Bei dem Thema Verpackungspräsentation liegt Iello unter den Verlagen weit vorne. Wer mit seinen Fingern zart über die Bebilderungen auf der Spieleverpackung des Piratenspiels Sea of Clouds streicht, kann den ästhetischen Anspruch der Franzosen an ihre Brett- und Kartenspiele förmlich erfühlen. Der erhabene Hochglanzdruck macht Lust auf mehr. Bei aller Liebe zu einer gelungenen Optik zählen bei Spielen natürlich in erster Linie die inneren Werte.
Wir haben die Wolkenpiraten daher nicht nur zärtlich berührt, sondern im Rahmen unserer knallharten Rezension zu Sea of Clouds rangenommen – wie echte Piraten: unerbittlich, kompromisslos und ohne Rücksicht auf Verluste.
Rezension zu Sea of Clouds: Schnellstart mit Luftschiffen
Trotz der hübschen Illustrationen ist die Hintergrundgeschichte zu Sea of Clouds schnell erzählt. Die Spieler schlüpfen in die Rolle eines Wolkenpiraten, auf der Suche nach Schätzen, Rum und Gegnern. Als Kapitän eines fliegenden Piratenschiffs werden 2 bis 4 Spieler in jeder Runde vor Entscheidungenmöglichkeiten gestellt, deren strategische Ansprüche sich als eindrucksvoll erweisen, wenn man das grundsätzlich simple Regelwerk betrachtet. Bevor der erste Gegener geplündert werden kann, verlangt das taktische Kartenspiel Sea of Clouds nach einigen Aufbauhandlungen. Je nach Spieleranzahl (2 bis 3 sowie 4 Spieler) wird der kleinformatige Spielplan mit der entsprechenden Seite nach oben auf den Tisch gelegt. Anschließend wählen die Spieler ihre Piratenkapitäne und platzieren das Spielertableau so vor sich, dass im laufe des Spiels rundherum Karten ablegegt werden können. Die Vorbereitung der Beutekarten erfolgt ebenfalls anhand der Spielerzahl: In einer Zwei-Spieler-Runde müssen vorher einige Karten aussortiert werden. Zu Spielbeginn werden drei Beutekarten unter die passenden Markierungen des Spielbretts. Während die Spieler ihr Startkapital von drei Münzen erhalten, wird noch das kleine blaue Schiff auf das Startfeld des Spielplan gestellt sowie Papagei und Hut an den Startspieler gereicht. Es kann losgehen!
Grenzenlose Freiheit Über den Wolken
Einmal verinnerlicht, spielen sich die Runden dank der gleichbleibenden Abläufe flüssig, aber nicht unbedingt ohne Wartezeiten für die einzelnen Spieler. Angehende Luftpiraten sollten daher ein wenig Geduld mitbringen. Das ist bei einem strategischen Kartenspiel mit Entscheidungshäufungen nicht ungewöhnlich und spielt sich ein. Dennoch kommt Sea of Clouds nicht gänzlich ohne Verzögerungen im Spielablauf aus.
Steht das blaue Holzschiff auf einem der unmarkierten Spielfelder, verlaufen die Spielhandlungen stets gleich. Der aktive Spieler nicht die Beutekarten, die auf dem ersten Stapel liegen und schaut diese an. Bei Gefallen, legt er die Karten an sein Spielertableau an. Bei Nichtgefallen legt er diese zurück an ihren Platz und fügt eine verdeckte Karte vom Nachziehstapel hinzu. Anschließend verfährt er mit den Beutestapeln zwei und drei genauso. Schlägt der Spieler alle drei Angebote aus, erhält er eine Karten vom Nachziehstapel – der Trostpreis sozusagen.
Die Leidenschaft für das Kartensammeln wird um kleine taktische Entscheidungsmöglichkeiten und einen gewissen Glückfaktor ergänzt. In jeder Runde steht die Entscheidung für oder gegen einen der Beutestapel, deren Ausstattung die Spieler zwar rudimentär anhand der Kartenrücken einschätzen, aber eben nicht mit Sicherheit voraussagen können. Dieses einfach Grundprinzip wird durch die einzelnen Kartentypen verfeinert. Es existieren insgesamt vier verschiedenen Kategorien: Reliktkarten, Gegenstandskarten, Rumkarten (Yarrr!) und natürlich Piratenkarten.
Die Reliktkarten sorgen für ordentlich Siegpunkte im Unterdeck. Ziel ist, möglichst viele Relikte einer Art zu sammeln, um das Punktekonto entsprechend aufzustocken. Eine übersichtliche Tabelle gibt stets Aufschluß über die jeweilige Punktzahl. Bei den Rumkarten existieren drei Subkategorien, die entweder Plus- oder Minuspunkte gewähren, bei steigender Anzahl zu Punkteboni führen oder pro Karte einen oder drei Punkte auf das Konto bringen (abhängig davon, ob man bei der Abschlußwertung die meisten Spitzenrumkarten besitzt oder nicht). Die Gegenstandskarten unterscheiden sich erheblich und können ihre Effekte sofort, permanent oder erst am Spielende auslösen. Die Funktionsweise der Gegenstandskarten ist klar verständlich.
Für Piratenkapitäne wichtig sind die Crewmitglieder des eigenen Luftschiffs. Die Entermannschaft wird durch die Piratenkarten repräsentiert, die an den oberen Bereich des Spielertableaus angelegt werden. Piratenkarten kommen jeweils in den Enterphasen zum Einsatz und entscheiden durch aufgedruckte Stärkewerte über Sieg oder Niederlage.
Weil das Entern eine der direkte Interaktionen mit den anderen Spielern ist, kommt dieser Phase bei Sea of Clouds* natürlich eine besondere Bedeutung zu. Im Rahmen unserer Spielrunden hat sich das Entern mit mindestens drei Spielern als gelungene Spielmechanik entpuppt. Beim Entern greifen Spieler nämlich jeweils ihren linken und rechten Nachbarn an. Besteht die Spielerrunde lediglich aus zwei Spielern, steht folglich nur ein enterbarer Gegenspieler zur Verfügung, was der Phase ein wenig ihres Spaßes nimmt.
Die Gewinner werden durch das Zusammenzählen der Stärkepunkte auf den Piratenkartenbestimmt. Zusätzliche Modifikationen der Kampfstärke kommen durch Gegenstandskarten zustande. Gegen erfolgreich geenterte Gegner können Pirateneffekte ausgelöst werden. Obligatorisch und selbstverständlich für Piraten wird auf diese Weise also Beute geplündert, manchmal aber auch getauscht. Schnell wird ersichtlich, warum das Entern mit mindestens drei Spielern mehr Spaß verspricht. Die Chance auf erfolgreiche Aktionen wird quasi verdoppelt, womit auch die Zahl an interaktiven Elementen steigt. Zwei gleichzeitig geenterte Spieler zu plündern bringt auch bezüglich der Abschlusswertung Vorteile – zumindest wenn das Doppel-Entern erfolgreich war. Die Punkteverhältnisse können sich auf diese Weise spürbarer verändern als in einer Duell-Runde. Dennoch erfüllt die Enter-Phase auch in einem Zwei-Spieler-Spiel ihren Zweck und funktioniert den Regeln entsprechend einwandfrei – nur mit einem geringen Spielspaßmalus.
Sind sämtliche Piratenaktionen ausgeführt, werden alle Piratenkarten abgelegt. Für die kommende Runde ergeben sich damit automatisch neue Kräfteverhältnisse, was die einzelnen Runden spannend macht.
Der Papagei zeigt an, wer mit dem Auslösen der Pirateneffekte beginnen darf. Ansonsten ist der gefiederte Freund ein eher passiver Begleiter, der in einigen Fällen dazu dient, Gegenstandsaktionen aufzulösen.
Punkte, Punkte und ne Buddel voll Rum
Insgesamt werden auf diese Weise 12 beziehungsweise 15 Runden absolviert. Hat das Holzschiff das letzte Feld erreicht, ist es Zeit für die Berechnung der Punktekonten. Auf dem beiliegende Punkteblock können die Wertungen praktischerweise festgehalten werden. Siegpunkte erlangen Spieler aus unterschiedlichen Quellen. Einerseits unmittelbar aus den Münzen, die jeweils einen Siegpunkte wert sind, anderseits durch modifizierende Faktoren, wie die angesammelten Plus- und Minuspunkte oder mögliche Bonuspunkte durch Geheimnisse. Zudem können die Relikt- und Rumsammlungen für ordentliche Punktezuwächse sorgen, wenn man während des Spielverlaufs strategisch kluge Entscheidungen getroffen hat – und ein glückliches Händchen hatte. Der Spieler mit den meisten Punkten gewinnt die Partie.
Toll illustrierte Multikulti-Piraten
Die Illustrationen von Miguel Coimbra sind so hervorragend, dass die an dieser Stelle einen eigenen Textabsatz verdienen. Der freiberufliche Illustrator, dessen name auf seine portugiesischen Wurzeln hinweist, kann neben Grafiken für Sea of Clouds auch weitere große Arbeiten vorweisen. So hat Coimbra etwa den Brettspielen Small World (Days of Wonder), City of Horror (Repos) oder Imhotep (KOSMOS) seinen Stempel aufgedrückt. Die Illustrationen für Sea of Clouds gehören für uns jedoch zu seinen Meisterwerken, die aus einem strategischen Sammelspiel einen optischen Leckerbissen für jeden Spieltisch machen. Dass Miguel Coimbra auch dem Segment der Sammelkartenspiel zugewandt ist, hat er mit Illustrationen von Karten zu den Trading Card Games zu World of Warcraft oder Star Wars Galaxies bewiesen.
Die Partien im Rahmen unserer Rezension zu Sea of Clouds haben durch die gelungene Optik jedenfalls spürbar an Unterhaltungswert gewonnen, auch weil man sich während der unzähligen Wartephasen die einzelnen Karten genauer anschauen kann. Das tröstet immerhin ein wenig über die Unterbrechungen des Spielflusses hinweg.
Weil die Optik auch die redaktionelle Arbeit berührt, sei an dieser Stelle auf die gelungene, einfach verständlich und nachvollziehbar gestaltete Spielanleitung hingewiesen, die den Spieleinstieg enorm erleichtert.
Bilder zu Sea of Clouds
Infobox
Spielerzahl: 2 bis 4 Spieler
Alter: ab 10 Jahren
Spieldauer: 30 bis 45 Minuten
Schwierigkeit: mittel
Langzeitmotivation: mittel
Verlag: Iello
Autor: Théo Rivière
Grafik: Miguel Coimbra
Erscheinungsjahr: 2016
Sprache: deutsch
Kosten: 24 Euro
Fazit
Dank des einfachen Grundregelwerks hat sich Sea of Clouds als ideales Kartenspiel für Gelegenheitsspieler und Familien mit Kindern erwiesen. Mit steigender Spielerfahrung gewinnen zudem die Entscheidungsmöglichkeiten an Gewicht und Spannung, weil Kartentypen eingeschätzt werden können, aber dennoch unvorhersehbar bleiben. Die kurzen Spielrunden laden zu weiteren Partien ein, auch wenn die Wartezeiten zwischen den einzelnen Zügen bisweilen für Ungeduld sorgen. Hausregeln, wie etwa der Einsatz einer Sanduhr, schaffen Abhilfe, sind aber nur nur bei Spielern empfehlenswert, die bereits einige Partien bestritten haben. Weil die Auswahl der Beutestapel ein zentrales Spielelement beibt, sollte man Verzögerungen akzeptieren (und derweil einfach die optischen Reize von Sea of Clouds genießen).
Große Innovationen sollte man von Sea of Clouds nicht erwarten, dafür funktioniert die Spielmechanik einwandfrei und sorgt durch Details für einen konstanten Spannungsfaktor. Die Kräfteverhältnisse der Piraten-Crews verändern sich mit jeder Spielrunde, variieren mitunter jedoch stark, was sich dann auch auf die Plünderungen in der Enter-Phasen auswirkt. Weil bei der Crew-Stärke auch Nullrunden möglich sind, sollte man seine Entscheidungen stets gut abwägen. Als große Stärke hat sich während unserer Rezension zu Sea of Clouds der vorausplanbare Spielverlauf erwiesen. Trotz des vorhandenen Glücksfaktors beeinflussen die Spielentscheidungen den Verlauf der Runden, sodass gute und schlechte Entscheidungen möglich sind, Fehler jedoch durch strategisch gute Handlungen ausgebügelt werden können.
Auch wenn Sea of Clouds* zu zweit spielbar ist, empfiehlt sich eine Spielerrunde aus mindestens drei Piraten, um die Mechaniken vollständig auskosten zu können. Die Zwei-Spieler-Runden haben sich während der Partien unserer Rezension zu Sea of Clouds zwar als unterhaltsam herausgestellt, erreichen spielerisch aber nie das Niveau der „großen Runden“.
Insgesamt würde man von einem Kartenspiel mit derart simplen Grundregeln keine derart taktische Tiefe erwarten, sodass ein Großteil der Spieler positiv überrascht werden dürfte. Für Abwechslung sorgen Spieler mittelfristig durch die Veränderung ihrer Sammelstragien selbst. Das Piratenspiel mehrmals an einem Abend zu spielen bleibt daher motivierend und unterhaltsam zugleich.
Fürstlich unterhalten werden alle Spieler, die strategischem Kartensammeln nicht abgeneigt sind. Der schnelle Zugang sowie die überschaubare Spielzeit macht aus Sea of Clouds überdies
ein spannendes, interaktives Familienspiel, das mit Frust- und Freude-Momenten für einige Lacher sorgt.