Rund eine Woche ist Cyberpunk 2077 nun erhältlich und rund um den Release des Titels spielt sich ein echtes Drama ab. Da wird kritisiert, verteidigt, gelobt, gehasst, umgetauscht und Umtausch verweigert, gespielt trotz Bugs, genossen am PC, geflucht an den Konsolen – und alles gipfelte darin, dass Sony das Spiel offiziell aufgrund der Deutlichkeit der Qualitätsmängel aus seinem Store entfernt hat, um so die Refunds in Absprache mit CDPR zu erleichtern. Dabei war das Chaos vorprogrammiert: CD Projekt Red selbst hatte sich in eine Lage gebracht, aus der es kein Entkommen mehr gab.
– ein Kommentar von André Volkmann
Unter einem guten Stern stand die finale Entwicklungsphase von Cyberpunk 2077 schon lange nicht mehr. Verschiebungen, der gefürchtete und viel kritisierte Crunch – zur Veröffentlichung am 10. Dezember hatte man das Action-Rollenspiel regelrecht treiben müssen. War es mutig, Cyberpunk 2077 bereits zum Monatsbeginn auf den Markt zu bringen? Nein. Mutig wäre gewesen, das Spiel ein weiteres Mal zu verschieben und deswegen möglicherweise einen Shitstorm auszuhalten, den man nach dem nun erfolgten missglückten Release doppelt und dreifach erfährt. Anders gefragt: Ist es mutig, wenn ein Held sich gleichzeitig zehn zwölfköpfigen Riesenschlangen stellt?
Cyberpunk 2077: Mit Volldampf in die Scheiße
Die Aktionäre von CD Projekt Red fahren derzeit Quasi-Verluste ein, die Aktie ist deutlich eingebrochen nachdem die Probleme des Action-Rollenspiels bekannt und die kritischen Stimmen lauter wurden. Das realisiert sich nun in Milliardenverlusten für die Gründer des Unternehmens, Analysten von Bloomberg sprechen von rund einer Milliarde US-Dollar. Zwar ist derzeit eine leichte Erholung der Aktie sichtbar, dennoch steht das Chart-Bild sinnbildlich für den misslungenen Launch, den man bei CD Projekt Red gewissermaßen selbst herausbeschworen hat.
Vor allem auf den Last-Gen-Konsolen Xbox One und Playstation 4 ist Cyberpunk 2077 ein Desaster: Matschige Texturen, nicht ladende Texturen, Bugs, Glitches, regelmäßige Abstürze – es gibt vieles, das Fans derzeit zu recht an dem Rollenspiel bemängeln. Auf den Current-gen-Konsolen werden zumindest die Performance-Probleme abgefangen, das Spiel läuft flüssiger, aber dennoch alles andere als „smooth“. Sanft, seidig und hübsch gibt es nämlich derzeit nur für PC-Spieler und genau da liegt das Problem.
Nicht, dass man den Besitzern teurer Gaming-Rechner es nicht wünscht, im Gegenteil: Wer tausende Euro in eine Rechenmaschine pumpt, soll dafür auch ein maximal-schönes Spielerlebnis genießen dürfen. Wer „nur“ eine Playstation 4 oder Xbox One besitzt, musste natürlich damit rechnen, dass Cyberpunk 2077 auf dem Bildschirm anders aussehen, sich dadurch vielleicht sogar anders – also weniger sanft und seidig – spielen würde. Voraussetzungen für diese Erfahrung ist allerdings, dass man ein Spiel überhaupt spielen kann – und da hakt es gewaltig. Angefeuert von monatelangem Marketing-Sprech hatte CD Projekt Red sich Vorschusslorbeeren und millionenfache Vorbestellungen erarbeitet. Angefeuert von monatelangem Marketing-Sprech hatte man in den Köpfen der Spieler das Bild von einem perfekten Rollenspiel erzeugt. Und wenn dann sogar noch Keanu Reeves in der Startwoche mehr TV-Werbeminuten inne hat als die Parship-Schauspieler, dann muss Cyberpunk 2077 einfach der ganz große Wurf werden.
Die Realität zeigt nun: Wurde es nicht. Zumindest nicht auf allen Plattformen. Man hätte mögliche Probleme im Vorfeld der Veröffentlichung kommunizieren können, vielleicht durch die Blume auf bestehen Schwierigkeiten hinweisen können, die Konsolenspieler erwarten können. Darauf hat man – vermutlich ganz bewusst – verzichtet. Stattdessen befeuerten namhafte Magazine durch grandiose Tests der PC-Version die Verkäufe an. Reviews von der Konsolenfassung gab es nicht, CD Projekt Red hatte einfach keine Keys verteilt. Ernsthaft?
Fast scheint es, als hätte man die Games-Presse instrumentalisiert. Hätten Kritiker nämlich Reviews zur Konsolenfassung von Cyberpunk 2077 veröffentlichen können, hätte CD Projekt Red sich vermutlich einer ungemütlichen Wahrheit stellen müssen: Der Entwicklungsstand auf Last-Gen-Konsolen ist noch nicht so weit.
Nun könnte man fragen: Wen interessieren noch Last-Gen-Konsolen? In der Übergangszeit zwischen zwei Konsolengenerationen zeigen Millionen von Fans Interesse! Viele warten noch auf ihre Playstation 5 oder Xbox Series X, anderen sind die neuen Modelle noch zu teuer – und überhaupt: Eine Next-Gen-Fassung von Cyberpunk 2077 gibt es noch gar nicht. Das Action-Rollenspiel hätte daher deutlich fokussierter für PS4 und Xbox One entwickelt werden sollen, damit es zu dem großen Desaster gar nicht kommen kann. Die wirklich große Zielgruppe hatte man schlicht ignoriert. Und wenn sogar die ansonsten eher biedere Tagesschau sich dem Themenkomplex „Gaming, Sony und Cyberpunk“ widmet, dann muss mächtig etwas schief gelaufen sein.
Und bei den Online-Händlern wird unter anderem die Collector’s Edition der Playstation-4-Version beworben mit Aussagen von Fachmagazinen, die wohl kaum zu dieser Version passen: „It Looks incredible“, „May be the best Video Game ever made“ oder noch besser: „Incredible amount of detail“. Wer den ganzen Ghostfaces der PS4-Version ins Gesicht geschaut und dort nicht mehr gesehen hat als…nichts…der dürfte den Kopf schütteln angesichts dieser dreisten Verwendung der Zitate. Und natürlich macht man sich nicht die Mühe für die Last-Gen-Versionen einen anderen, weniger mit Superlativen gespickten Banner zu erstellen: Wahrheit ist das Gegenteil von Marketing. Und mit dem Gegenteil von Marketing verkauft man keine Spiele.
Vielfach wurde CD Projekt Red in den vergangenen Monate für das grandiose Marketing gelobt. Blöd ist nur, wenn man dann nicht halten kann, was man versprochen hat. Dabei ist es nicht einmal das mangelnde Vertrauen in die Fähigkeiten der Entwickler. Nach den Releases der The Witcher-Titel war jedem klar: Auch Cyberpunk 2077 wird ein Knüller! Man hätte gern noch weitere Wochen oder Monate auf das Spiel gewartet, eine weitere kurzfristige Verschiebung hingenommen, nur um die Entwickler so feiern zu können, wie sie es eigentlich verdient hätten. Stattdessen spaltet sich die Community in mehrere Lager: PC-Zocker feiern das Spiel, Last-Gen-Besitzer ärgern sich über ihre 70-Euro-Investition – und Current-Gen-Fans stehen irgendwo dazwischen, weil sie Cyberpunk 2077 zwar spielen, aber eigentlich doch auf die optimierten Konsolenfassungen warten. Und was machen die Konsoleros nun? Die kommen sich derzeit ziemlich verarscht vor. Wäre Cyberpunk 2077 nicht Cyberpunk 2077 und CD Projekt Red nicht CD Projekt Red, hätte man schon längst gerufen: So geht man nicht mit Kunden um!
Fast noch ärgerlicher: Der verfrühte Release führt nun zum Gegenteil von Wertschätzung für die Arbeit der Developer bei CD Projekt Red. So gern würde man feiern, sich für den „Crunch“ bedanken, aber man ist zu sehr mit der Kritik beschäftigt, die sich aufdrängt, der man nicht entkommen kann, die man eigentlich gar nicht üben will, aber muss, damit so etwas zukünftig nicht noch mal passiert. Und beim Schreiben dieser Zeilen kommt fast schon so etwas wie ein schlechtes Gewissen auf: Ubisoft, Electronic Arts oder Square Enix – sie alle darf man in der Games-Branche öffentlich und ausufernd für ihre „Fails“ tadeln. CD Projekt Red tadeln darf man aber nicht, hat man das Gefühl.