Rund 20 Euro kostet die digitale Adaption des erfolgreichen Brettspiels von Stonemaier Games, dessen lokalisierte deutsche Version von Feuerland Spiele vertrieben wird. Das ist ein Bruchteil der Kosten, die ansonsten für die Brettspiel-Variante anfallen würden. Doch wie gut kann die digitale Umsetzung eines strategischen Tabletop-Spiels sein, dessen Reiz mitunter das Spielmaterial ausmacht? Figuren anfassen, betrachten, möglicherweise anmalen: all das gehört zum Erlebnispaket von Scythe dazu. Die PC-Steam-Version ist dagegen auf die spielerischen Elemente reduziert. Was vom Hype am Ende übrig bleibt, verrät der folgende Spieltest zu Scythe: Digital Edition.
Eine alternative Realität – mal wieder
Wer mit dem Brettspiel vertraut ist, fühlt sich auch in der Videospielversion sofort heimisch. Nennenswerte Unterschiede gibt es zunächst nicht, mit Ausnahme der durchaus hübschen Kamerafahrt auf das Spielbrett zu Beginn der Partie.
Immer noch spielt das Tabletop von Jamey Stegmaier in einer alternativen Realität im Osteuropa der 1920er Jahre, die grafisch von Jakub Rozalski in Szene gesetzt worden ist. Spieler schlüpfen in die Rolle eines von sieben Anführern aus der direkten Nachbarschaft des kapitalistischen Stadtstaates, der mit „der Fabrik“ Kriegsparteien mit hochgerüsteten Mech-Einheiten versorgt. Das Ziel: „Top of the bill“ der Kapitalisten werden und die größten Geldmengen anhäufen. Wie in der Vorlag, endet Scythe auch in der digitalen Adatpion sobald einer der Spieler sechs Sterne für erfüllte Ziele erreichen konnte. Dann wird gewertet beziehungsweise Geld gezählt.
Bis es zur Abschlusswertung kommt, müssen Spieler sich für eine nicht unerhebliche Zeitspanne der „dudeligen“ Hintergrundmusik ergeben, die zwar stimmungsvoll und atmosphärisch, aber nicht besonders abwechslungsreich ist. Hier würde etwas mehr Variation dem Gehör – und damit auch der akustischen Präsentation – durchaus guttun. Reizvolle Akustik bietet Scythe: Digital Edition abseits typischer Button-Sounds und spärlicher Effekte nicht. Gelungener ist da schon die Optik des Spiels, auch wenn einige Details fast schon lieblos wirken.
Während die Anführer den Tabletop-Charakter der Vorlage nahezu perfekt einfangen, detailliert ausgearbeitet wurden und hübsch schattiert sind, sorgt die optische Präsentation der mächtigen Mechs für ein wenig Enttäuschung: je näher man als Spieler mit der Kamera auf das Spielbrett zuführt, desto detailärmer werden die Texturen. An dieser Stelle hätten die Entwickler ruhig Mut zu Innovationen – vor allem aber Ästhetik – beweisen dürfen. Ohnehin wird die Grafik unnötig verwaschen, je näher die Akteure an das Geschehen hinein zoomen.
Immerhin: In einem Ausstellungsraum können die Modelle betrachtet werden, auf Wunsch sogar in einer bemalten Variante, die dann direkt für das Spiel aktiviert werden kann. Auch Begegnungen, Fabrikkarten und Ziele können, ebenso wie die Spielertafeln, in einem Alum betrachtet werden. Das ist schön, denn die gelungenen Illustrationen von Scythe sind definitiv einen Blick wert.
Steile Lernkurve, große Motivation
Wenn es bei Videospielen einen immer funktionierenden Motivator gibt, dann liegt dieser in einer spürbaren Lernkurve, die Spieler mit jeder weiteren absolvierten Partie erfolgreicher werden lässt. Schon die Vorlage zu Scythe: Digital Edition verüfügte über eine derart steile Lernkurve bezüglich des Regelwerks und des Spielablaufs, dass die Motivation, den Titel immer und immer wieder zu auszupacken, gegeben ist: großartig, vor allem aber ideale Voraussetzungen für die digitale Adaption eines Brettspiels.
Die Grundlage ist klassisches 4X, das versierte Zocker aus anderen Globalstrategiespielen kennen: Erkunden, Ausbreiten, Ausbeuten und – im Falle von Scythe zumindest gelegentlich – Auslöschen. Im Detail ausgearbeitet wird der 4X-Ansatz dann aber nicht, vielmehr entwickelt sich Scythe zu einem Wettrennen um Ressourcen und Währungen, angereichert mit einigen taktischen Geplänkeln. Einher geht das Konzept natürlich mit unzähligen taktischen Möglichkeiten sowie drei Währungen und vier Ressourcen, über die Spieler zu jederzeit den Überblick behalten müssen, um strategische Entscheidungen überhaupt treffen zu können.
Was in der Vorlage mitunter umständlich ist und immer wieder auch einen Blick in das umfangreiche Regelwerk erfordert, erledigt die digitale Variante quasi automatisch für den Spieler. Hinweise erscheinen, sobald der Mauszeiger über einer Aktion, einem Spielelement oder Menüpunkt schwebt, erscheint eine kurze Textinformation als Orientierungshilfe. Auch die Skalen für Stärke, Ansehen und Erfolge lassen sich auf Wunsch in den Optionen aktivieren, um dann sichtbarer Bestandteil des virtuellen Spielbretts zu werden. All das macht Scythe auch in der digitalen Version nicht einfach, komfortabler aber allemal.
Insbesondere Einsteiger profitieren von den interaktiven Hinweiselementen, die das Geschehen um Längen verständlicher machen. Obwohl, oder gerade weil, Spieler pro Zug nur ein bis zwei Aktionen ausführen können, sollten diese stets wohlbedacht sein. Die Lernkurve ist ungemein steil, die ineinandergreifenden Taktiken überfordern bisweilen, bieten aber genügend Anreize, um sich intensiv damit auseinandersetzen zu wollen. Hier steht die Adaption dem Original in nichts nach.
Es darf gekämpft werden – muss aber nicht
Über ihren Weg zum Ziel entscheiden Spieler bei Scythe selbst, auch in der digitalen Adaption des Brettspiels. Kampfhandlungen sind dabei zwar eine Option, zwingend notwendig sind diese aber nicht. Es gibt damit eher limitierte Möglichkeiten der Interaktion mit anderen Spielern. Regelmäßig beackern die Parteien das Spielbrett eher nebeneinander – und jeder für sich. Das liegt auch daran, dass Spielstrategien bei Scythe weitblickend ausgearbeitet werden. Es gilt, durch vorausschauende Planungen Ressourcenvorteile oder Spielboni zu erhalten. Besonders in den ersten Partien, in denen die Regeln noch nicht sicher sitzen, führt das manchmal zu leichten Frustrationen: streckenweise – manchmal sogar über die Hälfte der Spielzeit – passiert vergleichsweise wenig bezüglich der Erfüllung von Zielen (die in Form von Sternen angezeigt werden), dann überschlagen sich die Ereignisse und die Sterne landen alle paar Spielzüge auf dem Zählbrett. Wenn Scythe eines voraussetzt, dann Geduld.
Wertvoll wird die abwartende Haltung vor allem dann, wenn man als Spieler kurz vor der Erfüllung der Siegbedingungen steht, jedoch ersichtlich ist, dass man das Spiel dann eben nicht gewinnen wird: Das Spielende hinauszuzögern ist nicht nur sinnvoll, sondern meistens auch erforderlich.
Dennoch spielt sich Scythe: Digital Edition – zumindest in der Solo-Variante – vergleichsweise zügig: Erfahrene Spieler sind rund 30 bis 40 Minuten mit einer Partie beschäftigt. Das ist kein Manko, im Gegenteil: immer wieder in kurzen Matches gegen die KI antreten zu können, entfaltet einen großen Reiz. Auszuprobieren, zu taktieren, auch mal zu verlieren, fühlt sich bei den kurzweiligen Partien niemals wie verschwendete Zeit an. Gegen menschliche entfaltet das Spiel ohnehin eine höhere taktische Dichte; die KI agiert teilweise nicht besonders clever.
Media zu Scythe: Digital Edition
Infobox
Spielerzahl: Solo-Modus und Mehrspieler
Alter: USK nicht vorhanden
Spieldauer: 50+ Spielstunden
Schwierigkeit: mittel
Langzeitmotivation: hoch
Publisher: Asmodee Digital
Entwickler: The Knights of Unity
Erscheinungsjahr: 2018
Plattformen: PC (Steam)
Sprache: Deutsch
Kosten: 19,99 Euro
Fazit
Scythe: Digital Edition bleibt den Grundsätzen der Vorlage treu. Bei wenig eindrucksvoller Präsentation entpuppt sich die digitale Adaption des Tabletop-Brettspiels Scythe von Stonemaier Games beziehungsweise Feuerland Spiele als unaufgeregtes, tiefgründiges Taktikspiel mit vielen Handlungsmöglichkeiten, aber streckenweise ausbleibenden Erfolgen. Wer Scythe in der Gänze seiner Pracht erleben möchte, muss geduldig sein, Pläne schmieden, mitunter spielerische Durststrecken überstehen, um dann – zum richtigen Zeitpunkt – Spielziele in vergleichsweise schneller Folge zu realisieren.
Was Scythe in der digitalen Fassung ausmacht, sind die Komfortfunktionen, die es dergestalt nur in Videospielen geben kann: Mouse-Over-Hinweise zu jedem Spielelement, Blickwinkelveränderungen, automatische Berechnungen der Spielerfolge und eine hilfreiche Rewind-Funktion, mit der man Spielzüge – einen einzelnen oder unbegrenzt – auf Wunsch zurückspulen kann.
Dennoch möchte man als Spieler, der die optischen Reize des Brettspiels mag, nicht so recht daran glauben, dass die Art der Präsentation das maximal mögliche bereits ausgereizt hat: zu plump wirkt die Darstellung der Animationen, zu eintönig das Sound-Konstrukt, zu wenig charmant die Ausarbeitung der Spielertafel.
Spieler, die Scythe bisher nicht kannten, finden mit der digitalen Variante den perfekten Einstieg in das komplexe Tabletop. Scythe-Profis erhalten zumindest die Möglichkeit, an ihren Taktiken zu feilen oder überörtlich mittels Online-Modus gegen andere menschliche Kontrahenten zu spielen. Erweiterungen werden auch für Scythe: Digital Edition erscheinen, regelmäßige Patches – die dann auch vorhandene Bugs ausmerzen – sowieso. Auch das ist einer der großen Vorteile von digitalen Brettspielen: Sie lassen sich zeitnah und einfach erweitern, anpassen und verbessern. Rund 20 Euro kostet die digitale Adaption zu dem erfolgreichen strategischen Brettspiel, das für PC-Steam erhältlich ist.