Die Entwicklung von Facebook, dem derzeit wohl bedeutsamsten Sozialen Netzwerk, war rasant. Als das Projekt im Jahr 2004 an den Start ging, waren die Gefühle der potenziellen Nutzer gemischt. Durchgesetzt hat sich das Soziale Netzwerk dennoch: vielleicht, weil die Grundidee derart simpel ist, das selbst unerfahrene Computernutzer sie verstehen können. Im Laufe der Jahre hat Facebook sich an vielen Neuerungen versucht, die mal mehr und man weniger gut von den Usern angenommen wurden.
Echte Innovationen gab es dagegen kaum. Die kreative Durststrecke in den Sozialen Netzwerken wollen nun ausgerechnet einige Österreicher beenden, die vom Silicon Valley ungefähr soweit entfernt sind, wie die Menschen vom Mond.
Die Grundidee ist ähnlich simpel wie die der Facebook-Gründer: statt auf unzählige Programme und Netzwerke einzeln zugreifen zu müssen, sollen User über eine einzige Plattform mit anderen in Kontakt treten. Zusätzliche Funktionen wie Spiele oder Multi-Media-Funktionen sollen das Social Feeling innerhalb einer virtuellen Umgebung erweitern – auf Wunsch kann der User sogar ein virtuelles Haustier pflegen.
Das VR Social Network haben die Grazer connect getauft. Das ist nicht besonders innovativ, vermittelt aber einen ersten Eindruck von dem, was die Nutzer erwartet. Interessenten können connect ab sofort über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter unterstützen.
Virtual Reality: Boom steht erst bevor
Computernutzer in virtuelle Welten eintauchen zu lassen, um digitale Inhalte hautnah erlebbar zu machen, ist keine neue Idee. Bereits in den 1990er Jahren entstanden in den Videospielbranche Grundgedanken, um Gamer mithilfe technischer Lösungen direkt in das Spielgeschehen hineinzuziehen. Von der kompromisslosen Umsetzung dieser Visionen sind Entwickler auch heutzutage noch weit entfernt. Ja, Virtual Reality ist ein Trendthema. Ja, die Hardware hat sich im Laufe der letzten Jahre spürbar verbessert. Und dennoch sind Erfahrungen innerhalb der virtuellen Welt derzeit eher wenigen Nutzern vorbehalten – meist denen, die über ein entsprechendes Budget für die Anschaffung der benötigten Hardware verfügen. Dass die VR-Hardware noch unausgereift ist, denkt auch der Österreicher Michael Schöggl, der sein StartUp E.com dennoch auf die Massennutzung von Virtual Reality ausrichtet. Selbstbewusst nimmt Schöggl es mit den Social-Network-Giganten auf: „Wie attraktiv virtuelle Welten sind, hängt dann – im Gegensatz zu jetzt – nicht mehr so vordergründig von den VR-Brillen ab, sondern von der Software und den Möglichkeiten, die man dadurch hat. Viele große Unternehmen wie Google oder Facebook arbeiten an Virtual-Reality-Netzwerken, weil sie den kommenden Trend vorhersehen. Im Gegensatz zu ihnen sind wir aber in einigen Bereichen ein paar große Schritte voraus, u.a. bezüglich der Möglichkeit, sich wirklich vollkommen frei durch den virtuellen Raum zu bewegen und mit allem zu interagieren.“ Zugegeben: wer im Löwenkäfig überleben will, muss am lautesten Brüllen.
Der Boom der virtuellen Realitäten steht der Technikwelt erst bevor. Große Unternehmen wie etwa Microsoft haben bei der Entwicklung neuer Hardware (beispielsweise der Xbox One X) auf die Innovation Virtual Reality bewusst verzichtet. Andere, wie etwa Sony mit der Playstation 4, haben einen gegenteiligen Weg beschritten, um Fans durch VR-Hardware einzigartige Erlebnisse und einen echten USP zu bieten (Unique Selling Point). Wie man die Qualität der VR-Games für Sonys Playstation oder auf dem PC letztendlich bewertet, ist mitunter Geschmackssache. Rein technisch bieten aktuelle VR-Lösungen noch lange nicht die Leistungsfähigkeit, die notwendig wäre, um die Grundgedanken aus den 1990ern adäquat umzusetzen. Das sieht Schöggl ähnlich: „Die Hardware ist noch nicht soweit, dass sie die breite Masse ansprechen kann.“ Aus diesem Grund startet connect nicht als reines Virtual-Reality-Produkt. Der Mastermind hinter dem Netzwerk leitet ein zwölfköpfiges Entwicklerteam, das connect auch Nutzern ohne VR-Devices in den Bann ziehen soll: „connect darf und wird sich niemals als reine VR-App sehen, 95% aller Nutzer werden auch im Laufe der nächsten Jahre noch connect ohne VR verwenden. Der VR-Hype, der versucht wurde, künstlich zu erzeugen, ist ziemlich eingebrochen bzw. kommt gar nicht erst wirklich zustande.“
Noch bis zum 16. September haben Backer die Möglichkeit, ihre Geld in das Projekt zu investieren. Rund 25.000 Euro hat das StartUp E.com als Finanzierungsziel festgelegt – und liegt damit unter den Summen, die für weit weniger innovative Projekte veranschlagt werden. Das Feedback erster Tester scheint positiv zu sein. Trotz der Freude über die Rückmeldungen, bleibt der Österreicher Schöggl aber realistisch: „95% aller VR-Tester sind total überwältigt und begeistert, nutzen die Möglichkeit für viele Minuten bis Stunden und geben uns gewaltiges Feedback. Aber wir wissen genau: dieses Erlebnis ist von kurzer Dauer. Für eine häufig, regelmäßige Anwendung ist die Hardware einfach – ganz knapp – noch nicht soweit. Aber all diese Entwicklungen – höhere Auflösung, Wegfallen des Kabels, leichtere Brillen, mehr Power – geschehen gerade jetzt und werden in den nächsten 1 bis 2 Jahren zu wirklich massentauglichen und auch günstigen Ergebnissen führen.“
Ein gewisses Risiko bleibt also. Trotz all der guten Ideen ist der Erfolg von VR nicht sicher. Was connect in seiner jetzigen Form zu leisten vermag, können Interessierte ausprobieren, wenn sie die Kampagne über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter unterstützen.
Grazer mit Moralvorstellungen: Don’t fuck privacy!
Datensicherheit ist eines wesentliches Thema bei Sozialen Netzwerken, das in der Vergangenheit sogar den Giganten so manchen Nutzer gekostet hat. Personalisierte Werbung ist für User eher ein Ärgernis, bringt den Unternehmen jedoch Einnahmen. Der Grat zwischen Nutzerinteressen und Unternehmensideologien ist schmal – und sorgt nicht selten für Diskussionen.
Die Österreicher von E.com stellen bei connect Datenschutzbemühungen von Beginn an in den Vordergrund. Schöggl verspricht kontinuierliche Verbesserungen, hält connect jedoch auch zum jetzigen Zeitpunkt für sicher: „Wir bieten bereits Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, bei der nur die zwei Menschen, die miteinander kommunizieren, die Möglichkeit haben, die Nachrichten zu lesen. Nicht einmal wir könnten das, geschweige denn ein Geheimdienst. Die Schlüssel werden nach einigen wenigen Nachrichten ausgetauscht, damit dürfte ein Geheimdienst jahrelang beschäftigt sein, um ein paar wenige Nachrichten zu entschlüsseln, bevor derselbe Spaß für die nächste Nachricht von Neuem beginnt. Ähnliches versprechen nun auch Facebook und WhatsApp – auch wenn das 2014, als wir starteten, noch kein Thema war.“
Die Nutzer von connect sollen ihre Kommunikation genießen – frei von Datenweitergabe, personalisierter Werbung oder eingeschränkter Entscheidungsfreiheit. Individualität ist einer der Kernfaktoren des Multi-Messenging-Projekts.
Österreicher setzen mit connect auf Individualität
Die Gestaltungsfreiheit aktueller Social Media Netzwerke beschränkt sich auf das Verschieben von Anzeigeelementen – sofern Personalisierungen überhaupt möglich sind. connect soll Nutzern dagegen viele Freiheiten lassen, ihren virtuellen Raum mit eigenen Ideen zu bereichern. Michael Schöggl beschreibt connect sogar als eine Art virtuellen Wohnraum: „Man kann bei uns Möbel austauschen, Schubladen öffnen, Lichter ein- und ausschalten, etc. Dazu kommt eine fast fotorealistische Grafik, die gerade im Bereich VR meiner Meinung nach entscheidend ist, weil man hier eine Illusion genießen will, die möglichst echt wirken sollte. Jetzt ist der perfekte Zeitpunkt für connect, weil die Hardware ziemlich gleichzeitig mit unserem aufsteigenden Erfolg endlich die notwendigen Voraussetzungen für ein tolles Erlebnis bieten wird.“
Das klingt zunächst wie bloße Spielerei, unterstreicht zugleich aber die unzähligen Möglichkeiten VR-gestützter Anwendungen, die nur die Kreativität der Entwickler begrenzt zu sein scheinen. Neben Kommunikationsmöglichkeiten können Nutzer mit connect u.a. auf Spiele, Video- oder Audiodienste oder Internetservices zugreifen – alles unter dem Deckmantel einer einzigen Anwendung. Zusätzliche Funktionen können jederzeit von der Usern selbst oder von Partnerfirmen über eine Uploadplattform bereitgestellt werden. Namhafte Unternehmen, etwa aus dem Bereich der Spielzeugindustrie, haben bereits Interesse an dem Projekt bekundet. Die modulare Anpassung läuft dabei stets benutzerfreundlich und leicht verständlich ab. Kein Wunder, dass Usability für Schöggl und sein Team an erster Stelle steht: „Unser Ziel ist es, dieses neue Social Network so zu gestalten, dass es für so viele Menschen wie möglich attraktiv ist. Das kann meiner Meinung nach nur gelingen, wenn es 2 Voraussetzungen erfüllt: Es muss maximal individualisierbar sein – denn Geschmäcker sind verschieden. Und es muss trotz der vielen Möglichkeiten intuitiv und einfach zu bedienen sein, denn sonst nervt die Bedienung und man hat bald keinen Gefallen mehr daran.“
All das könnte connect zu einem ernsten Konkurrenten für Facebook und Co. machen – auch wenn der Weg vorbei am Genreprimus derzeit kaum erreichbar scheint.
Virtual Reality ähnelt der Entwicklung des Smartphones
Die Entwicklung von Virtual Reality vergleicht Michael M. Schöggl von E.com mit der Entwicklung des Smartphones. Bis VR ein Massenphänomen ist, werden noch Jahre vergehen. Die Nutzerzahlen werden in den kommenden Jahren allerdings kontinuierlich steigen. Vor wenigen Jahren hätte man Produktdesigner verhöhnt, die behaupten, man könne Kommunikation, Mediaanwendungen, Entertainment und Businessfunktionen in einem einzigen Gerät vereinen, das nicht größer als eine Handfläche ist. Das Smartphone ist eine der wohl bedeutsamsten Erfindungen in der Geschichte der Menschheit. Virtual Reality könnte zukünftig der nächste technische Meilenstein sein. Bereits die ersten Andeutungen zeigen, was mit der VR-Technik möglich gemacht werden kann.
Das Social-Media-Projekt connect könnte die Grenzen zwischen der realen und der virtuellen Welt auf spielerische Weise verändern – nachhaltig und vielleicht sogar wegweisend. Was passiert, wenn die hungrigen Großunternehmen auf das Projekt der Österreicher aufmerksam werden, ist derzeit zwar nicht sicher, lässt sich aber erahnen.