gebrauchtspiele erhalten Kunden bestimmte Neuerscheinungen. Dass davon vergleichsweise häufig Gebrauch gemacht wird, erkennt man bei einem Ladenbesuch auf den ersten Blick. In den Verkaufsregalen liegen zahllose gebrauchte Titel für die Kunden bereit. Dass Gamestop also gern gebrauchte Ware verkaufen möchte, ist wenig überraschend – und auch unproblematisch. Geht man ins Detail, fällt folgenden Kreislauf auf, der den Umsätzen des Spieleeinzelhändlers zugutekommt: tauschen Kunden ihre gespielten Titel gegen Guthaben oder Geld ein, ist es auch Verkäufersicht besonders sinnvoll, wenn eben diese Kunden ihr Budget auch für gebrauchte Ware wieder ausgeben. Seit Herbst 2016 werden einzelne Mitarbeiter oder auch Filialen von Gamestop nun mithilfe eines Punktesystems bewertet. Dieses umstrittene Prinzip schwappt schrittweise aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland und wird vorwiegend von Unternehmen mit US-amerikanischen Wurzeln eingesetzt. Dass derartige Firmenphilosophien hierzulande nicht immer gut ankommen, hat vor Jahren bereits die Diskussion um den firmeninternen Leitfaden „Statement of Ethics“ der Einzelhandelskette Walmart bewiesen. Nun versucht sich auch Gamestop in Deutschland mit einem Punktesystem, das Druck auf die Verkäufer erzeugt – die ihre Stimmung im schlimmsten Fall an die Kunden weitergeben.
Wie Kotaku berichtete, haben einzelne Mitarbeiter schwere Vorwürfe gegen Gamestop und das Programm „Circle-of-Life“ erhoben. Kunden sollen angeblich dazu angehalten werden, mit Erwerb einer Neuerscheinung weitere Titel vorzubestellen oder zusätzlich ein Gebrauchtspiel zu kaufen. Den Angaben der anonymen Mitarbeiter zufolge würden sich schlechte Punktebewertungen sogar auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Dies sei vor allem in Zeiträumen kritisch, in denen viele neue Blockbuster-Titel erscheinen. Bleiben die Verkäufe gebrauchter Spiele dann aus, weil Kunden nur zu Neuware griffen, müssten die Mitarbeiter ihr Punktekonto in der Folgezeit wieder aufbessern: durch den verstärkten Verkauf von Gebrauchtspielen.
Am Ende bleibt die Frage, wie vertrauenswürdig diese anonymen Vorwürfe sind und wie Gamestop mit dem Skandal umgeht. Der Gamestop-Geschäftsführer Tony Bartel hat sich in einem internen Rundschreiben, das auch Kotaku vorliegt, dazu geäußert: „Ich weiß, dass diese Einzelfälle nicht die überwältigende Mehrheit unserer Kollegen und wie sie ihre Kunden behandeln, repräsentieren.“
Alles also nur heiße Luft oder ein Versuch, den Einfluss des firmeninternen Programms klein zureden?
Wie verbreitet das „Circle-of-Life“-Programm auch in den deutschen Filialen angewendet wird, ist derzeit nicht bekannt. Gamestop Deutschland hat sich bisher zu keiner Stellungnahme verleiten lassen. Die Gamestar veröffentlichte jedoch Informationen, nach denen das Punktesystem auch hierzulande Anwendung findet – allerdings in geringerem Maße als in den USA. Andere Angestellte weisen gar darauf hin, dass kein Druck auf sie ausgeübt werde. An Ende entscheiden ohnehin die Kunden.
Mündige Kunden: Die Sache mit den Informationen
Die Tatsache, Kunden würden in Verkaufsgesprächen gezielt falsch beraten, trifft oft diejenigen, die sich in der Spielebranche wenig oder gar nicht auskennen. Mündige Kunden lassen sich von Lobpreisungen des Einzelhandels seltener zu Käufen verleiten. Sich in Ladenlokalen blind auf die Versprechungen der Verkäufer zu verlassen, ist in Zeiten optimierter Verkaufsprozesse, Vertriebsschulungen und effizienter Lagerbestandsverwaltung ohnehin keine gute Entscheidung. Der Einzelhandel hat seine überlebenswichtige Vertrauensrolle verspielt. Dass Kunden am Ende gänzlich auf Beratungen verzichten, um die Vorteile des Online-Handels zu nutzen, dürfte damit nicht überraschend sein. Der Trend zum Online-Einkauf zu unterbrechen hängt davon ab, wie Einzelhändler mit ihren Kunden umgehen.
Individuelle Beratungen und gute Informationen lassen Kunden auch höhere Preis zufrieden bezahlen. In Zeiten der leichten Zugänglichkeit von Informationen scheint es fast so, als verschlössen Einzelhändler bewusst die Augen vor der Tatsache, dass Kunden Ladenlokale gut informiert besuchten. Mündige Kunden gehen mit klar umgrenzten Kaufinteressen in die Geschäfte. Auch mit dem Wissen, dass die Preise höher sein können als in bekannten Internetshops. Kunden sind bereit, lokale Ladengeschäfte zu unterstützen. Einzelhändler müssen diese Bereitschaft annehmen – auch durch einen Fokus auf den vertrauensvollen Umgang mit ihren Kunden.
UPDATE am 26. Februar 2017: Aufgrund der negativen Presse ändert das Unternehmen Gamestop Details des kritisierten „Circle of Life“-Programms, um den Druck auf die Mitarbeiter zu verringern. In der Theorie klingen vor allem die Detailänderungen an den „Scores“ sinnvoll. Zugleich zeigen diese aber auch, wie einschneidend das CoL-Programm gewesen sein muss. Details lest ihr im Bericht der Gamestar.
Wer positive oder negative Erfahrungen mit Gamestop gemacht hat, schreibt uns gern eine Mail unter info@web19.s247.goserver.host oder diskutiert mit auf Facebook oder Twitter.