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Der Süden von Deutschland beheimatet eine bunte Mischung von Brettspielverlagen. Von einer Märchenfigur über zwei blaue Schwergewichte bis zu einem Fabelwesen trifft man hier auch auf den König der Waschbären. Bei King Racoon Games kommen fantasievoll gestaltete Spiele, detaillierte Spielwelten und vielfältige Spielmechanismen zusammen. Im Interview mit Felix haben wir über den Verlag gesprochen.
Dass Brettspielverlage nicht immer die Metropolen suchen, lässt sich mit vielen Beispielen belegen. Eines dieser Beispiele sind King Racoon Games. Der 2016 gegründete Verlag sitzt wenige Kilometer nördlich von Stuttgart in Ludwigsburg.
Obwohl das Stadtbild Ludwigsburgs von der Geschichte als ehemalige Residenzstadt geprägt ist, sind historische Themen bei King Racoon Games nicht zu finden. Die Spiele handeln von fantasievoll ausgearbeiteten Welten, die mit Humor und Vielfältigkeit punkten können. Wie der Verlag und die bisher veröffentlichten Spiele entstanden sind, was es aktuell gibt und auf welche Neuheiten man sich in Zukunft freuen darf, könnt ihr hier lesen.
Zeitreisende Affen, versteinerte Engel und ein Schäferstündchen
King Racoon Games wurden im Jahr 2016 zur Veröffentlichung des ersten Spiels Schäferstündchen gegründet. Die Geschichte des Namens des Verlags ist sehr schön. Felix fragte seine Frau, mit welchem Tier sie ihn assoziieren würde. Aus der Antwort „Waschbär“ machte sich Felix, wenn es schon ein Waschbär sein sollte, kurzerhand zum König der Kleinbärenart.
King Racoon Games Mitgründer Felix Mertikat hat Film studiert und sieht in der Entwicklung von Brettspielen ein Äquivalent zur Regietätigkeit. Hier ist man der Regisseur eines Spieleabends. Inzwischen hat die Regie im „Hobby“ Brettspiele das Medium Film abgelöst und ist für ihn die reizvollere und künstlerisch nachhaltigere Betätigung.
Bereits im Jahr 2008 entwickelte er in Zusammenarbeit mit Freunden das Rollenspiel „Opus Anima“. Die darauf basierende Comicbuchreihe „Steam Noir“, zu der auch ein Kartenspiel erhältlich ist, wurde im Jahr 2012 auf der Frankfurter Buchmesse ausgezeichnet.
Von Axis & Allies über Siedler und Pandemie bis zu Twilight Imperium waren Brettspiele immer ein wichtiges Hobby. So entstand dann irgendwann auch die Idee zu Schäferstündchen, das dann „einfach so“ veröffentlicht wurde und auf der SPIEL mit einem eigenen Stand auch erfolgreich präsentiert wurde. Das finanzielle Risiko war bei einem kleinen Kartenspiel überschaubar und eine Veröffentlichung ohne Vorabfinanzierung war möglich.
Mit der gleichen Haltung ging es auch ans zweite Spiel Alle Mann an Deck. Bereits ein Jahr später war man mit dem neuen Spiel wieder auf der SPIEL. Leider war hier das Timing etwas ungünstig. Spiele mit Piratenthema gab es in diesem Jahr viele und auch eine Standdeko in Schiffform war kein Alleinstellungsmerkmal.
In eine ganz andere Größenordnung als die ersten beiden Titel gehört der erste Crowdfunding-Titel Tsukuyumi. Ein großer Vorteil war, dass Felix bereits einige Jahre vorher als Künstler bei einem ebenfalls durch Crowdfunding finanzierten Spiels (Dark Empire: Revolution) mitgewirkt hatte. So hatte er bereits Erfahrung mit dem Ablauf und der Betreuung eines Crowdfundings.
Die große Welt des Spiels ist inspiriert von einer IP, die in einer Firma entstanden war, in der Felix bis zu seinem Austritt 2011 gearbeitet hatte. Nach dem das so inspirierte Spiel nicht von dieser Firma übernommen wurde, ging die Entwicklung weiter. Das Spiel wuchs zu etwas ganz eigenem und so entstand die postapokalyptische Welt von Tsukuyumi. Mehr zum Spiel gibt es wie immer im zweiten Teil des Artikels.
Unfreiwillig eingebremst
Inzwischen ist es kein Geheimnis mehr, dass die Corona-Pandemie auch auf die Produktion von Brettspielen immense Auswirkungen hatte. King Racoon Games waren eine der ersten, die das beim Kickstarter zur Miniaturenausgabe von Tsukuyumi schmerzlich feststellen mussten. Die entstandene Verspätung wäre nach heutigen Maßstäben kaum der Rede wert gewesen, da man sich an die Unvorhersehbarkeit einzelner Produktionsschritte gewöhnt hat. Damals war es einer extremer Dämpfer.
Ein Verlag lebt aber nicht nur von einer Person und gerade bei Brettspielverlagen liegt das Hobby im Regelfall allen beteiligten sehr am Herzen. Zum perfekten Zeitpunkt stellte Grafikerin Maxine das Spiel Witchcraft: Zauber der Nacht vor, das als Neuheit im Jahr 2022 veröffentlicht wurde. So konnte die kleine Lücke bei den Veröffentlichungen geschlossen werden. Ähnlich wie bei Felix zu Beginn des Verlags war auch hier die Motivation einfach die Freude am Entwickeln von Spielen.
Bereits im Jahr 2021 mit Prototypen auf der SPIEL vorgestellt, ist pünktlich zur diesjährigen SPIEL EOS: Island of Angels veröffentlicht und ausgeliefert worden. Die Entstehung des Spiels war in gewisser Weise umgekehrt zu der von Tsukuyumi. Hier gab es zuerst die Spielmechanik und das konkrete Thema, dessen grobe Richtung schon länger feststand, kam später dazu.
Das Idee zum Thema wurde mit inspiriert vom Song „The Host of Seraphim“ der Band „Dead can Dance“. Engel sollten im Spiel nicht auf klischeehafte Weise portraitiert werden. So müssen sie nun von ihrer Versteinerung befreit werden.
Während der Corona-Zeit haben Felix und seine Frau das Spiel sehr viel zu zweit getestet. Danach gab es natürlich auch viele Partien in größeren Gruppen, so dass das Spiel sowohl zu zweit als auch zu fünft sehr gut funktioniert. Mehr dazu in der bald folgenden Rezension zu EOS.
Das Feedback zur Neuheit war sehr positiv. Der „Dämpfer“ Corona wurde spätestens mit EOS erfolgreich überwunden und auch die nächsten Projekte machen Lust auf mehr.
In der Höhle des Waschbären
Da sowohl Schäferstündchen als auch Alle Mann an Deck neu kaum noch zu finden sind, beschränken wir uns bei diesen beiden auf einen rudimentären Überblick und stellen Tsukuyumi, Witchcraft und EOS detaillierter vor.
Schäferstündchen ist mit zwei bis sechs Personen spielbar. Die Spielenden haben eine Rolle als Bandit oder Dorfbewohner. Das Ziel ist es, alleine oder im Team die meisten Schafe zu sammeln. Es ist kein hochstrategisches Strategiespiel, sondern setzt auf den Spaß am Ärgern.
Alle Mann an Deck ist ebenfalls ein kartenbasiertes Spiel, in dem auch wieder weniger Strategie und viel mehr chaotischer und nicht immer ganz fairer Spielspaß im Vordergrund steht. In Echtzeit wählen die Spielenden in ihren Rollen als Piratenkapitäne eine von drei Crewkarten aus, um ihre Crew zu bilden. Wer zuerst gewählt hat, darf in der nächsten Runde zuerst wählen, von welchen Stapeln man nachziehen möchte. Man kann den eigenen oder Stapel der Mitspielenden wählen. Mit der Crew kann man Aktionen ausführen, um beispielsweise Crewmitglieder von den anderen abzuwerben.
Tsukuyumi: Full Moon Down
Der nächste Titel des Verlags besitzt einen vielfach größeren Umfang als die beiden Vorgänger. Daher wurde es auch das erste Crowdfunding-Projekt des jungen Verlags.
In Tsukuyumi ist der Mond auf die Erde gestürzt. Es hat sich herausgestellt, dass es sich dabei nicht um einen seelenlosen Gesteinsbrocken handelt, sondern um einen „kami“ (japanische Gottheit), den weißen Drachen Tsukuyumi. Die Menschheit steht kurz vor dem Aussterben, während tierische Spezies sich unter dem Einfluss Tsukuyumis entwickeln und größer, stärker und intelligenter als jemals zuvor geworden sind.
Aus einer Vielzahl von asymmetrischen Fraktionen können die Spielenden eine auswählen, deren Führung sie übernehmen. Als Area Control-Spiel liegt in Tsukuyumi der Siegpunktfokus vor allem auf der Kontrolle und Eroberung von Gebieten. Der Mond nimmt hierbei ähnlich wie die Fabrik aus Scythe eine Sonderrolle ein. Zusätzlich kann man noch fraktionseigene Ziele und Missionen erfüllen.
In jeder Runde wählen die Spielenden eine Aktionskarte aus. Alle nicht gewählten Karten werden für die nächste Runde an den linken Mitspielenden weitergegeben.
Die Aktionsphase setzt sich aus vier farblich codierten Phasen zusammen, die in der immer gleichen Reihenfolge abgehandelt werden. Die gespielten Aktionskarten zeigen verschiedene Zusammensetzungen von Aktionen aus den unterschiedlichen Phasen, die in der jeweiligen Phase in beliebiger Reihenfolge ausgeführt werden können. In der letzten (roten) Phase kann es zum Kampf kommen.
Am Anfang des Spiels legt man fest, ob es drei, vier oder fünf Runden geben wird. Die Spielzeit variiert so zwischen zwei und vier Stunden. Die vielen erhältlichen Erweiterungen fügen dem Spiel neue Fraktionen hinzu. Spielbar ist das Spiel mit zwei bis vier Personen. Mit Erweiterung sind sogar bis zu sechs Personen ab 14 Jahren möglich.
Witchcraft: Zauber der Nacht
Zurück zu den spielerischen Anfängen geht es mit dem Kartenspiel Wichtcraft. Als eine von zwei bis sechs Hexen versuchen die Spielenden die richtigen Zutaten für ihre Zauber zu kaufen und so Magiepunkte zu sammeln. Das Ziel ist, zuerst zwanzig Magiepunkte zu sammeln.
Zutaten können aus einem 3×3-Raster offen ausliegender Karten gekauft werden. Hierfür werden in der Regel Kristalle ausgegeben. Neben dem Kauf von Karten gibt es vier weitere Aktionen. Man kann sich einen Gefährten oder einen Zauber nehmen, neue Kristalle einsammeln oder die Aktion eines eigenen Gefährten ausführen.
Die Gefährten sind jeweils einen Magiepunkt wert und gewähren entweder dauerhafte Effekte oder geben eine zusätzliche Aktionsmöglichkeit im eigenen Zug.
Die Zauber werden sofort gewirkt, sobald alle erforderlichen Zutaten auf ihnen liegen und kommen anschließend in den eigenen Punktevorrat.
Die Hexe die mit ihren Gefährten und Zaubern zuerst 20 Punkte erreicht, gewinnt das Spiel. Witchcraft spielt sich in etwa zwanzig Minuten mit zwei bis sechs Personen ab 12 Jahren.
EOS: Island of Angels
Pünktlich zur SPIEL war es dann soweit und EOS: Island of Angels konnte endlich vom Stapel laufen. Wie schon in Tsukuyumi übernimmt man hier die Rolle des Anführers einer der sieben möglichen asymmetrischen Fraktionen.
In der Welt von EOS reisen die Spielenden übers Meer und wollen mit ihren Heldentaten die Chronik von EOS füllen. Die Engel, die einst über die Meere wachten, sind versteinert, nachdem sie im Kampf gegen die Dämonen unterlagen. Diese sind nun in vielen Meeresgebieten präsent und die Dämonenfürsten beeinflussen das Spielgeschehen mit ihren Flüchen.
Das Spiel dauert so lange, bis die Chronik von EOS mit genügend beeindruckenden Taten gefüllt ist. In jedem Zug haben die Spielenden die Wahl zwischen zwei Aktionen. Sie können entweder einen Arbeiter auf einem Crewmitglied platzieren und dieses so aktivieren oder sie rufen alle Arbeiter zurück.
Alle besitzen die gleichen Crewmitglieder, die jedoch in ihren Verbesserungen und ihren Belohnungen auf der Moralleiste sehr unterschiedlich sind, um den einzelnen Fraktionen einen ganz eigenen Charakter zu geben.
Ruft man seine Arbeiter zurück, so erhält man die Belohnungen, die unter den freien Feldern sichtbar sind. Je mehr Arbeiter man vorher eingesetzt hat, umso mehr und größer sind die Belohnungen.
Es gibt drei Aktionen, die es wert sind, in die Chronik von EOS aufgenommen zu werden. Dies sind Heldentaten zu vollbringen, Dämonenfürsten zu besiegen und Engel zu befreien. Ist man in einem Gebiet mit einem dieser drei Elemente, kann man anstatt eines Crewmitglieds die Chronikaktion nutzen und seine heldenhafte Tat für die Nachwelt festhalten.
EOS: Island of Angels ist mit eins bis fünf Personen ab 14 Jahren in etwa zwei Stunden spielbar. Neben den fünf Fraktionen des Grundspiels gibt es in der Erweiterung zwei weitere Fraktionen, mit denen das Meer bereist werden kann. Zu EOS wird es bald noch eine ausführliche Rezension von mir geben. Der erste Eindruck nach je einer Partie solo, zu zweit und zu fünft ist hervorragend. Das Spiel ist aktuell der heißeste Kandidat für mein persönliches Spiel des Kalenderjahres 2023.
Der Waschbär kommt ins Spiel
Gleich zwei neue Crowdfunding-Projekte stehen bereits in den Startlöchern. Tsukuyumi wird eine neue Erweiterung erhalten und mit T.D.O. (Titan Defense Organisation) ist auch das nächste neue Grundspiel kurz vor der Fertigstellung.
Zum einen dient die neue Erweiterung von Tsukuyumi, die vier Fraktionen enthält, dafür, die Zahl der spielbaren Fraktionen zwischen Miniaturen und Standee-Ausgabe anzugleichen und zum anderen bringt sie die Spielwelt näher an ihre Vervollständigung. Neben den Chronomasters (12 zeitreisende Affen) und den „Giganten der Vergangenheit“ (Dinosaurier) hat Felix 26 Fraktionen „im Regal stehen“. In der Standee-Version sind bisher 20 dieser 26 veröffentlicht worden, so dass hier Potential für weitere Kickstarter besteht, um alle Fraktionen veröffentlichen zu können.
Die andere bereits angekündigte Neuheit ist der kooperative Bossbattler TDO. Nachdem es bereits einen Kampf gegen die Titanin Gaia gab, greifen die Titanen nun erneut an. Das Problem ist, dass die Helden von damals entweder tot, im Ruhestand oder nicht willens sind, ihr Leben erneut aufs Spiel zu setzen.
Die Spielenden übernehmen nun die Rolle von neuen „Super-„Helden, die gemeinsam die Erde retten wollen. In jeder Spielrunde ist ein Held oder eine Heldin „Captain“ und würfelt drei Würfel. Alle anderen nutzen nur einen Würfel. Gemeinsam planen sie ihre Aktionen mit den Würfelergebnissen. Die Aktionen der Titanen werden über ein eigenes Kartendeck bestimmt.
Wurde der Titan besiegt, gewinnt die TDO. Besiegt der Titan zuerst drei Helden oder zerstört alle TDO-Basen, so verliert die Gruppe das Spiel. Das zugängliche kooperative Spiel lässt sich mit 2-5 Personen in unter einer Stunde spielen. Die Illustrationen und die vielfältigen Charaktere versprechen viel Spaß im Spiel. Das Crowdfunding zum Spiel kann man sich bereits hier vormerken.
Auch der Waschbär wird bald seinen Auftritt in einem Spiel von King Racoon Games haben. Trash King ist der Name eines aktuell in Entwicklung befindlichen 2-Personenspiels. Hierbei handelt es sich um ein Worker Placement-Spiel, in dem die Arbeiter unterschiedliche Werte von 1-5 besitzen und verdeckt einem der acht Arbeiterfelder zugeordnet werden. Nur wer den höheren Wert eingesetzt hat (auch als Summe mehrerer Arbeiter), darf die Aktion eines Ortes ausführen.
Dazu wird es noch „Mobster-Karten“ geben, die ein take-that-Element ins Spiel bringen.
Auch wenn es noch weitere Ideen gibt (zum Beispiel zu einem 5X-Weltraumspiel), wird die Energie erst einmal auf dieses Trio an Neuheiten und die finale Auslieferung von EOS gebündelt. Bei der Herangehensweise mit spaßig umgesetzten Themen und stimmigen Spielmechaniken kann man gespannt sein, zu welchem Blockbuster King Racoon Games als nächstes Regie führen werden.
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