Bereits seit März regiert „El Presidente“ auf dem PC über seine Inselwelten, nun dürfen auch Konsolenspieler ran. Nachdem Tropico 6 im Preview-Programm für Xbox lief, ist das Wirtschaftssimulationsspiel mittlerweile als vollwertiger Release-Titel erhältlich: „Größer, besser, schöner“, meint der Diktator selbst. Ob er damit wirklich richtig liegt, verraten wir in unserem ausführlichen Spieletest zu Tropico 6 für Xbox One.
„El Presidente“ ist so etwas wie der Arnold Schwarzenegger der Gaming-Branche. Er taucht mit fast schon an Gewohnheit grenzender Regelmäßigkeit auf den Bildschirmen auf – und liefert ab. Im Jahr 2001 feierte der lässige Staatschef seine Premiere. Fünf Fortsetzungen und rund 18 Jahre später hat die Videospielreihe nichts von ihrem Charme verloren. In Tropico 6 herrscht der gealterte Präsident nun erneut über seine Bananenrepublik. Wie gut er sich dabei anstellt, hängt vor allem von einer Sache ab: den Aufbau-Skills des Spielers.
Herrschen unter Palmen
Tropico 6 geizt nicht mit großen Ankündigungen: schöner soll der neueste Ableger der Wirtschaftssimulation sein, vielfältiger, ausladender – vor allem aber besser. Die erste Neuerung fällt nicht sofort ins Auge, ist aber erwähnenswert. Im Gegensatz zu den letzten drei Vorgängern steckt nicht der bulgarische Spiele-Entwickler Haemimont Games hinter dem Schaffensprozess, sondern das kleine deutsche Entwicklerstudio Limbic Entertainment, das bereits verantwortlich für die Teile sechs und sieben von Might & Magic Heroes war. Die Hessen machen ihre Sache gut.
Tropico 6 holt Spieler mit karibischen Rhythmen bereits im Titelbildschirm ab. Nach einigen heimlichen Hüftschwüngen geht es dann schon los. Erstmals herrscht „El Presidente“ nicht nur über eine Insel, sondern baut sein Imperium auf einer ganzen Inselgruppe auf. Spieler, die bereits Erfahrungen mit einem der Vorgänger gesammelt haben, fühlen sich sofort willkommen im kommunistischen Paradies.
In der Rolle des Herrschers lenkt man dann die Geschicke seiner Untertanen, kurbelt die Wirtschaft an, baut Industriegebiete auf oder zieht Touristen die Dollars aus der Tasche. Etwas schade: Vor allem der Herrscher selbst bleibt konturlos. Ja, es ist schön, sich als Spieler seinen „El Presidente“ mithilfe verschiedener Accessoires und Klamotten zu basteln, dennoch wirkt die Idee kraftlos. Wer das Ur-Tropico gespielt hat, erinnert sich vielleicht an das gute, manchmal auch mulmige Gefühle, in die Lederslipper einer historischen Figur schlüpfen zu dürfen. Wie der Präsident an die Macht gelangen konnte, bleibt ein spieltechnisches Geheimnis.
Viel gelungener ist dagegen die Idee, erstmal selbst den Präsidentenpalast gestalten zu können. Mit fortschreitender Spielerfahrung tun sich weitere Möglichkeiten auf, seinem Herrschaftshaus den Design-Stempel aufzudrücken. Architektur, Wandfarbe, Dekorationen – es lässt sich Vieles umarbeiten. Am Ende bleibt das Konzept eine Spielerei – wenn auch eine schöne. Effekte lösen die Umbauten nicht aus. Allein im Multiplayer können andere Spieler anhand der freigeschalteten Deko auf die Spielerfahrung schließen.
Größer und schöner
Die karibischen Insellandschaften in Tropico 6 sind nicht nur groß, sondern auch hübsch. Egal in welcher geografischen Zusammensetzung – von kleinen Ansammlungen bis hin zu mehreren weitläufigen Inseln stehen viele Möglichkeiten zur Verfügung – die Landschaften, das Wasser, die Gebäude: alles ist wunderschön und detailliert in Szene gesetzt. Die Grafik von Tropico 6 trägt maßgeblich zur Qualität der Wirtschaftssimulation bei. Von der Komplettansicht über das Archipel bis hin zu einem Zoom hinunter in die Detailansicht reicht die Kameraführung. Und das Spiel sieht in jeder Zoomstufe hervorragend aus. Gelegentliche Clipping-Fehler oder einzelne matschige Texturen fallen allerdings auf und passen dann so gar nicht zu dem ansonsten gelungenen optischen Gerüst, das die Unreal Engine 4 auf die Bildschirme zaubert. Auch die spürbaren Ruckler wirken störend, hier sollte Limbic Entertainment Abhilfe schaffen.
Für die Xbox One X gibt es optional die Möglichkeit, auf eine 4K-Auflösung zu wechseln, ansonsten sieht aber auch die HD-Variante mit ihrer aufgebohrten Visualisierung wunderbar aus.
Die tolle Optik ist die Grundlage für die politische Betriebsamkeit von „El Presidente“. Die Möglichkeiten, sich im eigenen Bananenarchipel auszutoben sind zahllos. Im Laufe der vier Zeitalter von der Kolonialzeit bis in die Moderne wird man mit einer Flut an Optionen konfrontiert. Auch wenn sich der Baukasten mit dem zeitlichen Fortschritt erweitert und neue Gebäude nach und nach zugänglich werden, ist die Vielfalt derart gigantisch, dass vor allem Anfänger sich überfordert fühlen könnten. Das hilft auch das Tutorial nicht, dass zwar die Grundzüge des Spiels erklärt, am Ende jedoch Fragen offenlässt. In Tropico 6 gilt: Herrsche und probiere. Auch ein „El Presidente“ wird scheinbar nicht über Nacht geboren und so braucht es viel Anläufe (vor allem im Endlosspiel) bis man als Spieler wirklich mit seinem Start zufrieden ist.
Wer erst einige Stunden an der Zigarre genuckelt hat, lernt die vielfältigen Möglichkeiten jedoch zu schätzen. Geht es zu Beginn meist um simple landwirtschaftliche Rohstoffe mit denen erste Dollars verdient werden, füllen Spieler die Taschen des Diktators später durch ökonomische Spezialisierungen. Dann spielt Tropico 6 seine Stärken richtig aus: eine verqualmte Industrieinsel, die so hohe Geldsummen wie Umweltverschmutzung produziert? Der Rubel rollt. Ein Touristenparadies mit Glücksspieltempel? Tolle Idee. Eine Kolonie für Strafgefangene? Auch das ist möglich.
In Tropico 6 kann man sich einfach austoben, um das Vermögen und damit die Investitionsmöglichkeiten zu vergrößern. Vieles funktioniert, nicht alles ist jedoch auch effizient. Dennoch: Auch Schön-Bauer kommen auf den hübschen Inselwelten voll auf ihre Kosten. Und dann macht es Spaß, hinein und hinaus zu zoomen, einzelne Gebäude mit der Kamera zu umkreisen und seine kommunistische Karibikwelt zu bestaunen.
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Mit finanziellen Mittel allein regiert jedoch auch „El Presidente“ nicht. Mindestens genauso wichtig ist die Propaganda-Maschinerie, die, wenn erst ins Rollen gekommen ist, enorm effektiv ist, um seine Macht auszubauen – oder an der Macht zu bleiben. Mit Versprechungen und klugen ökonomischen Entscheidungen wollen die verschiedenen Fraktionen und die Tropicaner bei Laune gehalten werden. Jede Fraktion vertritt dabei selbstverständliche ihre eigenen Interessen: Die Kirche steht auf Glaubenshäuser und Kliniken, die Kapitalisten wünschen Handelsbeziehungen. Sich zu fokussieren und zu einseitig zu handeln, kann im Chaos enden. Finanzkrisen, Aufstände, Invasionen: es gibt viele Übel, die einem Diktator das Leben schwermachen können. Stehen dann noch Wahlen an und dominieren jene Tropicaner die Abstimmungen, die einer unzufriedenen Fraktion angehören, muss selbst „El Presidente“ manchmal abdanken.
Was manchmal hilft, sind die Schreckenswerkzeuge der Diktatoren. Tropicaner zu bestechen, zu verhaften oder auch mal einen Attentäter zu engagieren, um „Probleme“ zu lösen, sind Optionen, die man auf dem Schirm haben sollte. Moralisch fragwürdige Entscheidungen gehören zu Tropico wie Palmen und Zigarren – und verleihen auch dem sechsten Teil Einzigartigkeit. Das Politiksystem war immer eines der Highlights der Tropico-Reihe und ist es auch im neuesten Ableger. Auch die beliebten Wahlreden mit ihren vollmundigen Versprechungen an die Untertanen sind wieder im Spiel zu finden. Tropico 6 verzeiht Spielern dennoch so manche ungünstige Entscheidung. Das ist clever, denn so werden die spielerischen Möglichkeiten niemals spürbar eingeschränkt. Das Spiel bleibt dadurch seiner Linie treu und ist von Anfang bis Ende als virtueller Experimentierkasten ausgerichtet.
Das ist allerdings Fluch und Segen zugleich. Spieler können sich ausprobieren, erfahren dafür im Gegenzug jedoch nur selten wirklich mechanische Effekte. Tropico 6 lässt an manchen Stellen offen, weshalb eine bestimmte Strategie nicht funktioniert hat. Manchmal bleibt das Scheitern undurchsichtig, was Spielern erschwert, aus ihren gemachten Fehlern zu lernen.
„El Presidente“ macht keine Pause
Von Beginn an erschaffen und optimieren Herrscher ihre Warenketten, erschließen neue Ressourcen, treiben Handel und kümmern sich um ihre Transportwege. Viel zu tun gibt es immer, Langeweile kommt bei Tropico 6 weder im Kampagnen-Modus noch im Endlosspiel auf. Ohnehin werden die späteren Aufgaben und Missionen spürbar kniffliger, weil Synergien zwischen einzelnen Gebäuden und Industriezweigen eine bedeutendere Rolle spielen. Dann geht es nicht mehr nur darum, die Betriebe zu erreichten, sondern auch an deren Produktivität zu schrauben und Zusatz-Optionen gezielt auszuwählen.
Wer die Grundstrukturen seiner Inseln erst aufgebaut hat, kann sich den „Spielereien“ widmen. Weltwunder anderer Nationen zu entleihen ist nicht nur möglich, sondern ratsam. Auch wenn es seltsam wirkt, den Eiffelturm oder die US-amerikanische Freiheitsstatue im Inselstaat zu errichten – immerhin: die Tropicaner sind erfreut über diese besondere Form der „außenpolitischen Beziehungen“. Dabei sind die Weltwunder nicht nur rein optischer Natur, sondern verleihen mächtige Boni, etwa bei der Zufriedenheit neuer Inselbewohner oder bei den Touristen. Sogar negativen Effekten können Diktatoren so entgegenwirken. Wer seine Insel mit Industrieanlagen vollgestopft und die Luft verpestet hat, kann mit dem Steinkreis „Stonehenge“ für eine bessere Umwelt sorgen. Einfach anfordern kann auch „El Presidente“ die Wunderbaute nicht; zuvor müssen Punkte erreicht und Herausforderungen gemeistert werden, um die Raubzüge anzuordnen.
Mangelnde Handlungsvielfalt kann man Tropico 6 nicht vorwerfen. Beständig sind Spieler damit beschäftigt, ihr im Tutorial oder aufgrund ihrer Vorerfahrungen gesammeltes Wissen nutzbringen für den Fortschritt des Archipels einzusetzen. Regelmäßig kommen neue Optionen hinzu, die den kommunistischen Experimentierkasten wieder öffnen. Je tiefer man in die Abläufe eindringt, desto mehr wünscht man sich weitere Eingriffsmöglichkeiten, um beispielsweise Transportabläufe „en detail“ zu steuern. Trotz der gigantischen Optionsvielfalt krankt es bei Tropico 6 manchmal an eben diesen Details, vor allem beim Transportbüro. Etwas mehr Steuerbarkeit der logistischen Prozesse wären wünschenswert gewesen. Da wird Potenzial verschenkt: Wer über mehrere Inseln herrscht, sollte jede einzelne von ihnen als in sich stimmigen Wirtschaftskreislauf nutzen können. Immerhin bieten sich kleinere Mechanismen, um etwa lokale Konsumenten von Rohstoffen fernzuhalten.
Klasse ist der neue Broker, der das Schweizer Bankkonto verwaltet und in regelmäßigen Abständen interessante, zeitlich begrenzte Offerten an den Präsidenten weiterleitet. So gelangen Spieler etwa günstig an neue Technologien. Der Kniff gefällt und macht das Nummernkonto endlich auch spielerisch wirklich sinnvoll.
Das Balancing passt überwiegend. Die Abläufe in Tropico 6 funktionieren gut und zumeist logisch. Manchmal treffen die Tropicaner dennoch merkwürdige Entscheidungen, beispielsweise wenn es um ihre bevorzugte Wohngegen geht, die dann nicht immer auch dem Verdienst entspricht. Kleinigkeiten, über die „El Presidente“ allerdings nur müde lächeln kann.
Ein Ring sie zu knechten
Gebaut wird bei Tropico 6 für Xbox One mithilfe eines Bedienkreises. Das ist zwar ganz Gamepad-like, erfordert jedoch etwas Eingewöhnung. Vor allem zu Beginn geht die Steuerung mit dem verschachtelten Ring-Menü nicht ganz so intuitiv von der Hand und auch die Kamerasteuerung erfordert etwas Übung. Mit den Schultertasten switchen Spieler zwischen den Reitern in den gut gefüllten Informationsfenstern, das Steuerkreuz kommt zum Einsatz, um einzelnen Optionen auszuwählen. Ja, die Steuerung mit dem Gamepad ist um Längen weniger komfortabel als die klassische mittels Maus und Tastatur, dennoch ist Tropico 6 insgesamt bedienfreundlich gestaltet.
Gelegentlich erweist es sich allerdings als schwierig, einzelne Gebäude auszuwählen oder Straßen ohne ausufernde Kamera-Nachjustierungen zu bauen. Hier wäre etwas mehr Präzision, vor allem bei benachbarten Gebäuden, wünschenswert. Das Problem umgehen kann man meist durch Hineinzoomen.
Klappt die Steuerung, gibt es viel zu tun. Entweder starten Spieler das Endlosspiel oder greifen auf die Missionen zurück. Eine zusammenhängende Kampagne gibt es nicht, dafür 15 Aufgaben, die jeweils eigene Szenarien aus dem Leben des Diktators darstellen. Hinzu kommt ein Koop-Modus, bei dem allerdings auch interne Kriege möglich sind. Was in jedem Modus mitschwingt, ist der für die Tropico-Reihe typische Humor. Es gibt unfassbar viele witzige Szenen und verrückte, manchmal absurde Aufgaben. Vor allem die Dialoge sind gelungen.
Media zu Tropico 6
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Infobox
Spielerzahl: Solo-Modus (Missionen und Sandbox) und Mehrspieler
Alter: USK ab 12 Jahren
Spieldauer: 40+ Spielstunden
Schwierigkeit: mittel
Langzeitmotivation: hoch
Publisher: Kalypso Media
Entwickler: Limbic Entertainment
Erscheinungsjahr: 2019
Plattformen: PC, Xbox One, Playstation 4, Nintendo Switch
Sprache: Deutsch
Kosten: 54,99 Euro
Fazit
Tolle Optik, cooler Sound, witzige Missionen und eine fast schon erdrückende Vielfalt an spielerischen Optionen machen aus Tropico 6 eine der derzeit besten Wirtschaftssimulationen. Ist die Konkurrenz auf dem PC größer, gibt es zumindest für Konsolenspieler eher wenige Alternativen im Bereich der komplexen Aufbauspiele. Allein vor diesem Hintergrund darf sich „El Presidente“ auf der Xbox One das Krönchen für einen Top-Titel aufsetzen.
Frei von Schwächen ist Tropico 6 damit aber nicht. Limbic Entertainment setzt das Spiel mit viel Liebe zum Detail um, vernachlässigen dabei mitunter aber die Übersichtlichkeit. Nicht selten, muss man auf die Suche nach Optionen gehen oder vergisst wichtige Handlungsmöglichkeiten aufgrund der Vielfalt. Ja, das ist auch eine Sache der Erfahrung, macht aus Tropico 6 trotz des guten Tutorials eher einen Expertentitel, der sich alles andere als einsteigerfreundliche präsentiert. Man muss sich als Neuling hinein arbeiten in das Leben eines Diktators, dann entfaltet sich der Spielspaß ebenso schrittweise, wie die Spieloptionen im Laufe einer Partie. Das Spiel ist auf mehreren Ebene eine Herausforderung. Richtig gut ist Tropico 6 im Endlosspiel, dann kommen die Neuerungen erst richtig zur Geltung. Die Anreißer in den Missionen sorgen eher für kurzweilige Unterhaltung, auch wenn einige Aufgaben durchaus fordernd sind.
Die Videospiel-Serie bleibt sich trotz einiger Neuerungen treu. Das ist gut, denn Tropico schafft den Spagat zwischen Aufbauspiel, Wirtschaftssimulation und Politikspiel auch in der neuesten Auflage. Es macht Spaß, sein Inselreich zu gestalten, dabei moralisch fragwürdige Entscheidungen zu treffen und auch mal in die kommunistische Trickkiste zu greifen, um die Geschicke des Landes zu lenken – immer unter der Prämisse, dass „El Presidente“ es gar nicht gernhat, wenn die Dollars an seinen Taschen vorbeifließen. Und so bleibt viel Raum für Optimierungen, Veränderungen und Neuanfänge – auch, wenn man nicht selten an seinen eigenen Plänen verzweifelt.