„Sehr verehrte Fahrgäste, der Hypetrain von Russian Railroads fährt heute aufgrund von Störungen im Betriebsablauf ohne Zwischenhalt ins Brettspieleparadies. Wir bitten um Ihr Verständnis.“ Die Brettspielneuheit Russian Railroads ist zweifellos einen ausführlichen Blogbeitrag wert, immerhin sind die Lobeshymnen wohlklingend und das Spiel hat den 1. Platz bei der Vergabe des Deutschen Spielepreises gewonnen. Gute Voraussetzungen um nicht nur bei den Brettspieljurys anzukommen, sondern auch die Herzen der wahren Experten, nämlich euch Freizeitbrettspielern, zu erobern. Ob der Hype um Russian Railroads berechtigt ist und ob das Eisenbahnbrettspiel auch die breite Masse anspricht, möchte ich euch in diesem Blogbeitrag erläutern. Viel Spaß!
Mehr Eisenbahn bitte
Hans im Glück steht grundsätzlich für eine hohe Qualität was das Verlegen von Gesellschaftsspielen angeht. Und auch mit Russian Railroads könnte wieder ein großer Wurf gelungen sein. Die Idee der Spielautoren Helmut Ohley und Leonhard Orgler klingt zunächst gut: Eisenbahnbau im Lichte der Industrialisierung, und das im 19. Jahrhundert, also ganz ohne unterstützende Computertechnik als Planungshilfe. Da kommen 2 – 4 interessierte Brettspieler ganz recht, um mit der Planung, Materialbeschaffung und dem Bau neuer Eisenbahnlinien in Russland zu beginnen. Die Transsibirische Eisenbahn war ein Glanzstück in der Geschichte russischer Industrieentwicklung. Bei Russian Railroads schreiben die Mitspieler Geschichte.
Was nach einem tollen Spiel für Eisenbahnfans klingt entpuppt sich bei genauer Betrachtung aber als klassische Punktejagd im Eisenbahner-Gewand. Statt des
Railroadthemas könnte man genauso gut LKW, Schiffe oder Flugzeuge nehmen. Der Spielhintergrund ist also auswechselbar und würde das Spielkonzept nicht beeinträchtigen. Wahre Eisenbahnfans werden
vom Hypetrain überrolt, sofern sie nicht aufpassen und ihre Erwartungen etwas nach unten schrauben. Wer allerdings ohne große Hoffnung auf Eisenbahnromatik an Russian Railroads herangeht, der
bekommt ein Brettspiel der Extraklasse. Trotz des auswechselbaren Hintergrundthemas ist dieses Brettspiel ein Spaßgarant, der lange Brettspielabende garantiert – ein wenig Einarbeitungszeit
vorausgesetzt.
Eines vorweg: Die Spielregeln sind komplex und bevor die erste Runde starten kann, ist einige Vorarbeit nötig. Hilfreich ist die tolle Spielanleitung, die durch ihre gute Struktur auffällt und Regeln ausführlich, aber stets gut verständlich erklärt. Wenn auf der Rückseite der Verpackung also von „1 ausführlichen Regel“ die Rede ist, dann klingt das schon wie eine Drohung. Und tatsächlich verlangt das Regelwerk den Spielern einiges an Sitzfleisch ab, bevor die Kohlen heiß genug sind um den Zug anrollen zu lassen. Erfahrene Brettspieler wissen, dass die Vorbereitung zu jedem neuen Brettspiel gehört und als eigenes Ritual schon fast zelebriert wird. Einsteiger müssen diese Phase einfach überstehen, was bei der hohen Qualität der Spielanleitung aber leicht möglich ist. Tolle Aufmachung, tolle Sprache – hier überzeugt Russian Railroads mit einem durchdachten Konzept.
Vollausstattung in der 1. Klasse
Die Box ist prall gefüllt mit allerlei Brettchen, Plättchen, Figürchen und Schienenteilen. Hier merkt man dem Verlag die langjährige Erfahrung an, denn die hochwertige Verarbeitung des Spielmaterials ist einfach wunderbar. Im Verlauf des Spiels wird der Küchentisch zu einer bunten Abbildung des russischen Verkehrssystems des 19. Jahrhunderts. Das sieht nicht nur toll aus, sondern lässt bei der Wahl der Materialien auch auf eine lange Haltbarkeit schließen. Russian Railroads ist wohl ein Spiel für die Ewigkeit, solange am Brettspielabend nicht der Topf mit Borschtsch über das Spielbrett kippt. Schon als Zuschauer macht es Spaß dem bunten Treiben auf dem Brettspieltisch zuzuschauen (Ich habe es auf der diesjährigen Spielemesse in Essen selbst erfahren). Besser ist aber, man greift direkt in das Spielgeschehen ein und sichert sich einen Platz als Eisenbahnstreckenplaner.
Auch wenn am Ende nur die Punkte über den Sieg entscheiden, passiert dies auf einem derart hohen Niveau, dass jegliche Kritik zum seichten Hintergrundthema schnell vergessen ist. Russian Railroads entfaltet im Laufe des Spielabends sein volles Potenzial und zeigt warum es den ersten Platz bei der Vergabe des Deutschen Spielepreises verdient hat.
Damit der Bau nicht zu einfach wird bestimmen Ereignisse das Spielgeschehen. Auf den unterschiedlichen Strecken haben die Mitspieler stets mit neuen Schwierigkeiten zu kämpfen. Und je größer das Problem, desto wertvoller ist uch die Strecke. Durch dieses Element kommt eine ordentliche Portion strategische Planung ins Spiel, was den Spannungsfaktor enorm erhöht. Ob ein Bauplan aufgeht ist nämlich nicht schon von Beginn an ersichtlich. Siegpunkte werden in drei Bereichen gesammelt: Dem Strecken- und Zugausbau, der Entwicklung der Industrie und durch Siegbedingungskärtchen.
Sinnvoll ist also eine grundlegende Strategie zu erdenken und diese dann möglichst effizient auf dem Spielbrett umzusetzen. Je geschickter die Mitspieler agieren, umso schwieriger wird die Umsetzung der eigenen Pläne. Der Schwierigkeitsgrad des Spiels steigt also mit der Qualität der Spielrunde, was auf lange Sicht für Motivation sorgt und Russian Railroads zu einem Dauerbrenner werden lässt. Spieler zu hindern und blockieren gehört ebenso zum Spielgeschehen wie die weise Vorausplanung der nächsten Züge. Russian Railroads ist ein kompetitives Spielerlebnis höchster Güte: Aktionsfelder sind beispielsweise nur einmal pro Runde besetzbar, unter den Konkurrenten entbrennt also ein Kampf um die besten Plätze.
Infobox
Spielerzahl: 2 bis 4 Spieler
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: 90 bis 120 Minuten
Schwierigkeit: mittel
Langzeitmotivation: mittel
Verlag: Hans im Glück ►
Autor: Helmut Ohley, Leonhard Orgler
Erscheinungsjahr: 2013
Sprache: deutsch
Kosten: 42 Euro
Fazit
Sinnvoll ist also eine grundlegende Strategie zu erdenken und diese dann möglichst effizient auf dem Spielbrett umzusetzen. Je geschickter die Mitspieler agieren, umso schwieriger wird die Umsetzung der eigenen Pläne. Der Schwierigkeitsgrad des Spiels steigt also mit der Qualität der Spielrunde, was auf lange Sicht für Motivation sorgt und Russian Railroads zu einem Dauerbrenner werden lässt. Spieler zu hindern und blockieren gehört ebenso zum Spielgeschehen wie die weise Vorausplanung der nächsten Züge. Russian Railroads ist ein kompetitives Spielerlebnis höchster Güte: Aktionsfelder sind beispielsweise nur einmal pro Runde besetzbar, unter den Konkurrenten entbrennt also ein Kampf um die besten Plätze.