Vor wenigen Jahren war die Welt noch vergleichsweise einfach: für die Öffentlichkeit bedeutsame Themen wurden von ausgebildeten Journalisten aufgegriffen und in lokalen, überregionalen oder multilateralen Medien veröffentlicht. Im Zeitalter des Internet haben sich nicht nur die Informationsquellen verändert, sondern auch die grundlegende Struktur der Medienlandschaft. Nicht ausschließlich professionelle Journalisten, sondern auch Web- und Videoblogger tragen ihre Expertisen an die Öffentlichkeit – und sind mit ihren selbst gestalteten Webauftritten regelmäßig sehr erfolgreich.
Blogger gelten unter Szenekennern als Experten, werden von „echten Medienschaffenden“ dagegen eher belächelt. Wie falsch diese Ansicht aus Verlagssicht ist, zeigt sich insbesondere an der jüngsten Entwicklung der Webauftritte großer Medienportale. Viele Printmagazine verstärken ihre Webpräsenzen, suchen die Nähe zu ihren Lesern und schrecken auch vor einer vermeintlich flapsigen Schreibe nicht mehr zurück, die sie Jahre zuvor noch bei Bloggern kritisierten.
Einen neuen (alten) Weg zum Thema Spiele- und Kulturjournalismus geht das Webmagazin piqd, das seinen registrierten Leserinnen und Lesern handverlesene, qualitativ hochwertige Beiträge liefern möchte. Für uns Anlass genug, sich den Bereich „Spiele und Kultur“ auf piqd.de genauer anzuschauen. Wie neu kann man Altes wirklich machen?
Was zur Hölle ist piqd?!
Bei der schier endlosen Zahl an Blogs, Chats, Websites, Channels und Foren, fällt es selbst den aktivsten Internetnutzern schwer, den Überblick zu behalten. Wichtige Themen zu verpassen zählt zu den wohl größten Ängsten, die man als diskussionsfreudiger Web-User haben kann. Mit piqdmöchte sich nun ein Portal im News-Netz etablieren, das Nutzern zu den sie interessierenden Themenbereichen jeweils eine Handvoll ausgewählte Artikel präsentiert – die Beiträge werden von Experten im wahrsten Sinne des Wortes handverlesen („picked“) und kommentiert. Der Experten-Kommentar erklärt, warum ein Thema Trend sein kann. Leserinnen und Leser sollten dazu ermuntert werden, sich mit journalistischen Beiträgen auseinanderzusetzen.
Experten im Sinne von piqd sind stets professionelle Fachjournalisten, die pro Tag jeweils nur einen einzigen Artikel aus dem Äther der Netznachrichten heraussuchen, kommentieren und an ihre Abonnenten verfüttern. Das klingt zunächst wie ein gigantischer RSS-Feed, der manuell auf wenige handverlesene Fachartikel heruntergebrochen wird, ist praktisch aber ein durchaus beachtenswerter Beitrag zur Medienlandschaft.
Mediale Aufmerksamkeitsdiffusion
Für den Themenbereich Spiele und Kultur auf piqd.de gilt derzeit vor allem eines: das Angebot ist vergleichsweise überschaubar. Das ist zwar durchaus im Sinne der Gründer des Portals, weil Qualität, nicht Quantität, im Vordergrund der journalistischen Themenbearbeitung stehen soll, führt jedoch dazu, dass die Zielgruppe minimiert wird. Kulturinteressierte, vor allem aber Spieler, wünschen sich aktuelle Neuigkeiten aus ihrem Ressort. Das Internet ist für viele User immer noch eine schnelle Datenautobahn, nur selten die digitale Variante des Feuilleton einer Sonntagszeitung. Bis Internetnutzer das Angebot von piqd als virtuelles Sonntagsblatt annehmen, wird einige Zeit vergehen. Rein qualitativ sind die ausgesuchten Beiträge auf piqd jedenfalls lesenswert, weil der Unterhaltungswert hoch ist – die fachjournalistische Recherche manchmal aber auch zu kurz kommt.
Immerhin: die Experten suchen Themen aus, die in der Masse der täglich erscheinenden Beiträge zu unrecht untergehen würden – auch weil sie wenig Suchmaschinencharakter besitzen. Welche Frauen beispielsweise mit einem Spieler gegen Geld Overwatch zocken würden, spricht regelmäßig nur die Google-Nutzer an, die diese Art der virtuellen Gaming-Prostitution tatsächlich wünschen. Rein thematisch ist ein solcher Artikel eher witzig, nicht wertvoll.
Andere Themen sind verbreiteter: Gamification und Horror-Games sind anhaltende Trends, denen sich auch die piqd-Experten nicht entziehen können. Die Beiträge innerhalb der einzelnen Ressorts sind nicht tagesaktuell, aber stets interessant – manchmal sogar polarisierend. Viele Beiträge bieten Leserinnen und Lesern gute Diskussionsgrundlagen. piqd will keine Meinungen machen, aber Nutzer zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit Randthemen motivieren. Das ist gut und wichtig, aber ein alter Hut in Zeiten unzähliger Blogs und Newsseiten.
Was piqd von Nutzern verlangt ist über den Tellerrand hinauszublicken – ein Trend, der wünschenswert ist. Auch für die deutsche Medienlandschaft 2.0, in der Nischenseiten und semiprofessionelle Schreiber noch immer viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommen.
Big Players grow bigger: die üblichen Verdächtigen
Bei all den guten Absichten müssen sich die Experten von piqd.de Kritik gefallen lassen. Welche Beiträge handverlesen werden, ist ein rein subjektiver Vorgang. Die Auswahl folgt keinem automatisch ablaufenden Algorithmus, sondern den individuellen Interessen eines einzelnen Journalisten. Die Folge bisher: die Big Players der internationalen Medienlandschaft werden größer, kleinere Seiten mit gehaltvollen Beiträgen werden weiter an den Rand gedrängt.
Dass als Quellen für den Bereich Spiele und Kultur gestandene Webseiten wie kotaku, rockpapershotgun, Eurogamer oder The Guardian herhalten, vermag zwar nicht zu überraschen, bringt jedoch keinen Aufschwung in den Spielejournalismus 2.0, der schon lange nicht mehr nur von professionellen Medienschaffenden bedient wird.
Medienteilnehmer mit starren Korsagen gibt es genug. Es sind die üblichen Verdächtigen, denen die Aufmerksamkeit der Massen zukommt. Zurecht, weil Qualität geliefert wird. Oft jedoch auch kritiklos, trotz schlechter Hintergrundrecherche.
Schaut man sich die Quellen der deutschen Beiträge an, so ist die Auswahl noch ernüchternder. Die Zeit, der Spiegel oder Golem sind allesamt Portale, die der News-Interessierte ohnehin regelmäßig ansteuert. Ob und wie sich die Auswahl der Experten im Laufe der Zeit verändert, liegt letztendlich auch daran, auf welche Beiträge die Handverleser von piqd aufmerksam werden. Und die Aufmerksamkeit hängt direkt mit der Reichweite einzelner Newsmagazine zusammen. Wenn die Kuratoren Zeit für intensive Themenrecherchen aufwenden, neue Webprojekte verfolgen und Beiträge aus Quellen abseits der großen Verlage promoten, kann piqd dazu beitragen die Medienlandschaft nachhaltig verändern.
Dass Qualität im Vordergrund des Webprojektes stehen muss, ergibt sich nicht zuletzt aus den monatlichen Kosten, die Nutzer bereitwillig zahlen sollen. Während eine lebenslange Mitgliedschaft einmalig stolze 299 Euro kostet, müssen User in das monatlich kündbare Abonnement drei Euro investieren. Für ihren Geldeinsatz erhalten Mitglieder dann die persönlichen Empfehlungen samt Kommentaren – und die Möglichkeit, ihre eigene Meinung beizutragen.
Abschließend gilt: Reinlesen lohnt sich immer, weil jeder gelesene Artikel dazu beiträgt, den eigenen Horizont zu erweitern.