Zu Elektro-Sound Verbrecher vermöbeln, das war in den 90ern neben Knopfhosen und Plateau-Schuhen der letzte Schrei. Streets of Rage nannte sich die Reihe, die damals für Furore sorgte. Die ersten beiden Teile waren „state of the art“, mit Streets of Rage 3 läutete die Klopp-Reihe dann selbst ihren Niedergang ein. Bis jetzt: Streets of Rage 4 bietet neues Futter für Fans nostalgischer Beat’em-ups – und schlägt sich dabei weitaus besser als der Vorgänger.
Lange hat es gedauert, bis Streets of Rage 4 auf den Markt gekommen ist. Rund 25 Jahre nach dem letzten Teil der Prügel-Videospielserie ist nun ein Nachfolger für PC und Konsolen erschienen. Der vierte Teil der Reihe sollte eigentlich schon Ende der Neunziger für Fans gradliniger Beat’em-ups zur Verfügung stehen, zumindest wenn man den Gerüchten Glauben schenkt, die damals kursierten. Für Segas Dreamcast soll der Titel vorgesehen gewesen sein – dann, als die Konsole vor ihrem Aus stand, war auch Schluss mit Streets of Rage. Für ein kurzes Zwischenspiel sorgten die Fans selbst, die ein inoffizielles Remake veröffentlichten – das kassierte Sega jedoch ein. Danach wurde es still um den nostalgischen Prügler mit den herrlich schrägen Charakteren.
Streets of Rage 4 ist back: Feier die Nineties!
Blaze und Axel sind zurück und ihre Namen sind mindestens so sehr Neunziger wie der Spielstil von Streets of Rage 4. Auch wenn das Game ein moderndes Stück Software ist, das Grundgerüst bleibt ziemlich oldschool, wertschätzend ausgedrückt: nostalgisch.
Es gab viel, das man in den 1990ern als Kinder cool finden konnte: die Teenage Mutant Ninja Turtles, Marvel-Helden und Sega-Konsolen. Und weil letztere so angesagt waren, hatte auch die Prügel-Serie Streets of Rage ihre große Zeit in den bunten Nineties. Rückblickend könnte man den Synth-Sound als Geschmacksverirrung bezeichnen, zumindest verglichen mit den orchestralen Klängen, die Spieleentwickler heutzutage einsetzen, um Fans so richtig tief in ein Videogame hineinzuziehen.
Und dann startet man Streets of Rage 4, hört die Elektro-Musik, beginnt mit den Füßen zu wippen und kann es kaum erwarten, dazu die Fäuste zu schwingen. Durch Streets of Rage fühlst du die 1990er und damit vielleicht deine Kindheit. Das neue alte Prügelspiel von Dotemu, Lizardcude und Guard Crush Games ist eine Art Reise in die Vergangenheit. Das Spielprinzip nahezu unverändert reduziert auf das wesentliche: Du läufst mit deinem Charakter meist von links nach rechts, vermöbelst Widersacher und sammelst Kohle ein. Ganz verrückt wird es dann, wenn man plötzlich auch noch nach unten oder oben laufen oder sich einen Weg durch Züge bahnen kann.
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Mehr InformationenWelle für Welle kloppt man sich so mithilfe weniger, aber effizienter Attacken, durch Gegnerhorden – um letztendlich einem Level-Boss den Garaus zu machen. Klingt simpel? Ist es. Funktioniert aber gut. Noch besser sogar, wenn man seine Freunde zum Mitspielen einlädt – heute geht das sogar online.
Streets of Rage 4: Sucker punchen
Streets of Rage 4 folgt dem vorhersehbaren Konzept der Reihe, schlägt keine neuen Wege ein, wohl aber Haken. Der erste Teil von Streets of Rage war seinerzeit der gelungene Einstieg in eine neue Prügel-Reihe, Streets of Rage 2 war ein absolutes Highlight. Der dritte Ableger hatte dann mit zu vielen Veränderungen zu kämpfen, war ok, mehr aber auch nicht; Streets of Rage 4 haucht der Reihe neues Leben ein, ist aber zu modern, um wirklich als nostalgisch durchgehen zu können. Die Optik ist stimmig: aufpoliert, glatt, vor allem aber schön bunt und handgezeichnet.
Die moderne Fortsetzung ist ein Spagat zwischen dem was Fans am alten Prügler lieben und dem, was heutzutage unter „flüssiges Gameplay“ verstanden wird. Streets of Rage 4 plätschert dahin, gemeint ist das nicht als Manko. Die wenigen Stündchen Spielzeit vergehen wie im Flug, unterbrochen von einigen Game-over-Screens und gelegentlichen Frustmomenten, wenn sich herausstellt, dass die Steuerung manchmal einen Tick präziser sein dürfte. Die Animationen sind dafür umso gelungener. Nichts hakt, jeder Punch auf die Sucker sitzt und die Effekte sorgen dafür, dass man gern massenhaft Verbrecher-Klone vermöbelt, ohne dass das Auge sich langweilt.
Es gibt viele gute Gründe, das Beat’em-up zumindest auszuprobieren. Da ist zum einen der oldschool-Charme des gesamten Genres, das es in der Essenz von damals, heute nicht mehr gibt. Zum anderen sorgt der Soundtrack dafür, dass Spieler sich mit Freude durch die Level kloppen, die stimmungsvoll ausgearbeitet sind – und Fans mit jeder Menge zu entdeckender Easter Eggs für ihre Mühen belohnen. Der Schwierigkeitsgrad ist bereits auf „Normal“ recht knackig, Streets of Rage 4 ist eine Herausforderung.
SoR 4 als neue alte Prügelorgie
Zu denken, die Entwickler hätten einfach neue Texturen über alte Pixel gelegt, würde dem Einsatz der Beteiligten nicht gerecht. Hinter Streets of Rage 4 stecken viele gute und neue Idee. So gibt es eine völlig neue Geschichte, die rund zehn Jahre nach den Ereignissen des Vorgängers spielt.
Auch das Kampfsystem hat eine Erfrischungskur erfahren. Es gibt neue Kombos aus leichten und schweren Angriffen oder coole Finisher, mit dem man es den Gegnern zeigen kann, wenn man „vorwärts“ und die Kombo-Taste drückt. Und dann ist das noch die Möglichkeit, die Gesundheit der Kämpfer wieder auszufüllen, um dem Schwierigkeitsgrad etwas entgegenwirken zu können. Nötig ist das auch, weil es Spezialattacken gibt, die Lebensenergie kosten. Und so schließt sich ein Kreislauf, der auf dem Papier ganz nett klingt, im Spiel jedoch so richtig glänzen kann.
Statt wie früher zu hüpfen und zu punchen, offeriert Streets of Rage 4 dem Spieler mehr Varianten, um sich den Weg zum Level-Ziel zu prügeln. Hinzu kommt: jeder der Charaktere spielt sich spürbar anders und greift auf völlig unterschiedliche Attacken zurück. Auch die Beweglichkeit differiert. Langsame Kämpfer schlagen ordentlich zu, weichen gegnerischen Angriffen aber langsam aus. Übung ist gefragt.
Für etwas Langzeitmotivation sorgen freischaltbare Charaktere bzw. Varianten von Charakteren. Das ist nicht unbedingt notwendig, aber ein cooles Gimmick, nicht zuletzt, weil dadurch eine Verbindung zu den Klassikern entsteht.
Motivation ist alles
Für noch mehr Motivation sorgen die Kampfbewertungen. Nach jedem Level wird die Effizienz des Prügeleinsatzes bewertet. Wie gut man abschneidet hängt vor allem von den erzielten Kombos und den eingesteckten Treffern ab. Weil in manchen Levels Gegner nur in kleinen Grüppchen auftauchen, ist es zu Beginn schwierig, hohe Wertungen zu erzielen. Je mehr Gegner kommen, desto leichter wird es – zumindest theoretisch, denn dann steigt auch die Gefahr, selbst ordentlich vermöbelt zu werden.
Schnell zeigt sich bei Streets of Rage 4, dass ein offensives Vorgehen nicht immer auch das effizienteste ist. Geduld ist gefragt: statt einzelne Gegner mit ihrem Auftauchen aus den Stiefeln zu hauen, kann man Gegner „sammeln“, um sie dann gezielt und gruppenweise zu verdreschen. Das gelingt dank der effektiven Spezialattacken äußerst gut.
Geduld ist ohnehin eine Tugend bei Streets of Rage 4, denn viel zu oft prescht man vor – und kann dann nicht mehr zurück. Ärgerlich, wenn der dringend benötigte Lebensauffüller so aus dem Sichtfeld verschwindet. Umso frustrierender wird das, wenn einem dann der Game-over-Screen entgegen leuchtet.
Richtig Spaß macht Streets of Rage 4 auch im kooperativen Offline-Modus mit bis zu vier Spielern. Das funktioniert online ebenfalls, dann zu zweit und auch gut, allerdings aufgrund manchmal auftretender Verbindungsschwächen nicht immer. Man kann förmlich sehen, dass einzelne Spieler mit einer schlechten Leitung zu kämpfen haben. Dennoch: Insgesamt läuft Streets of Rage 4 ziemlich rund. War früher der Solomodus der „way to go“ für Streets of Rage, ist heute die Couch-Koop-Session das Highlight des modern-nostalgischen Prüglers.
Media zu Streets of Rage
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Infobox
Spielerzahl: Solo- und Mehrspieler, Online-Multiplayer
Alter: USK ab 12 Jahren
Spieldauer: 10+ Spielstunden
Schwierigkeit: mittel bis hoch
Langzeitmotivation: mittel
Publisher: Dotemu
Entwickler: Dotemu, Lizardcube, Guard Crush Games
Erscheinungsjahr: 2020
Plattformen: PC, Xbox One, Playstation 4, Nintendo Switch
Sprache: Deutsch
Kosten: ab 24,99 Euro
Fazit
Streets of Rage 4 ist nicht Innovation pur, sondern eine Hommage an ein populäres Genre der 1990er. Viel von dem, was Fans damals an dem Beat’em-up mochten, finden sie auch bei der modernen Fortsetzung, allerdings feiner austariert und mit mehr Tiefgang. Coole Angriffe, krachende Kombos, eine Vielzahl an spielbaren Charakteren und genug Motivation für mehrere Spieldurchgänge: so lässt sich Streets of Rage 4 zusammenfassen. Hinzu kommt eine grandiose Optik mit handgezeichneten Grafiken, butterweichen Animationen und ein Soundtrack, der nicht nur an damals erinnert, sondern dem Original entspricht.
Wie sehr sich das Spielerverhalten im laufe der letzten 25 Jahre verändert hat, wird bei einer Runde Streets of Rage 4 ziemlich schnell deutlich. Hat man früher alleine ein Fest gefeiert, kommt das Prügelspiel heutzutage im kooperativen Modus so richtig gut rüber. Man spielt im Jahr 2020 lieber zusammen als anno 1994, als die Reihe mit Streets of Rage 3 ihren – immerhin noch soliden – Tiefpunkt erreichte. Jetzt sind Axel, Blaze und Friends zurück und bewegen sich zugleich so sperrig wie damals, aber wunderbar flüssig durch Level, die an schlechte Gang-Filme aus den Neunzigern erinnern. Nicht falsch verstehen: Der Stil ist nahezu perfekt, denn er passt zum Spiel wie Axels Faust aufs Auge.
Streets of Rage 4 ist ein bisschen Rückbesinnung auf alte Tugenden, gepaart mit seichten spielerischen Neuerungen, die das vergleichsweise eintönige Grundkonzept um actionreiche Optionen erweitern. Das Kampfsystem geht leicht von der Hand in diesem Prügelspiel. Mit Übung und Geduld kommt man auch auf höheren Schwierigkeitsgraden gut zurecht; dennoch sind die Fights teilweise äußerst knackig, insbesondere die Bosskämpfe.
Streets of Rage darf nach dem vierten Teil gern noch einen Nachfolger bekommen – auch wenn es wieder mehrere Jahrzehnte dauern könnte. Den Stil der Musik dann übrigens bitte nicht verändern!