Brettspiele: Kulturgut- und Unterhaltung für Millionen Menschen weltweit, für Kinder wie Erwachsene – aber so richtig adult kommt die Masse der Titel nicht daher. Selbst knallharte Themen aus der Realität werden für ihre Umsetzung auf dem Spieltisch häufig weichgespült. Das muss nicht sein. Es darf nicht sein. Eine Meinung.
Schon ein kurzer Kontakt mit dem Historiker Lukas Boch, Gründungsmitglied des Projekts „Boardgame Historian“, hat ausgereicht, um eine zentrale Frage keimen zu lassen: Lassen Brettspiele die echte Welt zu häufig außen vor?
Keine Frage, auch in Gesellschaftsspielen wird gerne und viel kaputt gemacht. Farbenfroh geht eine Welt zugrunde: Gegner, Gebäude, Fahrzeuge, Ressourcen – aber bitte alles in rein fiktiven Umgebungen. Autoren und Verlage machen es sich vielfach deutlich zu einfach. Sie umschiffen heikle Themen, und falls sich ein Projekt dann doch mutig an realitätsnahe Geschehnisse heranwagt: bitte nur als Setting. Bloß nicht mit Inhalten auseinandersetzen will man sich bei der Entwicklung.
Thematische Brettspiele: Hüllen wie Schachteln voller Luft
Selbst „thematische Brettspiele“ sind daher vor allem als leere Hüllen zu verstehen. Sie geben durch eine anleitende Kurzgeschichte und dann optisch einen Rahmen vor, innerhalb dessen Grenzen Spieler sich austoben dürfen. Und es sind auch die Spielenden selbst, die Kulturelles hineinlesen oder sogar darüber diskutieren sollen. „Winnetou“-Vorfälle will man bei Spielwaren vermeiden so gut es eben geht.
Das nimmt mitunter absurde Züge an. Auf dem Brettspieltisch darf man sich bekriegen – und soll sich auch noch gut fühlen. Spaß haben mit Gefechten. Selbst tatsächliche historische Geschehnisse wie der Zweite Weltkrieg werden dann zu Spielplätzen, deren Themenrahmen einzig dazu dient, dass zwei Spieler kleine Figürchen in die Schlacht ziehen lassen dürfen. Dass Krieg irgendwie doof ist und Frieden deutlich schöner, darüber verliert man kein Wort. Darf man nicht? Muss man nicht? Soll man nicht? Womöglich alles drei. Über unbequeme Themen darf man nicht reden. Man muss es nicht am Brettspieltisch, wo Spaß und Unterhaltung zählen und nicht Diskussionen. Und man soll nicht, weil zu viel Kritik sich einfach schlecht verkauft. Selbst Brettspiele für Erwachsene sind daher thematisch weichgespült: Seichte Unterhaltung und Kulturgut – passt das zusammen? In einer Welt, in der traditionelle Konsumthemen allesamt zur Kulturgütern erklärt werden, ist das offensichtlich kein Problem.
Statt die spannenden Themen dieser Welt zu nutzen, betreiben Autoren und Verlage vielfach einen enormen Aufwand, um sich immer neue Fantasiewelten aus den Fingern zu saugen. Keine Frage: Auch das ist schön, und es ist wichtig. Einmal mal abschalten, in fremde Länder reisen, erfundene Kreaturen treffen. In einem Brettspiel ist das – im Gegensatz zu Büchern oder Filmen – aktiv möglich.
Genau dort liegt aber auch das Problem: Auch ohne lange historische Einleitungen oder textliche Diskussionsbeiträge ließen Brettspiele sich nutzen, um spielerisch Kritik zu üben. Videospiele, aber auch Gesellschaftsspiele bieten einzigartige Möglichkeiten, um dunkle Stunden der Geschichte ins Licht zu drehen. Nazis in einem Großstadt-Setting die Fresse polieren? Hell, yeah! Mächtige Großkonzerne aus dem Regenwald verscheuchen? Auf jeden Fall! Mit Löwen, Tiger und Geparden Großwildjäger zerfleischen? Bin dabei! Die Sonne explodieren und die Erde verschlingen zu lassen, weil die Menschheit die Klimakrise nicht in den Griff bekommen hat? Enorm lehrreich!
Es geht notfalls aber auch deutlich subtiler. Weil Brettspiele kreative Kunstgriffe erlauben, kann man sich diese zunutze machen, um auf drängende Probleme hinzuweisen, womöglich sogar Lösungsansätzen aufzuzeigen. Die Spielwarenbranche nutzt die Chance selten. Nicht aber nie. Denn: Es gibt inzwischen eine Reihe von Brettspiele, die sich nicht nur an sensible Themen herantrauen, sondern den Spielenden auch Einflussmöglichkeiten einräumen.
Spirit Island beispielsweise. Das Brettspiel von Autor Eric Reuss (auch: For Science!, Fealty) stellt den Gegenpol zu typischen Titeln mit Eroberungssetting dar. Hier schlagen die Götter zurück. Oder das Antikriegs-Brettspiel This War of Mine, eine Adaption des gleichnamigen Videospiels. Es thematisiert die Schrecken des Krieges, seine Folgen für jene, die unschuldig hineingezogen werden. Spieler müssen unbequeme Situationen bewältigen, folgenschwere Entscheidungen treffen.
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This War of Mine: Das Brettspiel | Galakta | Deutsch |Brettspiel... * |
52,43 EUR |
Andere Spiele stellen den Klimawandel oder eine drohende Nuklearkatastrophe zumindest rudimentär in den Mittelpunkt. Und es tut sich auch etwas: Wenn sogar Autoren wie das Duo Inka und Markus Brand – die sonst zwar für gute Unterhaltung, aber seichte Themen stehen – in ihrem Brettspiel Village sich mit der Vergänglichkeit des Lebens im Mittelalter beschäftigen, dann ist das ein leises Signal. In der Anleitung zur Neuauflage von Puerto Rico von Ravensburger findet sich sogar eine Erklärung zu den kulturellen Hintergründen für die Überarbeitung.
Das Gros der Branche setzt dennoch meist auf Glorifizierung, und man kann es den Verlagen kaum verübeln: Das Mittelalter als Thema ist zum Beispielen in Brettspielen beliebt. Landwirte beackern dann in einer Art alternativer Realität ertragreiche Felder, edle Recken stürmen die Schlachtfelder. Dass die Menschen im Mittelalter womöglich nicht mit der Sonnenseite des Lebens konfrontiert waren, blendet man lieber aus – auch der Spielenden zuliebe. Wer möchte schon Punkte sammeln mit halbverhungerten Bauern, oder mit Rittern in verbeulten Rüstungen, nach ihren eigenen Fäkalien riechend, auf Schlachtfelder ziehen, um dort in einer brutalen Hackerei seine Gliedmaßen zu verlieren? Die Realität ist manchmal einfach nicht so sexy wie Brettspiele einem vorgaukeln.
Und die Essenz aus der Kritik? Brettspiele müssen nicht immer ernst sein, sie sollen und müssen die Fantasie anregen, Gedankenausflüge erlauben, eine Möglichkeit zum Abschalten sein, aber sie dürfen aber ruhig mal den Finger in die Wunde legen, wo es nötig ist.
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